Günther Tengel (Amrop Jenewein), Dominik Hackl (Prescreen) und Armin Wahls (Firstbird) (v. li.) diskutierten zur Zukunft des Recruiting.

Foto: Matthias Cremer

Vor 30 Jahren hat der STANDARD redaktionelle Inhalte in die Bleiwüsten der Stellenanzeigen gebracht und damit das Thema Arbeit und Karriere als zentrales Lebensthema sichtbar gemacht. Inzwischen rütteln die rasanten Veränderungen auf den Arbeitsmärkten an allem Bekannten.

Wo halten wir inmitten von Digitalisierung, Paradoxien und dem Suchen und Finden, dem Suchen und Gefundenwerden? Wir haben drei Profis aus unterschiedlichen Welten zur Diskussion geladen: Günther Tengel, seit Jahrzehnten einer der renommiertesten Berater im Executive Search, der seit 2003 als Gesellschafter die Geschäfte von Amrop Jenewein führt und den Stellenmarkt im STANDARD mitaufgebaut hat; Arnim Wahls, der 2013 das Mitarbeiter-Empfehlungsportal Firstbird mitgegründet hat; Domink Hackl, der Mitgründer des automatisierten Bewerbermanagementsystems Prescreen ist – 2013 als MercuryPuzzle gegründet und vier Jahre später um 17 Millionen Euro an Xing verkauft.

Der Sprung in die nahe Zukunft: Welche Bilder haben die drei Experten? Dominik Hackl sieht einen fortschreitenden Einzug der Technologie, etwa Chatbots auf den Websites. Das aktive Auffinden möglicher Kandidaten (Active Sourcing) werde voranschreiten, auch mit allen Möglichkeiten der Testungen und prediktiver Technologien, die Verhalten voraussagen. Recruiter werden zu "Talent Agents", sagt Hackl.

Zwei-Klassen-Gesellschaft

Arnim Wahls sieht durch all diese Entwicklungen inklusive extremen Mangels an Menschen, die Digitalisierung umsetzen können, eine Zweiklassengesellschaft in Unternehmen entstehen: eine Stammbelegschaft, in die investiert wird und die alle Rechte hat, sowie eine Truppe von Freelancern, die Gigarbeit verrichtet.

"Beide Seiten sind frustriert. Es werden die gewinnen, die Digitalisierung einsetzen, um menschlicher zu werden", sagt Armin Wahls von Firstbird.
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Genau darin sieht Günther Tengel den mächtigsten Sprengstoff: Wie sind solche extrem heterogenen Teams zu führen? Was bedeutet das für Selbstwert, Zugehörigkeit und Commitment? Tengel ist überzeugt, dass Stellenprofile als solche verschwinden werden, weil der extreme Mangel an den Gesuchten sie ad absurdum führt. Zudem verlaufe individuell das Leben nicht mehr in den drei Phasen Ausbildung, Job, Pension, sondern in acht oder neun oder zehn. Das sei in Unternehmen derzeit überhaupt nicht abzubilden, geschweige denn in Stellenanzeigen zu packen. Größte Challenge für ihn: Teams zusammenstellen und neue Qualitäten im Onboarding schaffen.

Das bringt uns zur aktuellen Lage, zum Status quo auf dem Arbeitsmarkt: Technologische Lösungen beschleunigen am vorderen Ende den Prozess, sagt Tengel, öffnen ihn sogar für mehr Diversität. Am anderen Ende, in den Unternehmen, sei die Haltung aber unverändert geblieben: Chefs wollen entscheiden. Und das, sagt Tengel, geschehe unter den harten Geschäftsbedingungen und unter zunehmender Komplexität weiter oder sogar verstärkt unter Sicherheitsaspekten. Bedeutet: Mehr Diversität ist "gefährlicher", macht den eigenen Job unberechenbarer und störanfälliger. "Es ist ja deutlich sichtbar, dass wir seit zehn Jahren eine intensive Diversitätsdebatte führen, sich aber nichts oder kaum etwas geändert hat", sagt er mit Blick auf die Top-Führungsgremien.

Kaputter Prozess

Ein klares, von den dreien geteiltes Bild zeichnet Wahls für alle Ebenen: "Der Prozess ist so, wie er ist, kaputt." Beide Seiten seien frustriert: Unternehmen, weil sie nicht finden, wen sie suchen. Und Bewerber, weil sie Bewerbungen herumschicken, oft nicht einmal eine Antwort erhalten und einer unübersehbaren Landschaft gegenüberstehen.

"Recruiter werden zu Talent-Agents. Ausschreiben und warten, dass sich jemand meldet, ist vorbei", sagt Dominik Hackl von Prescreen.
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Dominik Hackl: "Post and pray ist jedenfalls vorbei." Heißt: Positionen ausschreiben und warten, bis sich jemand bewirbt, geht nicht mehr. Unternehmen müssen dort sein, wo ihre möglichen Kandidaten sind – und zwar aktiv und immer. Daten hinterlassen ja alle ausreichend, also gilt es offenbar, diese so zu sammeln und auszuwerten, dass Kandidatenspuren sichtbar werden. Dass die Datenschutzgrundverordnung da das Leben erschwert, ist klar. Andererseits, sagt Wahls, sei die DSGVO auch eine Art Schutztür für ausländische Anbieter.

Für Tengel bleibt die Frage, wie weit technologisches Suchen und Finden vordringen wird. Wahls sagt: "Wir werden keinen CEO besetzen", für Tengel beruhigend. Auch sei man mit digitalen Mitarbeiterwerbeplattformen meist lokal beschränkt.

"Die Prozesse sind nicht das Hauptthema, sondern wie manage ich Erwartungen, die nicht zusammenpassen", sagt Günther Tengel von Amrop Jenewein.
Foto: Matthias Cremer

Bringt digitales Recruiting nun Inklusion oder nicht? Darüber herrscht Uneinigkeit. Im ersten Schritt kämen wohl mehr verschiedene Menschen in den Prozess. Allerdings, wiederholt Tengel, haben sich ja die Entscheidungsparameter nicht geöffnet, anonymisiertes Bewerben sei in Deutschland und Österreich auch gescheitert. Es sei vermutlich auf die nächste, übernächste Generation zu warten, die, völlig anders aufgewachsen, auch völlig anders entscheide.

Wahls widerspricht und erkennt bereits Öffnungstendenzen in Unternehmen. Aber erneut herrscht Übereinstimmung bei seiner – dogmatischen – Zukunftssicht: "Gewinnen werden jene Unternehmen, die Digitalisierung einsetzen, um menschlich zu sein." (Karin Bauer, 3.11.2018)