Die Republik Österreich feiert ihren 100. Geburtstag. Am 12. November 1918 wurde sie – damals noch unter dem Namen Deutsch-Österreich – feierlich proklamiert. Österreich wurde nach dem Auseinanderbrechen der Habsburgermonarchie eine parlamentarische Republik. Zwei Jahre später, mit der Verfassung von 1920, war die Erste Republik endgültig etabliert und Österreich als demokratischer Bundesstaat verankert.

Artikel 1 lautet: "Österreich ist eine demokratische Republik. Ihr Recht geht vom Volk aus." Zwei Sätze, in denen Glanz und Elend stecken, viel Stärke, die dieses Land ausmacht und trägt, aber auch großes Konflikt- und Gefährdungspotenzial. Zumal heute. Denn die liberale Demokratie ist vielerorts unter Druck, und das hat auch mit der Verfasstheit des "Volkes" – oder dem, was man dafür halten will – zu tun. "Volk" an sich ist ein prekärer Begriff, weil immer wieder politisch instrumentalisiert und missbraucht, vor allem, wenn er exklusiv, also ausschließend, gedacht wurde.

Das lässt sich mit einem Blick auf die vergangenen hundert Jahre recht klar erkennen: Immer dann, wenn die gesellschaftlichen Fliehkräfte zu stark geworden sind, wenn eine destruktive Wir-und-Ihr-Konstellation wirkmächtig wurde, kam es zu Zäsuren, die ihren historischen Tiefpunkt im NS-Terror gefunden haben. Es sind die unseligen Zeiten der Polarisierung, die in diese hundert Jahre tief eingeschrieben sind als jene Abgründe, die in diesem Jubiläumsjahr auch viel Stoff zum Ge- und Bedenken geliefert haben.

Inklusiver "Volks"-Begriff

An dem erinnerten Jahrhundert lässt sich allerdings auch sehen, wann es funktioniert hat. Die erste Verfassung war ein klassischer Kompromiss zwischen Sozialdemokraten und Christlichsozialen, so wie später die lagerverbindenden großen Koalitionen in der Zweiten Republik und die Sozialpartnerschaft. Es war aber auch ein wichtiges Symbol für einen inklusiven "Volks"-Begriff, dass das Frauenwahlrecht am Tag der Republiksausrufung beschlossen wurde. Ein (Wahl-)Volk ohne Frauen ist keines. Schon gar nicht in einer Gesellschaft, die sich als demokratische etablieren will.

Umgekehrt zeigen die Verheerungen des Nazi-Regimes, welche Verrohung möglich ist, wenn Menschen hetzen und verachten bzw. aufeinandergehetzt und dehumanisiert werden – als Juden, "Zigeuner", Behinderte, Homosexuelle, politisch Andersdenkende. Oder aktuell als Ausländer, "die Muslime" etc. Diese Gefahr ist latent immer da. Denn letztlich kann jeder zum "Anderen" erklärt werden.

Das ist die eindringlichste Lehre, die uns das Republiksjahrhundert erteilt: Der wichtigste Treibriemen für eine vitale Demokratie ist das gesellschaftliche Gespräch miteinander, nicht nur übereinander oder in der eigenen digitalen "Blase". Erst recht, wenn sich neue, immer unversöhnlichere Lager formieren und tiefe Risse durch die Gesellschaft gehen. Die Herausforderungen, vor denen das Land und die Menschen – alle, die hier leben – stehen, können nur gemeinsam gemeistert werden. Bleiben wir also im Gespräch. Eine Demokratie, die verstummt oder aber nur noch herumbrüllt, ist keine. (Lisa Nimmervoll, 9.11.2018)