Wang Shaohua war in Tsingtao Feinmechanikingenieur, jetzt dreht er herausragend gefüllte Nudeln in Wien.

Foto: Gerhard Wasserbauer

Köstliche, mit gehacktem Gemüse und Schwein gefüllte Wantan, Wang macht alles selbst.

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So gut wie in Sydney, San Francisco oder sogar Brüssel wird man in Wien nicht so bald chinesisch essen können – auch weil die vergleichsweise kleine Community hier sich noch kein ähnlich öffentliches Selbstbewusstsein zutraut. Doch die Grundbedürfnisse chinesischer Ernährungskunst lassen sich in Wien mittlerweile ganz ordentlich stillen.

Schon gar, wenn man beim Naschmarkt wohnt und die Segnungen im Dunstkreis des Chinesen-Clusters zu empfangen weiß. Zwischen Chinazentrum und Hongkong Grillhaus, den famosen Nordost-Chinesen von Tofu & Chili, den sichuanesischen Wunderdingen von Topkoch Zhang Fa Jun im Nr. 27 und, natürlich, den gut sortierten Asia-Shops entlang der Wienzeile, lässt es sich schon halbwegs ostasiatisch aushalten.

Acht Sitzplätze

Wobei: Einen ordentlichen Nudelshop, in dem es satisfaktionsfähige, handgemachte Teigtaschen wie Jiaozi und Wantan gibt, musste man die längste Zeit vergeblich suchen. Bis vor ein paar Monaten das Wang in der Kettenbrückengasse aufgesperrt wurde.

Dass wir uns recht verstehen: Natürlich ist das kein heiliger Tempel der minütlich frisch gefalteten Nudel, wie sie in den riesigen Schauküchen der Schnellrestaurants von Din Tai Fung gefertigt werden, die seit ein paar Jahren von Taiwan aus die Welt erobern und längst mit Michelin-Sternen geschmückt werden. Davon müssen wir hier noch länger träumen.

Bei Wang Shaohua gibt es acht Sitzplätze, mehr lässt die Imbisskonzession, mit der er das Lokal betreibt, nicht zu. Der Mann kommt aus Qingdao, der Hafenstadt am Gelben Meer, die bei uns vor allem für Tsingtao-Bier bekannt ist. Dort war er Feinmechaniker, bis ihn seine Frau, einst Krankenschwester und heute diplomierte Fremdenführerin, nach Österreich nachholte.

Die acht Sitzplätze sind lästig, weil man sich oft die Beine in den hungrigen Bauch steht, bis einer frei wird. Sie haben aber auch ihr Gutes, weil Wang auf diese Art wirklich alles selbst machen kann. Köstliche, mit gehacktem Gemüse und Schwein gefüllte Wantan zum Beispiel, außerordentlich würzige Glücksbringer von seidig schlutziger Konsistenz. Sie schwimmen in einer wasserklaren, dünnen Brühe, die mit Seetang, ein wenig Eistich, Jungzwiebel und Sauergemüse angereichert ist.

Die Kraft dieser Suppe muss man in der Fülle ihrer Nudeln suchen: dicht gepackt und mit Kräutern, Rinden und Samen so muskulös gewürzt, dass sie nach einem temperierenden, ausgleichenden Fluidum verlangen, in dem sich ihr Facettenreichtum entfalten kann. So ein Topf kann einem die bösesten Geister vertreiben.

Umso bemerkenswerter, dass Wang schon um 9.30 Uhr aufsperrt – wenig vermag einem die Widerstandskraft gegen die Heimtücken des Alltags so wirksam zu maximieren wie Wantan-Suppe zum Frühstück.

Kraftvolle Ausgeglichenheit

Jiaozi, ob mit Schweinefleisch und Sellerie oder Chinakohl, mit Bärlauch, Garnelen und Schwein oder mit Tintenfisch und Schwein gefüllt, sind allesamt gut. Der Teig ist bissfest und flutscht doch wie es sich gehört, die Füllungen sind durchaus kraftvoll, aber stets ausgeglichen gewürzt. Wang stellt sowohl dunklen Reisessig dazu, wie ihn die Chinesen zum Dippen wollen, als auch Sojasauce: "Die Wiener verlangen immer Sojasauce."

Baozi, wundersam süßsalzige Germknödel, gibt es auch, mit feiner Füllung aus Shiitake, Schwein, Zwiebeln und Mu-Err-Pilzen. Einen schnellen Snack zum Mitnehmen hat Wang ebenso auf Lager, knusprig-luftiges Roujiamo-Fladenbrot mit einer Fülle aus in Soja geschmortem Rind mit Koriander und grünem Chili. Das macht zwar gleich Lust auf mehr und liegt auch nicht aufstoßbereit im Magen – dafür ist es aber keine Leberkässemmel.(Severin Corti, RONDO, 9.11.2018)

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