Eröffnet wird das Haus der Geschichte in der Neuen Burg am Heldenplatz, Minister Blümel will es lieber "Haus der Republik" nennen und ans Parlament anbinden.

Foto: Hertha Hurnaus

Foto vom Tag der Ausrufung der Republik im Jahr 1918 auf der Stiege des Parlamentsgebäudes.

Foto: ÖNB

Der Titel Aufbruch ins Ungewisse, unter dem am 10. November in der Neuen Burg am Heldenplatz das Haus der Geschichte Österreich (HdGÖ) eröffnet wird, zielt auf die Gründung der Ersten Republik im Jahr 1918 ab. Er passt aber ebenso gut zu dem Zeitgeschichtemuseum selbst. Denn jahrzehntelang politisch um stritten, verschoben und umgeplant, liegt seit vergangener Woche wieder eine neue Idee auf dem Tisch: Kulturminister Gernot Blümel (ÖVP) denkt an, es in "Haus der Republik" umzubennen und organisatorisch ans Parlament anzubinden. Die Skepsis ist groß.

Will mehr Platz und Budget für das HdGÖ: Monika Sommer.
Foto: APA/GEORG HOCHMUTH

STANDARD: Von George Orwell gibt es das Zitat "Wer die Vergangenheit kontrolliert, kontrolliert die Zukunft; wer die Gegenwart kontrolliert, kontrolliert die Vergangenheit." Unterschreiben Sie das?

Sommer: Aleida Assmann, Friedenspreisträgerin des Deutschen Buchhandels und Mitglied unseres wissenschaftlichen Beirats, sagt, jeder Blick in die Vergangenheit ist von der Gegenwart aus gerichtet. Jede Generation interpretiert die Vergangenheit neu.

STANDARD: Ist das der Grund, weshalb jede neue Regierung versucht, dem Projekt Haus der Geschichte ihren Stempel aufzudrücken?

Sommer: Geschichte, vor allem Zeitgeschichte, lässt niemanden kalt. Wir zeigen bei uns auch den langen und verschlungenen Weg zur Realisierung des ersten zeit geschichtlichen Museums der Republik, da war nicht nur die Po litik beteiligt, auch die Wissenschaft war sich lange uneins.

STANDARD: Nun hat Kulturminister Blümel (ÖVP) Änderungen beim HdGÖ angekündigt. War das Vorgehen mit Ihnen abgesprochen? Der wissenschaftliche Beirat wusste nichts vorab.

Sommer: Dass es eine Initiative des Ministers geben würde, kam nicht überraschend, die wurde angekündigt. Eine geplante Evaluierung von Ort, Konzept und Finanzierung stand schon im Regierungsprogramm. Das ist auch gut so. Wir brauchen mehr Platz und mehr Budget, um internationalen Standards gerecht zu werden. Es gab hinsichtlich der prekären Budgetsituation Gespräche mit dem Kabinett, die Pressekonferenz wurde kurzfristig anberaumt.

STANDARD: Das Haus soll aus der Nationalbibliothek herausgelöst und strukturell ans Parlament angebunden werden. Ist Ihnen das überhaupt recht?

Sommer: Mit der Pressekonferenz ist das klare politische Commitment erfolgt, dass auf dem Fundament, das wir nun in Rekordzeit für das HdGÖ gelegt haben, weiter aufgebaut werden wird. Das ist erfreulich. Die Zukunft war ja reichlich ungewiss. Jetzt wird unmittelbar nach der Eröffnung mit dem Kabinett, dem Parlament, dem Beirat und mir an der künftigen Struktur gearbeitet werden.

STANDARD: Wird die politische Unabhängigkeit des Hauses damit gestärkt oder geschwächt?

Sommer: Wichtig ist die institu tionelle Eigenständigkeit und die wissenschaftliche Unabhängigkeit. Das Vorbild ist sicherlich die Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland.

STANDARD: Ziel müsste es doch sein, dass das HdGÖ ein eigen ständiges Bundesmuseum wird und keine Unterabteilung, oder?

Sommer: Ein eigenständiges Bundesmuseum, das heißt eine wissenschaftliche Anstalt öffentlichen Rechts, ist eine mögliche Rechtsform für das HdGÖ.

STANDARD: Was halten Sie von der Idee, es in "Haus der Republik" umzubenennen? Mit Geschichtsmuseum verbindet man das ja nicht mehr unbedingt.

Sommer: Ich möchte zuerst die künftigen Rahmenbedingungen klären und dann über den Namen sprechen. Minister Blümel hat ja in der Pressekonferenz auch von einem Arbeitstitel gesprochen.

STANDARD: Das HdGÖ wird in einer Woche, am 10. November, eröffnet. Was ist da konkret vor 100 Jahren passiert?

Sommer: Das Faszinierende an den Umbruchstagen 1918 ist die demokratiepolitische Zäsur: Mit der Ausrufung der Republik auf der Rampe des Parlaments am 12. November wurde das Volk zum Souverän. Bei den Wahlen, die im Februar folgten, zählte nun erstmals jede Stimme gleich viel.

STANDARD: Wie viel Geschichte können Sie auf der geringen Ausstellungsfläche vermitteln?

Sommer: Wir gehen bis in die Gegenwart und wollen einen Schlüssel zum Verständnis der politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen bieten. Wir nehmen die politische Zäsur 1918 zum Ausgangspunkt, blicken aber auch zurück auf die Demokratieentwicklung seit 1848. Wir folgen dabei nicht der gewohnten Erzählung von 1918 als Start in das Scheitern der Ersten Republik, sondern zeigen 1918 als Aufbruch ins Ungewisse, als offene Zukunft. In Österreich ist im Unterschied zu vielen anderen Staaten 1918 eine friedliche parlamentarische Revolution gelungen. Sie hat in den ersten Jahren entscheidende positive Weichstellungen gebracht, die auch im internationalen Vergleich fortschrittlich sind: das Frauenwahlrecht und eine wegweisende Sozialgesetzgebung. Wir fragen auch nach den wirtschaftlichen Verhältnissen und beleuchten die drei EU-Ratspräsidentschaften Österreichs. Und wir fragen nach dem dramatischen Weg in die beiden unterschiedlichen Diktaturen.

STANDARD: Woran ist die Erste Republik letztlich gescheitert?

Sommer: Zentral war sicherlich, dass der Glaube an die Überlebensfähigkeit dieses kleinen Landes nicht vorhanden war. Nicht einmal unter Intellektuellen war dieser Staat allgemein akzeptiert. Dass der "Anschluss" an Deutschland untersagt wurde, damit hat man sich in "Deutschösterreich", wie es zunächst hieß, nur mühsam arrangieren können. Die schlechte wirtschaftliche Lage war zentral und die Radikalisierung an den politischen Rändern.

STANDARD: Von Letzterer rührt bis heute die nicht abgeschlossene Begriffsdebatte über "Austrofaschismus" bzw. "Ständestaat" zwischen Sozialdemokraten und Bürgerlichen. Wie zeigen Sie das?

Sommer: Die Benennung der Jahre 1933/34 bis 1938 ist tatsächlich eine offene Debatte. Es gibt jetzt den Begriff der "Kanzlerdiktatur" von Helmut Wohnout, der viel leistet und auf den sich viele Wissenschafter verständigen können. Wir haben ihn in der Praxis bei Schülern erprobt. Da hat sich gezeigt, dass junge Leute den Begriff mit dem Reichskanzler, also dem NS-Regime, verwechseln. Das wollen wir nicht. Daher haben wir in der Ausstellung eine Installation vorbereitet, wo wir genau zeigen, woher die unterschiedlichen Begriffe kommen, wie sie verwendet wurden und was die Kritik daran ist. Unser Vorschlag ist übrigens "Dollfuß/Schuschnigg-Diktatur". Auch dieser hat freilich Schwächen, weil er Dollfuß und Schuschnigg gleichsetzt.

STANDARD: Was kann man von dieser Ersten Republik lernen?

Sommer: Dass wir täglich darauf achten müssen, dass Demokratie und Rechtsstaatlichkeit verletzliche Dinge sind. Die Geschichte führt vor Augen, wie man diese Schritt für Schritt abschaffen kann. Lernen kann man auch, wohin Polarisierung und Radikalisierung, die immer zuerst bei der Sprache beginnt, letztlich führt. Wir müssen heute wieder sensibilisieren dafür, dass Sprache etwas über den Zustand einer Gesellschaft aussagt.

STANDARD: Wie erzieherisch kann ein Museum wirken? Wie bringt man positive und negative Geschichtsbilder in Einklang?

Sommer: Das ist sicherlich eine Gratwanderung. Denn einerseits gibt es die klare Verpflichtung, dass wir den Zivilisationsbruch des Holocaust als solchen vermitteln. Andererseits ist es auch wichtig, positive Vorbildbeispiele aus der Geschichte zu zeigen. Wir tun das zum Beispiel mit einer Videoinstallation, in der wir Menschen zeigen, die sich für eine für die Allgemeinheit relevante Sache eingesetzt haben. Jede Generation steht vor einem Aufbruch ins Ungewisse und muss die Gegenwart gestalten. Da hat jeder Einzelne eine Verantwortung, das zu tun. Ich glaube aber schon, dass es wichtig ist, dass es auch augenzwinkernde, erheiternde Momente in der Ausstellung gibt.

STANDARD: Welches Gefühl sollen Ausstellungsbesucher mitnehmen?

Sommer: Die Erkenntnis, dass österreichische Zeitgeschichte widersprüchlich und spannend ist und es sich daher sehr lohnt, sich mit ihr auseinanderzusetzen. (Stefan Weiss, 4.11.2018)