1996 versteigerte Christie’s das Gemälde "Trinkender Landsmann" eines Nachfolgers von Adriaen van Ostade. Die Rückseite zeigt das Etikette der für Adolf Hitler tätigen Galeristin Maria Almas-Dietrich. Ein Anhaltspunkt für weitere Recherchen, die unterblieben waren.


Foto: Uli Kohl und Stefan Oláh

Manche Kunstwerke waren während des Zweiten Weltkriegs in Depots eingelagert, jedoch nie Gegenstand einer "Entziehung" gewesen. Sie wurden irrtümlich dem Denkmalamt übergeben und 1996 als "herrenlos" versteigert: etwa im Falle dieses Bildes, das dem Wiener Kunsthändler Benno Moser gehörte.

Foto: Uli Kohl und Stefan Oláh

Friedrich von Amerlings "Morgenländerin" (1839) war einst in der Sammlung von Richard Freund beheimatet. Raubkunst, wie sich zwischenzeitlich herausgestellt hat. Seit der Mauerbach-Auktion ist der Verbleib dieses Bildes unbekannt

Foto: Christie’s

Stolen Art from Stolen Lives: Unter diesem Titel warb Christie's vor 22 Jahren für eine in Wien anberaumte Benefizauktion, die sich dieser Tage jährte. Am 29./30. Oktober 1996 gelangten im Vortragssaal des Museums für angewandte Kunst (MAK) knapp 8000 Kunstwerke und Objekte zur Versteigerung, die während des Zweiten Weltkriegs von den Nazis beschlagnahmt worden waren und "deren Besitzer", so der offizielle Wortlaut, "nicht ermittelt werden konnten".

Sie waren nach Kriegsende von der US-Armee an diversen Bergungsorten aufgestöbert und der Republik übergeben worden: unter der Auflage, diese an die rechtmäßigen Vorbesitzer zu restituieren. Zuständig war das einst auch in die Enteignungen involvierte Denkmalamt. Dort reduzierte sich der Eifer auf das Inventarisieren, sporadisch auch auf die Beauftragung restauratorischer Maßnahmen und das Erstellen penibler Listen. 1963 wanderte eine Reihe von Kunstgegenständen an diverse Museen. Bis heute befinden sich zahlreiche solcher Zuweisungen in Bundesmuseen und werden fortlaufend von Provenienzforschern bearbeitet.

Kein Schlussstrich

Drei Jahrzehnte, zwei Kunst- und Kulturgutbereinigungsgesetze (1969, 1985) und damit verbundene Rückgaben später hatte sich der in der Kartause Mauerbach eingelagerte Bestand reduziert. Allerdings nicht wesentlich. Denn die Beschreibung der Gegenstände der in der Wiener Zeitung veröffentlichten und in österreichischen Gesandtschaften ausgehängten Listen hatte man bewusst spartanisch gehalten. Die Idee dahinter: Die Kenntnis von Details sollte die Eigentümerschaft belegen.

Statt der erwarteten 2,76 Millionen Euro spielte die sogenannte "Mauerbach-Auktion" 10,17 Millionen ein. Zwölf Prozent des Reinerlöses kam österreichischen Verbänden (u. a. Opfer des Faschismus) zugute, 88 Prozent NS-Opfern. Wer einen Schlussstrich unter ein dunkles Kapitel der österreichischen Nachkriegsgeschichte wähnte, sollte irren.

2008 Entlarvung des "herrenlos"-Mythos

Im Dezember 2008 fand im MAK die Ausstellung Recollecting statt, die Kunst- und Alltagsobjekte aus jüdischem Eigentum und deren Geschichte zwischen Raub und Restitution zeigte. Zu den eigens für die Schau konzipierten Arbeiten gehörte die Installation Retracing the Tears von Arye Wachsmuth und Sophie Lillie. Sie basiert auf einer Fotodokumentation von Bildrückseiten der versteigerten Objekte, ergänzt um Dokumente aus dem Archiv Bundesdenkmalamts, die 1996 für die Forschung noch nicht zugänglich waren.

Lillie war damals für die Israelitische Kultusgemeinde Wien (IKG) tätig, und ihr waren die unzähligen Etiketten, Stempel, Namen und Zahlen auf den Rückseiten der Bilder aufgefallen. Sie bat den damaligen IKG-Präsidenten Paul Grosz, sie fotografisch dokumentieren zu dürfen. "Mach", antwortete er, übergab ihr den Schlüssel für das Depot in Mauerbach. Uli Kohl und Stefan Oláh, zwei befreundete Fotografen, erledigten die Arbeit.

Anhaltspunkte für Recherchen

Für ihre Installation wählten sie und Wachsmuth 220 solcher Rückseiten: ein Panorama von Anhaltspunkten, die ignoriert worden waren. Wie Lillie herausfand, hatte es sich teils gar nicht um einst entzogene Kunstwerke gehandelt, teils hätte man sie schon vor Jahren restituieren können. Der Auftrag an das Auktionshaus umfasste jedoch keine Recherche, sondern nur Verwertung und Katalogisierung. Dabei sei mehrmals nachgefragt worden, wie IKG-Geschäftsführerin Erika Jakubovits in einem Gespräch 2016 betonte. Die Antwort war stets die Gleiche, das übergebene Gut sei herrenlos.

Seither gingen zehn weitere Jahre ins Land, passiert ist nichts. Dass die damaligen Käufer über die Versteigerung rechtmäßiges Eigentum erwarben, bleibt nur ein Aspekt in der Geschichte.

Kein Forschungsprojekt

Warum sich die Kommission für Provenienzforschung nicht der Sache annahm? Die Objekte befänden sich nicht mehr in Bundeseigentum, weshalb es auf Forschungsebene keinen Handlungsbedarf gebe, erklärt deren wissenschaftliche Koordinatorin Eva Blimlinger auf STANDARD-Anfrage. Nachsatz: Es sei jedem unbenommen, sich des Projekts anzunehmen.

Auf symbolische Weise nimmt sich nun das Haus der Geschichte Österreich (HdGÖ) dieses Themenkomplexes an. Zu den dort ab nächster Woche unter dem Titel Aufbruch ins Ungewisse – Österreich seit 1918 gezeigten Werken gehört nicht nur das nach einer Skizze von Alfred Hrdlicka gefertigte Waldheim-Pferd, sondern auch die Kunstinstallation von Arye Wachsmuth und Sophie Lillie. Sie repräsentieren die Zäsur, die den Umgang der österreichischen Gesellschaft mit der eigenen Vergangenheit veränderte. (Olga Kronsteiner, 3.11.2018)