Unterwegs in Lastwagen suchen Migranten aus Guatemala, Honduras und El Salvador ihr Glück im Norden. 3000 haben bereits in Mexiko um Asyl angesucht. Auf der Migrantenkarawane fliehen sie vor Armut und Gewalt in ihren Heimatländern.

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Migration ist ein politisches und kulturelles Megathema und wird es auch weiterhin bleiben. Die Weltbevölkerung wächst, Verkehrswege und Transportlogistik sind hochgradig entwickelt, moderne Informationstechnologie führt den krassen Gegensatz der Lebenswelten so klar vor Augen wie nie zuvor in der Weltgeschichte. Migration geschieht ganz überwiegend außerhalb der westlichen Sphäre; meist unkoordiniert und auf wenig geregelte Weise. Der Migrationspakt reagiert auf diese komplexe Ausgangslage, die nach einer globalen Antwort verlangt, aber der Text ist, was er ist: ein diplomatisches Papier, das einen sehr breiten Bogen über die unterschiedlichsten Rechtskulturen und Interessenlagen spannt und daher eines nicht sein kann: präzis, unzweideutig und differenziert.

Wenn Friedhelm Frischenschlager nun wissen möchte, was die Regierung eigentlich dagegen habe, "wenn die UN ausdrücklich für reguläre Migranten Arbeiten, Bildung, Familienzusammenführung erleichtern will", lässt sich eine relativ einfache Antwort formulieren: weil es so nicht im Text steht. "Reguläre" Migration ist zwar die Zielvorstellung des Papiers, aber nicht die durchgehende Beschreibungsebene des Textes, der ganz überwiegend mit dem globalen und maximal undifferenzierten Begriff "Migrant" operiert. Nur wenige Bestimmungen sind spezifischer und richten sich dezidiert an "Arbeitsmigranten" – aber "Migrant" ist nun einmal auch, wer durchaus nicht regulär eingewandert ist, und selbst auch, wer über keinen legalen Aufenthaltstitel verfügt. In der Schweiz leben zwischen 90.000 und 250.000 "Sans-Papiers", die österreichischen Zahlen dürften ähnlich sein. Die Quellländer irregulärer Migration wären keine guten Vertreter der Interessen ihrer Staatsbürger, wenn sie nicht darauf hinarbeiten würden, ihr Schicksal zu erleichtern. Wäre der Pakt so präzis, wie sich seine Kritiker das wünschen, dann hätte er nicht mit der Zustimmung vieler vor allem afrikanischer Staaten rechnen können.

Auf der anderen Seite stehen die westlichen Länder: Sie haben das gegenläufige Interesse, den Bereich regulärer Migration möglichst scharf zu umgrenzen und Grauzonen zu minimieren. Ihre Zustimmung wird vor allem durch die Zusicherung der Rechtsunverbindlichkeit ermöglicht. Würde der Pakt einen Prozess der verbindlichen Verrechtlichung in Gang setzen, dann wäre auch der Westen nicht an Bord, denn dafür sind die Bestimmungen einerseits zu weitgehend, andererseits zu unspezifisch. Doch Hansjörg Tengg irrt, wenn er – aus westlicher Sicht – den Pakt als Instrument zur Erleichterung von Migration in "wenige Zielländer" begreift. Der allergrößte Teil der weltweiten Migrationsbewegungen geschieht in Schwellenländern und Ländern der sogenannten Dritten Welt, oft chaotisch und ohne größeren rechtlichen Rahmen. Hier ist der Pakt ein enormer Fortschritt, da er überhaupt erst einen Koordinierungsrahmen und ein ausformuliertes transnationales Problembewusstsein schafft.

Fragen an die Regierung

Wer wie die Uno in einem globalen Rahmen denkt und denken muss, wird den Pakt als einen ersten Schritt begreifen, dem weitere folgen werden. Der Pakt ist ein Beginn und kann kein Endpunkt sein, weder aus westlicher noch aus nichtwestlicher Perspektive. Doch all das war lange vor dem November 2018 bekannt. Wenn nun Zweifel an der Rechtsunverbindlichkeit des Textes auftauchen, wird sich die Regierung ebensolche Zweifel an der grundsätzlichen Professionalität ihrer Arbeitsprozesse gefallen lassen müssen. Verfügt das Außenministerium über keinen Rechtsdienst? Werden Bedenken dem Kanzler nicht kommuniziert? Was sagt es über die Arbeitsvorgänge innerhalb der Regierung aus, wenn der Vizekanzler und Bundesminister für öffentlichen Dienst und Sport die Zustimmung zu einem internationalen Vertragswerk mit einem Privatgutachten zu Fall bringen kann? Weder hat es die Regierung für nötig erachtet, den Pakt den Wählern zu erklären, noch wird die plötzliche Wende zureichend begründet. Die tumultartige Verabschiedung von diesem internationalen Regelungswerk wirft so auch einen Schatten auf die Führungsstärke von Sebastian Kurz. (Christoph Landerer, 8.11.2018)