Das Gründungsmanifest des Heinzenlandes ...

Foto: Bgld. Landesarchiv

... und sein Propagandist, Hans Suchard.

Foto: Bgld. Landesarchiv

Am Abend des 6. Dezembers 1918 – so erzählt man, und man erzählt es für gewöhnlich mit Amüsement – ist im Hotel zur Post, dem ersten Haus am Mattersdorfer Hauptplatz, die Republik Heinzenland ausgerufen worden.

Eigentlich – so muss dann dazugesagt werden – wollte man dies eh im nahen Ödenburg/Sopron tun, der Hauptstadt des zu errichtenden Freistaates. Aber es gab, wie immer bei sowas, Verzögerungen. Der Waffentransport aus Wiener Neustadt war verspätet, die Verstärkung durch Freischärler des alten Generals Adolf von Boog kam nicht. Und so beschloss man eben, im feinen Gasthof und Hotel Steiger einzukehren. Die Führer der lokalen Garde, allen voran die Brüder Suchard, kommandierten die heinzenländischen Territorialkräfte.

Man präsentierte das Gewehr. Man trank was. Man schwang Reden. Die Mattersdorfer riefen nicht mehr staatstreu "Éljen!", sondern hochverräterisch "Hoch!". Man verlas das Gründungsmanifest. "Gott segne und schütze das freie deutsche Heinzenland", schmetterte Hans Suchard ins Publikum. Das tat der Herrgott nicht. Am nächsten Tag war der Spuk wieder vorbei.

Junges Nationalempfinden

Fred Sinowatz, der spätere SPÖ-Bundeskanzler, dessen Lebenstraum es gewesen ist, im Eisenstädter Landesarchiv ruhig seinen historischen Forschungen nachzugehen, beschrieb das Ganze 1961 in den Burgenländischen Heimatblättern so: "Dieses Unternehmen, dilettantisch vorbereitet, trug abenteuerlich-operettenhafte Züge."

Aber gerade in dieser Operettenhaftigkeit erzählt es von diesen Tagen im Herbst 1918, als ganz Europa zwischen dem Nicht-mehr-Krieg und dem Noch-nicht-Frieden hing. Mitteleuropa zerbröselte. Die Monarchie löste sich in ihre Bestandteile auf. Und die sich in die ihren. Die Säure des hysterischen Nationalismus zerfraß das so festgefügt Erschienene. Jenseits der Leitha noch mehr als diesseits eh schon.

Allerorten entstanden in jenen – heute würde man sagen: volatilen – Tagen Freistaaten und -staaterln. Vom Zipser Land im zur Slowakei werdenden Felvidék bis zum ungarischen Szeklerland im bald rumänischen Siebenbürgen. Im Jahr darauf rief man im Hotel Dobray im slowenischen Murska Sobota die freie ungarische Mura Köztársaság aus. Und um den Anschluss des Burgenlandes an Österreich im Herbst 1921 dann doch noch zu verhindern, wurde der 1918 als Heinzenland gescheiterte Landstrich zum ungarischen Freistaat Lajtabánság erklärt, von dem es immerhin zwei Ausgaben des Amtsblattes und einen Satz Briefmarken gibt.

Die Weltgegend, in der die Völker seit jeher ineinander, nicht nebeneinander siedelten, führte das Ordnungsverständnis der Sieger ad absurdum. Das Diktum des US-Präsidenten Woodrow Wilson, wonach jedes Volk das Recht haben solle, über sich selber zu bestimmen, musste hier, wo das Nationalempfinden noch dazu etwas ausgesprochen Junges und entsprechend Pubertäres war, echte Verwirrung verursachen.

Daraus mag sich vieles erklären. So auch diese Republik Heinzenland, deren Name sich wohl vom bis heute gesprochenen Regionaldialekt herleitet, dem Heanzischen. Deutschnationale Kreise, schrieb Sinowatz, verhochdeutschten die sogenannte Heanzerei und bezogen das auf den Beginn deutscher Besiedelung unter Kaiser Heinrich III. Jedenfalls sei dieser Name "umgeben von einem Hauch alldeutscher, professoraler Gelehrsamkeit, und er trägt unverkennbar das Zeichen nationaler Romantik".

Allmagyarische Romantik

Diese alldeutsche Romantik und der erwachende, ja schon erwachte Austromarxismus zogen einander durchaus an. Nicht nur hier, wo seit Jahrzehnten eine allmagyarische Romantik die Deutsch sprechenden Menschen so geschurigelt hat. Aber hier natürlich ganz besonders.

Hans Suchard, im Sommer schwer verwundet vom Krieg heimgekehrt, arbeitete als Bau-schreiber im nahen, österreichischen Wiener Neustadt, einem Zentrum der Rüstungsindustrie. Dort hat der Mattersdorfer Wochenpendler "den Zusammenbruch aktiv mitgemacht", wie er sich zehn Jahre später in der sozialistischen Burgenländischen Freiheit erinnerte.

Arbeiter- und Soldatenräte übernahmen die Macht und ein sehr ansehnliches Waffenarsenal. Damit wurde nicht nur die lokale Arbeitergarde ausgerüstet, sondern auch einiges für die westungarischen Genossen zur Seite geschafft.

Suchard kehrte nach Mattersdorf zurück. Am 6. November gab es dort eine überraschend gut besuchte Versammlung in eben diesem Hotel zur Post. Autonomiebefürworter und Anschlussbefürworter argumentierten und schrien gegeneinander. Schließlich wurde – es waren turbulente Zeiten – eine Volkswehr aufgestellt, eine Népörség. 300 Männer meldeten sich. 15 Kronen Tagessold gab es. Die Autonomisten plädierten für rot-weiß-grüne Armbinden. Hans Suchard, der Separatist, für solche in Rot nach dem Wiener Neustädter Vorbild. Man fand einen Kompromiss: Die Mattersdorfer Garde trug gar keine.

Gestützt auf diese räuberzivilistisch adjustierte – und wohl auch agierende – Garde wurde den ganzen November hindurch eine deutsche Verwaltung errichtet. Sogar der Stuhlrichter, wie man im Ungarland den Bezirkshauptmann nannte, wurde "entrechtet" und durch Vertraute ersetzt. "Ich", so Hans Suchard, "war derjenige, der als Versammlungsredner herumzog." Die Republik Heinzenland war im Bezirk Mattersdorf also halbwegs vorbereitet.

Operettenhaftes Abenteuer

Nun, am 6. Dezember, brachte ein Lkw 300 moderne Mannlicher-Gewehre und Munition aus Wiener Neustadt, sodass sich die bisher mit bloß "30 alten, verrosteten Werndlgewehren" ausgerüsteten Gardisten fast wie eine Armee vorkommen mochten. Ähnliche Transporte sollten über Királyhida/Bruckneudorf und Lajtaújfalu/Neufeld an der Leitha kommen. Dass die an der Grenze abgefangen wurden, wusste in Mattersdorf niemand. Man trank noch was und legte sich nieder im Gefühl, einen historischen Moment erlebt zu haben in dieser an großen, historischen Momenten so reichen Zeit.

In der Nacht kam von Ödenburg ein Panzerzug. Matterdorf wurde umstellt, Hans Suchard und drei Genossen verhaftet. Und wegen Hochverrates zum Tod verurteilt.

Am 7. Dezember erschienen die Wiener Zeitungen dennoch mit der Meldung, das in Ödenburg eine "Republik Heinzenland" gegründet wurde. Das operettenhafte Abenteuer wurde also gewissermaßen verschrien. Die Librettisten – vom General von Boog bis zum Wiener Neustädter SP-Bürgermeister Anton Ofenböck – beeilten sich, ihre Beteiligung zu dementieren.

Die Hochverräter wurden zu Weihnachten amnestiert. Niemand hat also Schaden genommen. Nicht einmal die Sache selbst. Gerald Schlag, der emeritierte Landeshistoriker des Burgenlandes, sieht in der Republik Heinzenland zwar eine "hilflose Groteske", allerdings sei "die Fernwirkung dieses Unternehmens doch beachtlich gewesen". Man erkannte – in Budapest, aber auch in Paris – den Ernst der deutschwestungarischen Frage. Im Dezember 1921, drei Jahre nach der Mattersdorfer Operette, trat das Heinzen- als Burgenland Österreich bei.

Roter Nazi

Hans Suchard wurde zum Mitbegründer der burgenländischen SPÖ, war Landtags-Abgeordneter. 20 Jahre später, am 9. Oktober 1938, erschien in der Zeitschrift Grenzmark ein Aufsatz von ihm mit dem Titel: "Warum ich Sozialdemokrat und weshalb ich Nationalsozialist wurde". Die Antwort war eine rhetorische Frage: "Ja, Herrgott, waren wir Arier denn ganz von Gott verlassen, dass wir unseren jüdischen Zeitungsschreibern glaubten, die da den Führer als ,Kapitalistenknecht' hinstellten?"

Nach dem Krieg arbeitete Suchard als Steuerberater und nebenher als Schriftsteller. Ab und zu erschienen besinnliche Geschichten. Hauptsächlich in heanzischer Mundart. In Mattersburg, wie das heinzenländische Mattersdorf seit 1924 heißt, hat man in den 1990er-Jahren eine Gasse nach diesem Hans Suchard benannt, der mit dem knapp dem Terror entkommenen Juden Adolf Berczeller die burgenländische Krankenkasse begründet hat. (Wolfgang Weisgram, 10.11.2018)