Wien – Die türkis-blaue Regierung ließ sich auch nicht durch die zahlreichen kritischen Stellungnahmen von ihrem Kurs abbringen: Am Mittwoch wurde die Sozialversicherungsreform im Ministerrat auf den Weg gebracht. Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) bezeichnete die Kritik als "Angst- und Panikmache", Sozialministerin Beate Hartinger-Klein (FPÖ) verteidigte abermals das Projekt und verkündete: "Es ist gelungen." 40 Konkretisierungen nahm die Regierung auf Basis der Stellungnahmen noch am Gesetzestext vor, die Grundpfeiler bleiben aber gleich.

Statt 21 Sozialversicherungsträger soll es künftig nur noch fünf geben, die neun Ländergebietskrankenkassen werden zu einer Österreichischen Gesundheitskasse (ÖGK) fusioniert, und der Hauptverband wird zu einem Dachverband umgewandelt. Dienstgeber bekommen in den Gremien mehr Bedeutung, außerdem will die Regierung die Zahl der Funktionäre reduzieren.

Auch wenn ÖVP und FPÖ einen großen Wurf sehen, wurden einige große Brocken ausgelassen. Doch gerade bei diesen gibt es Ungleichheiten innerhalb des Sozialversicherungssystems, die nun prolongiert werden. Die wichtigsten Punkte im Überblick:

  • Trennung nach Berufsstand Obwohl es künftig nur noch fünf Sozialversicherungsträger geben soll (ÖGK, Selbstständige und Bauern, öffentlicher Dienst und Schienenverkehrsunternehmen, Unfallversicherung, Pensionsversicherung) bleibt die Aufteilung nach Angestellten, Beamten und Selbstständigen weiter aufrecht. Das widerspricht dem internationalen Trend.

    Diese Trennung nach Berufsstand drückt sich auch in unterschiedlichen Leistungen für Versicherte aus. Beamte (BVAEB) und Selbstständige (SVS) müssen zwar einen Selbstbehalt zahlen, die Zuschüsse sind aber auch teilweise höher, beispielsweise bei der Zeckenimpfung. Bekommen hier Versicherte der GKKs vier Euro Zuschuss, erhalten Beamte 16 Euro Unterstützung, für Bauern gibt es Gratisimpfaktionen.

  • Mehrfachversicherungen Im Regierungsprogramm hatte Türkis-Blau noch ein klares Ziel: "Mehrfachversicherungen sollen generell abgeschafft werden", heißt es dort. Knapp ein Jahr später wird das nun nicht umgesetzt. Wer also angestellt ist und nebenher selbstständig arbeitet, wird auch in Zukunft bei zwei unterschiedlichen Trägern versichert sein. Selbiges gilt für öffentlich Bedienstete, die einer Nebenbeschäftigung nachgehen.

    Lediglich Mehrfachversicherungen bei Gebietskrankenkassen fallen weg, weil die neun GKKs zur erwähnten ÖGK zusammengelegt werden. In der Abwicklung wird es aber zu Vereinfachungen kommen. Künftig wird von Amts wegen geprüft, ob man durch zwei oder mehrere Jobs über die Höchstbeitragsgrundlage (aktuell 5130 Euro) kommt. Derzeit muss zumindest das erste Mal ein Antrag gestellt werden. Doppelt Versicherte werden durch die Beibehaltung der Regelung insofern bevorzugt, weil sie eine Wahlmöglichkeit erhalten. Sie können sich aussuchen, von welcher Versicherung sie welche Leistungen in Anspruch nehmen.
Sozialminister Beate Hartinger-Klein hat ihr Vorhaben in der Regierung durchgebracht. Jetzt sind die Parlamentarier am Zug.
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  • Ungleiche Verteilung Die Idee einer solidarischen Versicherungsgemeinschaft gerät in den Hintergrund, bedenkt man, dass bestimmte Personengruppen, die im Schnitt höhere Kosten verursachen und kaum Beiträge zahlen, nur bei einer Kassa versichert werden. Denn auch künftig werden Arbeitslose, Mindestsicherungsbezieher und Asylwerber bei der ÖGK versichert. Bei BVAEB und SVS bleiben tendenziell Besserverdiener versichert. Die Lasten tragen nur die Angestellten, ein Risikostrukturausgleich wurde verabsäumt.

  • Krankenfürsorgeanstalten Rund 250.000 Österreicher sind bei 15 Krankenfürsorgeanstalten (KFAs) versichert. Diese Sonderversicherungen für Gemeinde- und Landesbedienstete gelten als finanziell privilegierte Spezialversicherungen. Die größte ist in Wien, zahlreiche kleinere gibt es außerdem in Baden, Hallein oder Wels.

    In Oberösterreich und Tirol existiert auch eine KFA für Landeslehrer. Diese Sonderversicherungen waren auch bisher nicht beim Hauptverband organisiert, sondern selbstverwaltet, weshalb die Struktur nicht transparent ist. Versicherte der KFAs bekommen im Vergleich die besten Leistungen wie großzügige Zuschüsse für Zahnkronen, Psychotherapie oder Massagen. Um die KFAs in das allgemeine Versicherungssystem einzugliedern, hätte die Regierung eine Verfassungsmehrheit im Nationalrat benötigt, doch diese wurde von Türkis-Blau gar nicht angestrebt. (Marie-Theres Egyed, Günther Oswald, 24.10.2018)