Donnerstagabend nahmen in Wien zahlreiche Menschen an dem Gedenkmarsch "Light of Hope" teil.

APA/HERBERT NEUBAUER

Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka wurde wiederholt von wütenden Zwischenrufen gestört und ausgebuht.

APA/HERBERT NEUBAUER

Wien – Anlässlich der 80. Jahrestags der Novemberpogrome hat die Jugendkommission der Israelitischen Kultusgemeinde (IKG) am Donnerstagabend zum fünften Mal zum Gedenkmarsch "Light of Hope" aufgerufen. Bei der Abschlusskundgebung auf dem Judenplatz sprachen neben IKG-Präsident Oskar Deutsch und Oberrabbiner Arie Folger auch österreichische Holocaust-Überlebende sowie Vertreter der Republik.

"Der Holocaust ist nicht vom Himmel gefallen", konstatierte Folger. Im Gegenteil gebe es eine "lange blutige Geschichte des Antisemitismus". Auch Deutsch mahnte, die Novemberpogrome nicht als isoliertes Ereignis zu sehen: "Es war vor 80 Jahren, aber es war nicht nur vor 80 Jahren." Die Novemberpogrome seien "weder der Anfang noch das Ende der Shoah" gewesen. "Das Ende waren die Gaskammern und am Anfang war der Hass." In diesem Sinne gelte es wachsam gegen Antisemitismus und Rassismus zu sein, denn Gedenken "macht nur dann Sinn, wenn wir die Lehren daraus ziehen". Neben mahnenden Worten fand Deutsch auch Grund zur Freude, nämlich "dass wir heute gemeinsam mit unseren Freunden aus Israel hier sind".

Die so Bezeichneten sind eine Gruppe von mehr als 70 österreichischen Shoah-Überlebenden, die derzeit auf Einladung der Bundesregierung Wien besuchen. Zwei von ihnen teilten ihre Kindheitserinnerungen an die Novemberpogrome in kurzen Redebeiträgen. Neben zerstörten Geschäften und Synagogen erinnerten sie sich auch daran, wie "Menschen nicht nur geschlagen, sondern auch erschlagen wurden".

Sobotka als "Heuchler" ausgebuht

Die Republik wurde durch Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka und Staatssekretärin Karoline Edtstadler (beide ÖVP) vertreten. Sie unterstrichen die historische Verantwortung Österreichs. Sobotka wurde wiederholt von wütenden Zwischenrufen gestört und ausgebuht. Bei den Demonstranten habe es sich um Donnerstags-Demonstranten gegen die türkis-blaue Regierung gehandelt. Das teilte der Sprecher Sobotkas unter Berufung auf die Polizei der APA mit.

Die Demonstranten beschimpften ihn aufgrund der Koalition mit der FPÖ unter anderem als Heuchler. IKG-Präsident Deutsch versuchte zu kalmieren und bat, politische Auseinandersetzungen beiseitezulassen. Die Störungen hörten jedoch erst auf, als Sobotka die Bühne verlassen hatte.

In Österreich wurden bei den Pogromen im November 1938 mindestens 30 Juden getötet, 7.800 verhaftet und rund 4.000 sofort aus Wien in das Konzentrationslager Dachau deportiert. Im gesamten Deutschen Reich wurden tausende Synagogen und Geschäfte niedergebrannt, nach offizieller damaliger Lesart 91 Personen getötet, tatsächlich starben aber während der Pogrome und in deren Folge weit mehr Menschen. Mehr als 20.000 Personen wurden verhaftet. Am Freitag, dem eigentlichen Jahrestag der von den Nazis zynisch als "Reichskristallnacht" bezeichneten Ereignisse, sind weitere Gedenkveranstaltungen geplant.

Van der Bellen: "Niemals wieder" keine Floskel

Bundespräsident Alexander Van der Bellen mahnte am Donnerstagabend bei einer Gedenkveranstaltung im Psychosozialen Zentrum Esra der IKG Wien, das "oft wiederholte 'Niemals wieder'" dürfe "nicht zur Pflichtübung oder zur Floskel verkommen". Man müsse die Geschichte als Beispiel sehen, "wohin Sündenbockpolitik, Hetze, Ausgrenzung führen können", sagte er am Ort des beim Novemberpogrom 1938 zerstörten Leopoldstädter Tempels.

Zwar wiederhole sich Geschichte niemals gleich, aber es gebe Situationen und politische Diskurse, "die Ähnlichkeiten aufweisen können". "Seien wir wachsam, sodass es niemals wieder zu Demütigung, Entrechtung und Verfolgung in unserem Land oder in Europa kommen kann", erklärte Van der Bellen. Er rief dazu auf, sich des hohen Wertes von Grund- und Freiheitsrechten und von Menschenrechten bewusst zu sein. Diese gelte es – wie auch die liberale Demokratie und Pressefreiheit – "täglich aufs Neue zu verteidigen".

Van der Bellen erinnerte an die Ereignisse vor 80 Jahren, an die Zerstörung von Synagogen und Bethäuser, Wohnungen und Geschäften. Noch mehr gehe es aber darum, jener Menschen zu gedenken, "die gedemütigt, gequält, vertrieben oder ermordet wurden". Besonders würdigte der Bundespräsident die bei der Gedenkveranstaltung anwesenden Zeitzeugen, denen er dafür dankte, dass sie ihre persönlichen Erinnerungen an die Verbrechen der Nationalsozialisten teilen. Das ermöglich es, Eindrücke davon zu vermitteln, was es bedeute, einer menschenverachtenden Ideologie, einer hasserfüllten Masse ausgesetzt zu sein. (APA, red, 8.11.2018)