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Trotz massiver gesellschaftlicher Umwälzungen auf der Insel ist eine Annäherung an die Republik Irland für die Unionisten noch immer ein rotes Tuch.

Foto: Reuters/CLODAGH KILCOYNE

Was nordirische Unionisten ausmacht, ist ihre Zustimmung zur Union zwischen Großbritannien und Nordirland. Als Irland 1922 geteilt wurde, in einen unabhängigen Staat im Süden und in eine "britische" Region im Norden, waren sie die treibende Kraft. Denn die mehrheitlich protestantischen Unionisten befürchteten, in einem selbstverwalteten Irland von einer katholischen Mehrheit dominiert zu werden.

Hinter diesen religiösen Vorbehalten standen politische, kulturelle und ökonomische Interessen. Die Protestanten sahen durch die Union mit Großbritannien den Fortbestand ihrer wirtschaftlichen Privilegien sowie den Zugang ihrer Erzeugnisse zum Weltmarkt gesichert. Im Falle einer gesamtirischen Unabhängigkeit argwöhnten die protestantischen Industriellen und Großbauern, sich in einem isolationistisch-konservativen Agrarstaat wiederzufinden. Somit optierten sie 1922 für den Verbleib bei Großbritannien. Als der Süden 1937 seine republikanische Verfassung verabschiedete, in der die "besondere Stellung der heiligen katholischen Kirche" festgeschrieben wurde, bestätigten sich die Ressentiments der nordirischen Protestanten einmal mehr.

Seither hat sich die Republik Irland, wo etwa Scheidungen bis 1995 verboten waren, radikal verändert. Referenden zur Liberalisierung von Homo-Ehe und Abtreibung, zuletzt auch zum Blasphemieverbot in der Verfassung, zeugen davon, dass sich das einst tief katholische Land neuen Realitäten gegenüber öffnet. Nicht zuletzt personifiziert Irlands populärer und offen schwuler Regierungschef mit indischen Wurzeln diesen Trend.

Auch die Gesellschaft im Norden durchlief in den letzten Jahrzehnten einen Wandel. Vor dem Hintergrund politischer Gewalt in den 1970ern und 80ern vermengten sich in den protestantischen Milieus Nordirlands paramilitärische Aktivitäten mit den religiösen Dogmen streng-konservativer Freikirchen. Gleichzeitig säkularisierte sich die irisch-nationalistische Minderheit des Nordens und versuchte entweder mit marxistisch inspiriertem Antikolonialismus Attentate zu rechtfertigen oder der Gewalt mit links-progressiver Rhetorik zu begegnen.

So standen sich während des Friedensprozesses der 1990er, in den die Republik stark eingebunden war, zwei ungleiche Inselteile gegenüber. Einerseits galt es im heruntergewirtschafteten Nordirland die Kriegsparteien zu Kompromissen zu bewegen. Andererseits erlebte die Republik Irland einen ungeahnten Wirtschaftsaufschwung, wurde vom Auswanderungs- zum Einwanderungsland und überwand endgültig die Schatten der postkolonialen, agrarischen Vergangenheit. Irlands EU-Mitgliedschaft spielte hierbei eine maßgebliche Rolle.

Vorbehalte der Unionisten gegenüber dem Staat im Süden bestanden freilich auch nach dem Friedensabkommen von 1998 fort. Doch führten der Abbau von Grenzkontrollen, gemeinsame Infrastrukturprojekte und satte EU-Subventionen zu einer zunehmenden Konvergenz der Interessen im Norden und Süden. Die wechselseitigen Verflechtungen der beiden Volkswirtschaften trugen das Ihre zum aufkeimenden politischen Pragmatismus bei. Die Lebensmittelindustrie verdeutlicht das besonders gut. Ein Viertel der nordirischen Milchproduktion wird in der Republik verarbeitet; Baileys wird in Dublin produziert, aber in Nordirland abgefüllt. Die Abhängigkeiten in diesem Sektor sind so stark, dass sogar radikale Unionisten in Kauf nehmen, ihre Produkte als "irisch" und nicht als "britisch" auszuweisen, wenn sie sich davon Vorteile erhoffen.

Mit dem Brexit-Referendum ist der Prozess der Annäherung zwischen irischen Nationalisten und Unionisten ins Stocken geraten. Die DUP, die weitaus größte Unionistenpartei im Norden, sieht in der Rhetorik der Brexiteers ihre ideologischen Ziele widergespiegelt. Nordirland soll integraler Bestandteil einer unabhängigen, britischen Nation sein. Die Abkapselung des Vereinigten Königreichs vom Rest Europas manifestiert sich in diesem Milieu auch in anderen Positionen. So lehnt die DUP Homo-Ehe, Abtreibung und Zugeständnisse bei Minderheitenrechten dezidiert ab. Im Gegensatz dazu hat sich in der Republik Irland ein Konsens etabliert, der die europäische Einigung als Chance begreift. Die "Europäisierung" der Bevölkerung finden dort auch in der zunehmenden Säkularisierung ihren Ausdruck.

Die gesellschaftspolitischen Gräben zwischen der Republik Irland und Nordirland haben sich somit vertieft – allerdings unter umgekehrten Vorzeichen als in den 1920ern. Daher steht die DUP nun Seite an Seite mit erzkonservativen Brexit-Hardlinern und gegen Theresa Mays Brexit-Deal. (Patrick Utz, 15.11.2018)