Das hochgestellte Sternchen ist als Markierung weitverbreitet, um in der Schreibung auf "mitgedachte" Frauen hinzuweisen.

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Christiane Pabst ist eines von neun österreichischen Mitgliedern im 41-köpfigen Rechtschreibrat.

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Am Freitag tagt in Passau der Rat für deutsche Rechtschreibung. Das geht in der Regel mit wenig öffentlicher Aufmerksamkeit einher. Die Empfehlung, die diese zentrale Instanz in puncto deutschsprachige Orthografie etwa zur Beistrichsetzung vor eingeleiteten Infinitivgruppen abgeben wird, dürfte kaum breite Resonanz hervorrufen. Ob man künftig "Coffee to go" oder "Coffee-to-go" schreiben soll, werden vielleicht manche registrieren.

Seit ein paar Jahren steht aber auch eine emotional umkämpfte Frage auf dem Programm der Tagungen: Sternchen, Unterstrich, angehängtes x oder Binnen-I? Welche Schreibung ist die beste, um im Sinn der Gendergerechtigkeit die weibliche, "mitgedachte" Form im Schriftbild sichtbar zu machen? Christiane Pabst ist eines von neun österreichischen Mitgliedern im 41-köpfigen Gremium. Oder sagt man Mitglieder*innen?

STANDARD: Finden Sie es gut, im Rechtschreibrat nun über Unterstrich, Sternchen und Binnen-I entscheiden zu müssen?

Pabst: Nein. Denn eigentlich ist das erst einmal gar kein Thema für den Rechtschreibrat, weil es kein Thema der Orthografie ist, sondern ein sprachpolitisches. Wir als Rechtschreibrat sind ja nicht Architekt der Sprache. Architekt der Sprache ist die Gesellschaft. Wir als Rat haben nur die Aufgabe, dass die Statik dieser Architektur passt. Indem man uns aufträgt, über die Architektur zu entscheiden, stiehlt die Gesellschaft sich aus einer Verantwortung.

STANDARD: Wie meinen Sie das?

Pabst: Es wäre notwendig, dass wir den Diskurs über Gendergerechtigkeit erst gesellschaftspolitisch weiterführen. Die Sprache wird dann nachkommen.

STANDARD: Warum beraten Sie also darüber?

Pabst: Weil die Gesellschaft darauf drängt. Nur deshalb wird es eine Empfehlung geben. Die Menschen stellen sich vor, da ist der Rechtschreibrat und sagt, wie die Norm ausschaut, weil es halt eine Norm geben muss. Aber so ist es nicht. Die Norm wird von amtlichen Stellen gefordert.

STANDARD: Sie als Rat bräuchten also keine?

Pabst: Ich glaube, es ist noch nicht die Zeit da, dass man eine Norm vorgeben kann. Ich glaube sogar, dass es jenen, die nicht gerecht behandelt werden, nicht guttut, wenn wir voreilig eine sprachliche Lösung finden.

STANDARD: Warum?

Pabst: Was man erreichen will, ist ja eine Reflexion über den problematischen Stellenwert mancher Gruppen in der Gesellschaft. Aber wenn Leute sich gezwungen fühlen, ein Binnen-I zu verwenden, reflektieren sie gar nicht mehr, warum sie das tun. Und das hilft eigentlich nichts. Es besteht sogar die Gefahr, dass einer sagt, verwende ich halt das Binnen-I, und alle sind zufrieden, aber in Wirklichkeit habe ich eh eine andere Meinung. Ich halte umgekehrt auch nichts davon zu sagen, weil jemand kein Binnen-I verwendet, ist er politisch nicht korrekt und gegen Gleichberechtigung.

STANDARD: Kann die Verwendung nicht nach und nach Bewusstsein erzeugen?

Pabst: Natürlich gibt es Wechselwirkung im Denken und Sprechen. Aber das Binnen-I wird nicht Bewusstsein erzeugen, sondern nur die Diskussion über das Binnen-I. Und die wäre zu Ende.

STANDARD: Also trägt jemand wie Andreas Gabalier, der sagt, er singt die Bundeshymne so, wie er sie gelernt hat, mehr zum Diskurs bei?

Pabst: Wenn Gabalier das sagt, hat er eine Haltung. Dann weiß ich, woran ich bei ihm bin. Ich bin unvoreingenommen, halte ihn aber nicht gerade für einen Feministen.

STANDARD: Nutzen Sie selbst das Sternchen oder das Binnen-I?

Pabst: Ich verwende die Form mit Maskulinum und Femininum, weil ich finde, wenn man ausdrücken will, dass die Frauen auch gemeint sind, soll man das aussprechen. Wenn jemand sagt "die LehrerInnen", heißt dieses Stoppen vor dem "i" gar nichts.

STANDARD: Ist die Debatte nicht eigentlich unnötig, weil Sexus, das biologische Geschlecht, und Genus, das grammatische Geschlecht, im Deutschen nicht dasselbe sind?

Pabst: Ja, etwa ist "das Mädchen" als Sexus eindeutig feminin, keiner denkt es biologisch neutrum. Es ist also möglich, "der Lehrer" als Genus maskulin und als Sexus weiblich zu denken. Das ist in der Sprache drin, bloß denken wir es nicht so.

STANDARD: Wenn Sie Ende der Woche eine Empfehlung zur Schreibung abgeben, was passiert dann?

Pabst: Dann wird es den Lexikografen freigestellt, diese Empfehlung ins Regelwerk zu nehmen. Aber das Ergebnis ist keine verbindliche Norm. Vermutlich brauchen sich nicht einmal Schulen daran zu halten. Es gilt in erster Linie fürs Amt und Institutionen.

STANDARD: Trotzdem wird das Thema emotional diskutiert. Argumente sind unter anderem, dass die Schreibungen schwierig zu lesen und hässlich anzuschauen seien ...

Pabst: Natürlich ergibt sich die Problematik, dass Texte teilweise kompliziert oder grammatisch fraglich werden können. Aber ob es ästhetisch ist? Mit Ästhetik etwas Gesellschaftliches zu kommentieren, passt nicht. Das ist, als würde ich Farbe mit Geräusch in Zusammenhang bringen.

STANDARD: Ihre Empfehlung muss viele Kriterien erfüllen: Verständlichkeit, Lesbarkeit, Vorlesbarkeit, Rechtssicherheit, Eindeutigkeit, grammatikalische Richtigkeit. Was davon ist die härteste Nuss?

Pabst: Ich glaube, dass Lesbarkeit und Vorlesbarkeit ein Herzstück sind. Diese Schreibungen müssen ja auch in Medien gesprochen und bei Gerichtsurteilen verkündet werden können. Unsere Beratungen sind daher langwierig. In einer Arbeitsgruppe zu so einem Thema sitzen bis zu acht Leute. Eine Diskussion geht über vier, fünf Jahre.

STANDARD: Inwieweit sehen Sie sich als Bewahrer, wann resignieren Sie vor Sprachentwicklungen?

Pabst: Resignation ist es nicht. Der Rat ist immer am Aktualisieren, weil der Sprachwandel von den Sprachnutzern vorangetrieben wird. Das ist gut so und war immer schon so. Sprache trifft auf neue Notwendigkeiten. Und wenn es dabei zu neuen Konstruktionen kommt, muss der Rat eine Form finden, die sie in die Orthografie der deutschen Sprache einbindet. Und zwar so, dass es möglichst nachvollziehbar ist. (Michael Wurmitzer, 13.11.2018)