"Best Practice": Frauenkette beim March for Freedom gegen Menschenhandel am 20. Oktober in der Ukraine.

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Seit der großen Fluchtbewegung 2015 habe sich die Anzahl der polizeilich erfassten Fälle von Kinderhandel in Deutschland fast verdoppelt. Und nicht nur dort – man könne diesen Trend in der gesamten Europäischen Union feststellen. Das sagte die Vertreterin der Koordinationsstelle gegen Menschenhandel in der EU in dieser Woche bei einem Symposium im Wiener Juridicum.

Allein diese Aussage zeigt, wie wichtig es (gewesen) wäre, dass Österreich den UN-Migrationspakt annimmt. Ungeordnete, chaotische, unüberschaubare Fluchtbewegungen machen es Menschenhändlern leicht, ungestört ihren dreckigen Geschäften nachzugehen. Deshalb müsste es ein Ziel aller zivilisierten Staaten sein, Migration zu kanalisieren und nicht den Überblick zu verlieren – und gemeinsam zu versuchen, an den Wurzeln der Flucht- und Migrationsgründe zu arbeiten. Diese Willensbekundung, die im UN-Migrationspakt steckt, ist ein kleiner, aber wichtiger Schritt dorthin.

Wenig Schutz für Opfer

Diesen verweigert Österreich zu gehen. Und noch mehr: Um Menschenhandel zu bekämpfen und die Drahtzieher dieses Verbrechens hinter Gitter zu bringen, müssten zuallererst die Opfer wirksam geschützt werden. Das ist in Österreich derzeit nicht der Fall. Dies war, unter anderem, eine niederschmetternde Erkenntnis des Symposiums im Juridicum. Experten diskutierten dort die Rechte der von Menschenhandel Betroffenen, eingeladen hatte die Plattform gegen Ausbeutung und Menschenhandel.

Die Rechte Betroffener sind gering. Der Schutz, den sie bekommen, ist lückenhaft. Es fängt schon mit der Unterbringung an: Vor allem für Minderjährige und Kinder gibt es kaum geeignete Quartiere, besonders prekär ist die Lage außerhalb Wiens. Jeder Kontakt zwischen Jugendbehörden und Polizei ist ein Balanceakt: Einerseits muss der Schutz von Kindern über allem anderen stehen. Andererseits müssen die Ermittlungsbehörden darauf drängen, dass die mutmaßlichen Opfer eine Aussage machen. Denn ohne Aussage keine Verurteilung der mutmaßlichen Täter.

Erholung und Bedenkzeit

Hier beginne für die Plattform-Vorsitzende Katharina Beclin das Dilemma. Die Rechtsprofessorin für Kriminologie und Menschenhandel nahm die Problematik genau auseinander: Menschenhandel beinhalte nicht nur die eine, verwerfliche Tat des Handels mit Menschen, sondern sie erzeuge auch Abhängigkeiten, aus denen sich die Opfer kaum oder zumindest nicht leicht befreien können. Scham und Angst machen die Menschen wehrlos. Männer, die etwa als billige Arbeitssklaven in fremden Ländern schuften, tun sich dabei noch schwerer als Frauen. Am schwersten ist es für Kinder, die oft von Geburt an Missbrauch und Gewalt ausgeliefert waren.

Für sie fordert Beclin im Namen der Plattform eine Bedenkzeit von mindestens 30 Tagen – so lange müssten es die Behörden mutmaßlichen Opfern gestatten, sich zu erholen und dem Einfluss der Menschenhändler zu entziehen. Erst danach sollen sie die Entscheidung treffen müssen, ob (und wie) sie mit den Behörden zusammenarbeiten – das beinhalte auch das Recht auf Entschlagung der Aussage, meint die Juristin.

"Sicherer Ort" statt Schubhaft

Was zur Bedenkzeit gehöre, sei jedenfalls die Unterbringung an einem "sicheren Ort". Dieser könne, auch das sagt Beclin klar, "nicht die Schubhaft sein". Der Verdacht, eine Person könne Opfer von Menschenhandel sein, solle auch "jedes Abschiebeverfahren bis auf weiteres sofort stoppen". Die derzeitige Asyl- und Fremdenpolitik läuft freilich in die entgegengesetzte Richtung. Der Innenminister rühmt sich, die Zahl der Abschiebungen massiv gesteigert zu haben. Das trifft mutmaßliche Täter (Stichwort Messerattentate) genauso wie mutmaßliche Opfer (Stichwort Menschenhandel).

Das Bemühen, verfolgten und missbrauchten Menschen in Österreich zumindest vorübergehend einen sicheren Ort zu bieten, ist von politischer Seite kaum vorhanden. NGOs, die sich (auch) um diese Opfer kümmern, werden in die Nähe von Schleppern gerückt und/oder finanziell ausgehungert.

Hintennach statt vorn dabei

Das könnte auch auf europäischer Ebene zum Imageproblem werden: Länder wie Georgien oder auch die Ukraine gelten mit ihren Bemühungen im Kampf gegen Menschenhandel mittlerweile als "Best Practice"-Beispiele. Auf österreichischer Seite haben sich etwa die frühere Außenministerin Ursula Plassnik (ÖVP) oder die ehemalige Frauenministerin Helga Konrad (SPÖ) sehr engagiert.

Von amtierenden österreichischen Politikern hat man bis dato in dieser Richtung wenig gehört. Dabei fehlte nicht viel: Der gesetzliche Rahmen zur Bekämpfung des Menschenhandels ist gesteckt – an der Umsetzung und beim Opferschutz hapert es noch.

Katharina Beclin, die Vorsitzende der Plattform gegen Menschenhandel, hätte da eine Idee: "Österreich könnte, wie beim Gewaltschutzgesetz, eine Vorreiterrolle in Europa einnehmen." Derzeit (siehe UN-Migrationspakt) sieht es eher so aus, als würde Österreich in Menschenrechtsfragen hinter anderen Ländern zurückbleiben. (Petra Stuiber, 9.11.2018)