Wien – Als viertes Land weltweit wird sich Österreich aus dem globalen Migrationspakt der Uno zurückziehen. Die Bundesregierung wird in ihrer Regierungssitzung am Mittwoch den entsprechenden Beschluss dazu fassen. Der Migrationspakt, ein rechtlich nicht bindendes Abkommen, soll als erstes internationales Dokument Grundsätze für den Umgang mit Flüchtlingen und Migranten festlegen und am 10. und 11. Dezember bei einer Uno-Konferenz in Marrakesch in Marokko angenommen werden. Er soll auch legale Möglichkeiten der Migration definieren.

Bei der Einigung auf einen Entwurf im Juli war Österreich auf technischer Ebene noch an Bord gewesen. In den vergangenen Wochen hatten vor allem FPÖ und rechte Plattformen gegen das Abkommen mobilgemacht. Vor Österreich ist bereits Ungarn unter Viktor Orbán aus dem Abkommen ausgestiegen. Auch von Australien kam eine Absage. Die USA nahmen auf Geheiß von Präsident Donald Trump an den Verhandlungen gar nicht erst teil.

Österreich werde das Dokument wegen erheblicher inhaltlicher Bedenken nicht unterzeichnen und auch keinen offiziellen Vertreter nach Marrakesch entsenden, erklärten Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) und Vizekanzler Heinz-Christian Strache (FPÖ) im Vorfeld der Ministerratssitzung am Mittwoch. Man erachte den Migrationspakt nicht für geeignet, um Migrationsfragen zu regeln, befürchte den Verlust österreichischer Souveränität in der Migrationspolitik und eine Verwässerung zwischen legaler und illegaler Migration.

EU-Kommission bedauert Ausstieg Österreichs

EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker bedauerte am Mittwoch die österreichische Entscheidung. "Ich bedauere das sehr", sagte er dem Ö1-"Mittagsjournal". Im Zusammenhang damit erneuerte er seine Forderung, dass die EU in außenpolitischen Fragen mit qualifizierter Mehrheit entscheiden müsse. Es sei "ein Unding", dass die EU in dieser substanziellen Zukunftsfrage nicht mit einer Stimme reden könne. "Aber wir werden uns mit den österreichischen Freunden in den nächsten Wochen noch unterhalten."

Auch eine Kommissionssprecherin bedauerte Österreichs Ausstieg. Migration sei eine globale Herausforderung, die auf globaler Ebene gelöst werden müsse und globale Teilung der Verantwortung bedeute, erklärte sie am Mittwoch. Österreich habe beim Thema Migration bisher äußerst konstruktiv gearbeitet. Die EU werde aber weiterhin ihre Linie verfolgen. In Hinblick auf die Unterzeichnung beim Treffen in Marokko verwies die Sprecherin darauf, dass der Migrationspakt nicht bindend sei. Die Staaten würden selbst unterschreiben, erklärte sie auf die Frage, ob die EU insgesamt unterzeichnen werde.

Die türkis-blaue Regierung – im Bild Kanzler Kurz (li.) und Vizekanzler Strache – steigt aus dem Plan der Uno aus, der Flüchtlingsströme besser regulieren helfen soll.
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Wahrung der "nationalen Souveränität"

Wien könne 17 der 23 Kapitel des Papiers nicht mittragen, heißt es. Insbesondere stehe die Bundesregierung auf dem Standpunkt, dass kein Menschenrecht auf Migration bestehe und entstehen könne, sei es durch Völkergewohnheitsrecht, Soft Law oder internationale Rechtsprechung, erklärten Kurz und Strache. Österreich werde dem Pakt daher nicht beitreten, sich in der UN-Generalversammlung im September 2019 der Stimme enthalten und eine Erklärung bei den Vereinten Nationen abgeben und registrieren lassen, in der die Position der Bundesregierung deutlich dargelegt werde.

Mit dem Ausstieg soll laut Kurz und Strache Österreichs Souveränität gewahrt bleiben. "Es ist uns wichtig, keine Völkerrechtsgewohnheitsbindung für Österreich einzugehen, und daher haben wir uns entschieden, dass wir dem Pakt nicht beitreten", sagte Kurz. "Es gibt einige Punkte, die wir kritisch sehen und wo wir auch eine Gefahr für unsere nationale Souveränität befürchten", so der Bundeskanzler. Strache ergänzte: "Manche Inhalte sprechen diametral gegen unsere Position, auch im Regierungsprogramm." Es gehe darum, Österreichs Eigenstaatlichkeit zu schützen.

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Im Sommer übte die Regierung stattdessen Grenzmanagement militärischer Natur.
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Neben einigen positiven Punkten gebe es etliche negative Aspekte, die in der politischen Bewertung durch die Bundesregierung schließlich zur inhaltlichen Ablehnung des Abkommens geführt hätten, auch wenn man einem Entwurf auf technischer Beamtenebene zugestimmt habe. Kurz nannte etwa Vorschläge, die die Tätigkeit der Sicherheitsbehörden bei Abschiebungen einschränken könnten, oder auch Ideen, die zu einer Vermischung von legaler und illegaler Migration, von Arbeitsmigration und Asyl führen könnten. "Das lehnen wir ab." Es brauche eine klare Trennung zwischen Arbeitsmigration und der Suche nach Schutz.

"Migration kein Menschenrecht"

"Migration ist und darf auch kein Menschenrecht werden", erklärte Strache. "Es kann daher nicht sein, dass zwischen den legalen und illegalen Migrationsströmen nicht mehr unterschieden wird. Das ist inhaltlich durchaus aus dem Vertrag heraus interpretierbar. Es kann nicht sein, dass jemand aufgrund von Klima oder Armut ein Migrationsrecht erhält. Da hätten wir eine Entwicklung in dieser Welt, die man sich realpolitisch gar nicht vorstellen kann."

Die 193 Uno-Mitgliedsstaaten hatten sich im September 2016 auf den Abschluss des Migrationspakts geeinigt. Das 34 Seiten lange Dokument soll helfen, Flüchtlingsströme besser zu organisieren und Rechte der Betroffenen zu stärken. Betont wird in dem Papier auch, dass die Souveränität der Nationalstaaten und ihr Recht auf eine selbstständige Gestaltung ihrer Migrationspolitik durch den Pakt nicht angetastet werden und keine völkerrechtliche Bindung bestehe.

Nicht nur in Mexiko steigt der Migrationsdruck.
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Den Vorwurf der Symbolpolitik wiesen die Regierungsspitzen zurück. "Auch wenn der Vertrag völkerrechtlich nicht verbindlich ist – wieso sollte man Inhalte unterschreiben, die man nicht unterstützt?", fragte Strache die anwesenden Journalisten. Auch wenn keine völkerrechtliche Verbindlichkeit gegeben sei, könnte aus dem Pakt ein Gewohnheitsrecht entstehen, gab der Vizekanzler zu bedenken. "Auch wenn der Pakt nicht sofort rechtsverbindlich wird, ist doch so etwas wie eine indirekte Selbstverpflichtung vorgesehen, wenn man ihn unterschreibt", ergänzte der Bundeskanzler. "Nachdem es hier Inhalte gibt, die wir so nicht teilen, würden wir es nicht als sonderlich ehrlich empfinden, ihn zu unterschreiben."

Geschlossene oder offene Grenzen? Auffanglager innerhalb oder außerhalb Europas? Im Juli hatte sich DER STANDARD in Wien zum Thema Flüchtlingspolitik umgehört
DER STANDARD

Kritik der Opposition

Der angekündigte Ausstieg hat am Mittwoch in der Opposition scharfe Kritik hervorgerufen. Der außenpolitische SPÖ-Sprecher Andreas Schieder hält die Entscheidung für "schlecht überlegt". "Damit löst man keine Probleme, sondern verschließt nur die Augen davor." Schieder befürchtet zudem, dass Kurz und Strache damit "den Ruf Österreichs als verlässlicher Partner der westlichen Wertegemeinschaft beschädigen".

Die Liste Pilz kündigte eine "Protestaktion" gegen die Entscheidung an, gab aber zunächst weder Ort noch Zeit bekannt. "Ich lade schon jetzt alle DemokratInnen herzlich dazu ein, sich an dieser Aktion zu beteiligen. Wir werden ehestmöglich die Details bekanntgeben", schrieb Parteiobfrau Maria Stern in einer Aussendung. Alma Zadić, außenpolitische Sprecherin der Partei, beklagte: "Die Entscheidung der österreichischen Bundesregierung zeigt, dass es ihr wichtiger ist, vordergründig innenpolitisch zu punkten, als die globalen Herausforderungen anzugehen und diese gemeinsam mit anderen Staaten zu bewältigen."

Die Neos kommentierten die Entscheidung auf Twitter ironisch mit den Worten: "Funfact: Der österreichische Verhandler für den #Migrationspakt war Außenminister @sebastiankurz."

Anschober spricht von Armutszeugnis

Oberösterreichs grüner Integrationslandesrat Rudi Anschober kommentierte die Entscheidung mit den Worten: "Es ist ein Armutszeugnis, dass sich mit der Ablehnung des UN-Migrationspaktes die österreichische Bundesregierung in dasselbe Eck stellt wie Trump und Orbán. Es zeigt aber auch neuerlich deutlich auf, dass ganz offensichtlich Teile der österreichischen Bundesregierung keine Lösungen der Herausforderungen durch Migration wollen."

Auch das Österreichische Rote Kreuz kritisierte die Entscheidung: "Aus humanitärer Sicht ist es unverständlich und ein falsches Signal, dass es die Bundesregierung nicht geschafft hat, sich zu einem Minimalkonsens der Menschlichkeit durchzuringen, der ausdrücklich unverbindlich ist und auch dazu beitragen soll, Migration in geordnete Bahnen zu lenken", erklärte Rotkreuz-Präsident Gerald Schöpfer.

AfD fordert, dass auch Deutschland nicht unterzeichnet

Viel Lob kam indes von der rechtspopulistischen AfD. Deren Fraktionsvorsitzende Alice Weidel forderte umgehend, dass auch Deutschland den Migrationspakt nicht unterzeichnen dürfe. "Nach den USA und Ungarn haben unsere Nachbarn aus Österreich ebenfalls Klarsicht bewiesen und den Globalen Migrationspakt abgelehnt", erklärte Weidel. "Auch Deutschland darf dieses Machwerk nicht unterzeichnen", das "ein unkalkulierbares Risiko für unser Land und ganz Europa" sei.

Österreichs Ruf werde nicht leiden

Dass Österreichs internationaler Ruf unter dem Ausstieg leiden wird, erwartet Kurz nicht. Es komme auf UN-Ebene immer wieder vor, dass Länder gewisse Initiativen unterstützen und andere nicht. Der Kanzler geht im Übrigen davon aus, dass auch noch andere Staaten dem Pakt nicht zustimmen werden. Und es werde viele Staaten geben, die zwar beitreten, sich am Ende aber nicht an die Zielvorgaben des Abkommens halten werden. Auch Strache sieht Österreich durch den Schritt nicht isoliert. (red, APA, 31.10.2018)