Eine Demonstrantin fordert bei einem Klimamarsch in der französischen Stadt Bordeaux Maßnahmen zur Begrenzung des Klimawandels.

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Noch haben die Universitäten nicht begriffen, dass sie derzeit eine außergewöhnliche Verantwortung haben. Sie sind die einzigen gesellschaftlichen Player, die in relativ kurzer Zeit Ressourcen mobilisieren können, die zur Begrenzung des Klimawandels gebraucht werden.

Es ist ein offenes Geheimnis, dass die Politik der Herausforderung des drohenden Klimazusammenbruchs in keiner Weise gewachsen ist, und das nicht nur in Österreich. Die hiesige Umweltministerin erklärte nach Erscheinen des UN-Klimaberichts, dass Österreich ohnehin auf einem sehr guten Weg sei, weil die Regierung Elektroautos fördere und die OMV die finanziellen Zuschüsse zum Neueinbau von Ölheizungen stoppen werde. In Frankreich ist Ende August Umweltminister Hulot zurückgetreten, er wollte die alibihafte Klimapolitik der Regierung nicht mehr mittragen. In Deutschland verprügelt die Polizei Aktivisten, die gegen neue Braunkohlegruben protestieren. Und die "Umweltminister" der EU haben eben beschlossen, das Ziel von 40 Prozent CO2-Reduktion beim Autoverkehr, das vom EU-Parlament gefordert wurde, auf 35 Prozent herabzusetzen. Klimaexperten betonen, dass eine Reduktion von 50 Prozent unerlässlich wäre. Von den derzeitigen Regierungen in der EU und anderer reicher Länder werden die drastischen klimapolitischen Maßnahmen, die laut Uno-Bericht innerhalb der nächsten zehn Jahre durchgeführt werden müssen, nicht kommen. Sie haben für diese Regierungen keinerlei Priorität. Und doch müssen die Veränderungen jetzt und nicht irgendwann stattfinden.

Keine "grüne" Alarmschreierei

In den Gesellschaften ist diese Einsicht schon viel verbreiteter als unter Politikern. Viele Menschen, die frühere Warnungen für "grüne" Alarmschreierei gehalten haben, sehen die Dinge jetzt anders. Den meisten sind die Lebensbedingungen ihrer Kinder und Enkel genauso wichtig wie ihre eigenen. Sie sehen, dass die derzeitige Politik sich diametral gegen die Interessen der nächsten Generationen richtet. Das Debakel von CSU und SPD in Bayern hat unter anderem auch damit zu tun: 70 Prozent der Wähler waren der Meinung, die Parteien würden zu wenig für den Klimaschutz tun.

Wissenschaftliche Forschungen der letzten Jahrzehnte haben nicht nur unsere Kenntnisse über das Klima und seinen Wandel erweitert. Sie haben auch gezeigt, dass Wissenschaft gegenüber Druck von außen widerstandsfähiger ist, als oft unterstellt wird. Wir wissen heute aus historischen und sozialwissenschaftlichen Studien, dass spätestens seit den 1970er-Jahren mächtige Lobbys aus Wirtschaft und Politik Unmengen von Geld in Desinformationskampagnen gesteckt haben, um wissenschaftliche Ergebnisse in der Öffentlichkeit zu desavouieren (zum Beispiel Treibhauseffekt, Tabakkonsum, saurer Regen, DDT). Diese Kampagnen haben über Jahre verheerende Effekte auf Politik und in der Folge auf die Leben von Millionen Menschen gehabt. Aber sie haben die Widerstandskraft wissenschaftlichen Forschens nicht gebrochen. Indirekt haben sie sogar das Gegenteil bewirkt. Heute ist deutlicher als je zuvor zu erkennen, dass die Interaktion zwischen unabhängiger wissenschaftlicher Forschung auf der einen Seite und Gesellschaft und Politik auf der anderen Seite unverzichtbar ist.

Die Universitäten befinden sich genau an dieser Schnittstelle. Sie sind einerseits Zentren von wissenschaftlichen Kenntnissen und Kompetenzen, von intellektueller Neugier und Lust am Denken. Und sie haben andererseits den gesellschaftlichen Auftrag, junge Menschen mit jenen Fähigkeiten auszustatten, die sie zur Erfüllung zukünftiger Aufgaben in der Gesellschaft brauchen werden. Diese Kombination aus Forschung und Ausbildung macht die Universitäten zu zivilgesellschaftlichen Akteuren von allergrößter Bedeutung. Sie haben das Potenzial und auch die reale Möglichkeit, genau das zu tun, was heute notwendig ist: so schnell wie irgend möglich, besser vorgestern als heute, Beiträge zur Begrenzung des drohenden Klimazusammenbruchs zu erarbeiten. Der Klimabericht macht deutlich, dass nicht nur Naturwissenschaften und Technik gefragt sind, sondern auch alle anderen etablierten Disziplinen: Sozial- und Wirtschaftswissenschaften, Psychologie, Bildungswissenschaft, Kommunikationswissenschaft, Philosophie, Kulturwissenschaften usw.

Nicht konfliktfrei

Und ja: Ohne Konflikte wird es nicht gehen. Ein Beispiel: Der diesjährige Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften wurde für jahrzehntelange Forschungen vergeben, die klar zeigen, dass positive Anreize (Stichwort Elektroautos) zur Beschränkung des Klimawandels nicht ausreichen, aber CO2-Steuern sehr wohl entscheidende Effekte haben. Universitäten müssen – aus Selbstachtung und aus Respekt vor den SStandards ihrer eigenen Forschungen – öffentlich dafür einstehen, dass es sich bei diesen Ergebnissen nicht um eine "Meinung" unter vielen handelt, sondern um das bestbegründete Wissen, das derzeit weltweit zur Verfügung steht.

Ich schlage also vor, dass die österreichischen Universitäten ab sofort für die nächsten zehn Jahre den Forschungen zur Begrenzung des Klimazusammenbruchs höchste Priorität einräumen. Zu keinem anderen Thema werden Projekte so dringend gefragt sein. Und kein anderes Thema enthält ein vergleichbares Innovationspotenzial für die Universitäten selbst. Die Rektorenkonferenz sollte auffordern, ab Sommersemester 2019 interfakultäre Forschungsplattformen einzurichten und Ringvorlesungen zu veranstalten. Ziele wären einerseits internationale Spitzenpublikationen, andererseits neue Formate zum Austausch. Einmal im Jahr könnte ein Forum organisiert werden, auf dem Forschungsergebnisse und Projekte vorgestellt werden, wo Akteure aus Zivilgesellschaft, Wirtschaft und Politik ihre Perspektiven artikulieren, Maßnahmen und Forschungsthemen vorschlagen. Das so freigesetzte Potenzial wäre enorm. Wann, wenn nicht jetzt? (Elisabeth Nemeth, 23.10.2018)