1995/96 verewigte Jörg Immendorff das Sammlerehepaar Essl als Gastgeber: "In meinem Salon ist Österreich" gehört nun Hans Peter Haselsteiner.

Foto: Archiv, Sammlung Essl Privatstiftung, M. Nawrata

Wien – Das Sammlerpaar Essl, umringt von Mitgliedern seiner "Familie": Martin Luther King etwa, als Referenz an die protestantische Tradition der Essls, zahlreiche Künstler, darunter Maria Lassnig, Arnulf Rainer oder Hermann Nitsch. 1995/96 schuf Jörg Immendorff dieses als Triptychon konzipierte Gemälde. Er selbst verewigte sich als lachender Affendämon, auf der Rückenlehne von Agnes Essls Stuhl hockend. "In meinem Salon ist Österreich" titelt das Großformat, in dem sich das Ehepaar in der Salontradition als Gastgeber inszenierte. Es ist das Herzstück einer in Summe 13 Werke umfassenden Serie und ein symbolisches Tableau für die Sammlertätigkeit der Essls.

Allerdings ist es nicht Teil der 1323 Werke umfassenden Schenkung an die Albertina, sondern verbleibt im Besitz des Unternehmers Hans Peter Haselsteiner.

Neue Schätzung

Dem nun von Kulturminister Gernot Blümel (ÖVP) geschnürten Deal war jener von Thomas Drozda (SPÖ) Anfang 2017 vorausgegangen, der "nur" eine Dauerleihgabe der gesamten Kollektion bis 2044 vorsah. Dieses Modell hätte staatliche Subventionen von jährlich 1,1 Million Euro gefordert, die sich bis zum Ende der Laufzeit auf zumindest 30 Millionen summiert hätten. Unverhältnismäßig, soll der Rechnungshof moniert haben, der den Albertina-Prüfbericht bis Ende des Jahres veröffentlichen wird.

Die Schenkung bedurfte einer Realteilung der in der SE Sammlung Essl GmbH (Haselsteiner 60 Prozent, Essl 40 Prozent) beheimateten Sammlung: nicht an Stückzahl, sondern am Wert der Kunstwerke bemessen. Dazu beauftragte die Albertina das Auktionshaus "im Kinsky" mit einer neuen Schätzung. Ernst Ploil ist einer der Teilhaber und Mitglied des Freundesvereins der Albertina.

Stillschweigen vereinbart

Im Detail seien die im Umfeld der Baumax-Krise 2014 von Sotheby’s (internationale Kunst) und Dorotheum (österreichische Kunst) vorgelegten Gutachten an die aktuelle Marktsituation angepasst worden. Besuchte man dazu das Depot, oder erfolgte die Schätzung am Schreibtisch? Das Auktionshaus gibt dazu keine Auskunft. Man habe Stillschweigen vereinbart.

Dabei wäre interessant zu wissen, nach welchen Kriterien diese erfolgte, da sich der Gesamtwert nun auf 211,25 bis 227,75 Millionen Euro beläuft. Davon entfallen 84,5 bis 91,1 Millionen auf Essls Anteil.

Steuerüberlegungen

Das sei absurd hoch, meinen Kenner der Kollektion und Experten aus der Branche. Vermutlich sollte die Schenkung aufgewertet werden, um die Subventionen (2018: 800.000; 2019: 850.000) zu rechtfertigen. Der neue Wert könnte sich an anderer Front als Eigentor erweisen. Denn auch eine Schenkung unterliegt der Körperschaftssteuer (KÖSt, 25 Prozent), wenn sie als Sachanlage dem Vermögen eines Unternehmens entnommen wird.

An der SE Sammlung Essl GmbH erklärt: Die im Besitz der Familie verbliebenen Werke sind dort mit einem Buchwert von etwa 16 Millionen Euro veranlagt. Über die Realteilung wurde diesen nun ein Wert von wenigstens 84,5 Millionen bescheinigt. Die daraus resultierende Differenz von 68,5 Millionen Euro gilt als "stille Reserve", die über die Schenkung aufgelöst wird und eine KÖSt von 17 Millionen Euro ergebe.

Spendenbegünstigung

Theoretisch müsste sie von der Familie Essl bezahlt werden. Praktisch wird man sie eingedenk der Schenkung wohl erlassen. Tatsächlich soll hinter den Kulissen an einer Konstruktion getüftelt werden, damit die Körperschaftssteuer gar nicht erst anfällt. Mit ÖVP/FPÖ-Regierungen hat Karlheinz Essl gute Erfahrungen: Stichwort "Lex Essl". Im Herbst 2002 kam es zu einer von ihm antichambrierten Gesetzesänderung zur Spendenbegünstigung für Privatmuseen. Fortan konnte Essl zehn Prozent der Gewinne seiner Fritz Schömer GmbH, die den Museumsbetrieb finanzierte, von der Steuer absetzen.

Der neue Wert dürfte aber auch ehemalige Baumax-Gläubiger interessieren. Gemäß der Kinsky-Kalkulation und den bislang zur Refinanzierung des von Haselsteiner gewährten Kredits erfolgten Verkäufen (u. a. via Christie’s) müsste er ursprünglich bei etwa 350 Millionen Euro gelegen sein. Die 42 Banken waren im Herbst 2014 auf Basis erwähnter Vorgutachten von Haselsteiner mit 117 Millionen abgefunden worden.

Allein sein 60-Prozent-Anteil an der Sammlung hat nun einen Wert von 126,75 bis 136,65 Millionen Euro. Rein rechnerisch hätte er aus der Essl-Misere wohl den größten Nutzen. Denn auch das in den Büchern mit 5,27 Millionen Euro bewertete Museumsgebäude in Klosterneuburg gehört ihm zwischenzeitlich, und er wird für die im Depot eingelagerte Schenkung Miete von der Albertina bekommen. Dafür finanziert er die Sanierung des Künstlerhauses (circa 40 Millionen Euro) und die dort künftig anfallenden Betriebskosten (700.000 Euro). Der "neue, zweite Standort der Albertina" soll im Oktober 2019 eröffnen.

Folgerecht wird ignoriert

Zu den letzten, in Umfang größeren Verkäufen gehört der vor zehn Monaten verlautbarte an den deutschen Fabrikanten Reinhold Würth: 150 Werke für etwa 40 Millionen Euro. Dieser Deal fällt unter die seit 2006 wirksame Folgerechtslinie, wonach Künstler oder deren Erben (seit 2012) mit einem gewissen Prozentsatz am Wiederverkauf beteiligt sind.

STANDARD-Informationen zufolge wurde bislang kein einziger Cent überwiesen, weder von Essl oder Haselsteiner noch von Würth. Zum besseren Verständnis: Allein für die rund 60 derzeit in der Kunsthalle Würth ausgestellten ehemaligen Essl-Schützlinge geht es in Summe um rund 250.000 Euro. Warum man sich nicht an die im Urheberrecht verankerte Bestimmung hält, war trotz mehreren Anfragen nicht zu erfahren.

"Wir geben der Öffentlichkeit keine Details bekannt", erklärte die Geschäftsführung konsequent. Künstlern und deren Nachfahren muss die SE-Sammlung Essl GmbH jedoch sehr wohl Auskunft erteilen. Dieser Anspruch erlischt ebenso wie jener auf die Vergütung (ab Kenntniserlangung) erst nach drei Jahren, betont Urheberrechtsexperte Michael Walter.

Rückkaufoptionen

Schon bei den Deals mit seinen Collectors-Club-Mitgliedern soll Karlheinz Essl diese Bestimmung ignoriert haben. Zur Erinnerung: Von 2005 an verkaufte er an Investoren "Ensembles zeitgenössischer Kunst" und garantierte nach Ablauf von zehn Jahren einen Rückkauf "zu 150 Prozent des ursprünglich eingesetzten Betrages" (der STANDARD berichtete). Mal ging es um 200.000 Euro, mal um mehrere Millionen. Diese Geschäfte liefen nachweislich zumindest bis ins Jahr 2012 oder auch länger. 2015 zogen erste Investoren die Rückkaufoption, wer für die künftigen haftet, ist unbekannt.

Gesichert ist hingegen, dass aus diesem Fundus nun 54 Kunstwerke über die Schenkung zum Bestand der Albertina gehören. Und dies erklärt auch das wundersame Wachstum der Sammlung, deren Umfang vom Frühjahr 2014 von knapp 7000 und trotz Verkäufen hunderter Werke im Kunst- und Kulturbericht 2017 mit 7419 beziffert wird. (Olga Kronsteiner, 27.10.2018)