Für ihr Projekt "The Letter" ist die Künstlerin Belinda Kazeem-Kamiński kürzlich mit dem Cathrin-Pichler-Preis ausgezeichnet worden.

Foto: Akademie der Bildenden Künste Wien

In ihrer Arbeit erforscht Kazeem-Kamiński die Wurzeln von Rassismus.

Foto: Wienmuseum

Die Arbeit "Unearthing. In Conversation, Still" ist 2017 entstanden.

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Belinda Kazeem-Kamiński ist als Künstlerin, Autorin und Sozialwissenschafterin tätig.

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Die "Aschanti" waren die Attraktion des Sommers 1896. Ein ganzes Dorf mit rund 70 schwarzen Männern, Frauen und Kindern aus Westafrika hatte man in den Wiener Tiergarten verfrachtet, der sich damals noch in der Nähe des Praters befand. Die Wiener waren fasziniert von diesem Stück Exotik in der eigenen Stadt, allein im September besuchten nahezu 200.000 diese spezielle "ethnografische Ausstellung".

Der "Menschenzoo" war ein großer wirtschaftlicher Erfolg und hinterließ seine Spuren auch in Zeitungen und literarischen Texten der Zeit. Peter Altenberg etwa publizierte eine ganze Geschichtensammlung über die "Ashantee" im Wiener Tiergarten und widmete sie seinen "schwarzen Freundinnen, den unvergesslichen 'Paradieses-Menschen'".

Literarisches Erinnerungsmaterial

Belinda Kazeem-Kamiński hat sich intensiv mit dieser Zurschaustellung schwarzer Menschen und auch mit Altenbergs "Ashantee"-Texten beschäftigt. "Viele meinen, er habe den Ausgestellten damit eine Stimme gegeben", so die Wiener Künstlerin, Autorin und Forscherin im zumindest in Europa noch sehr wenig bearbeiteten Feld der Black Studies.

"Tatsächlich kritisiert er zwar die Gaffer, aber seine Prosaskizzen sind trotzdem voll von rassistischen, voyeuristischen und sexistischen Stereotypen." Ausgehend von diesem höchst ambivalenten literarischen Erinnerungsmaterial hat Belinda Kazeem-Kamiński einen neuen, eigenen Text verfasst, in dem sie die Zurschaustellung und die damit verbundenen Publikumserwartungen reflektiert.

Brief einer Ausgestellten

Auf dieser Basis ist schließlich das Projekt "The Letter" entstanden, für das sie am 7. November mit dem Cathrin-Pichler-Preis 2018 ausgezeichnet wurde. In dieser Arbeit verbindet die 38-Jährige Video, Performance, Sound und Text zu einem multidimensionalen Beispiel künstlerischer Forschung. "Ausgangspunkt ist der Brief einer der ausgestellten Frauen, der damals auch in einer Wiener Zeitung veröffentlicht wurde, nachdem man ihn ins Englische und daraus ins Deutsche übersetzt hatte", berichtet Kazeem-Kamiński.

"Ich nutzte diesen Brief als Möglichkeit, mich der Geschichte der sogenannten Aschanti-Schau abseits von dominanten und problematischen Quellen wie etwa Altenbergs Buch zu nähern." Indem sie den Brief in die Muttersprache der Verfasserin – Ga – rückübersetzen ließ und diesen während der Performance vorlesen lässt, lenkt die Künstlerin den Blick auf die Herkunft der menschlichen Ausstellungsobjekte. Damit stellt sie eine Verbindung zur europäischen Kolonialgeschichte und den damit verknüpften Stereotypen und Fantasien zu schwarzen Menschen her.

Angst vor dem Fremden

"Der Film", sagt Kazeem-Kamiński, "setzt sich mit Erinnerung und Archivierung auseinander. Welche Erinnerungen sind in der Gesellschaft präsent? Welche sind verschwunden und verdrängt?" Das oft gehörte Argument, dass Österreich keine koloniale Vergangenheit habe und der fragwürdige Umgang mit schwarzen Menschen deshalb vor allem eine Folge gegenwärtiger Probleme beziehungsweise der ewig menschlichen Urangst vor dem Fremden sei, hält Kazeem-Kamiński für wenig tragfähig.

"Auch wenn die Versuche, österreichische Kolonien zu gründen, auf Dauer nicht erfolgreich waren, hat die koloniale Sichtweise wie in allen europäischen Ländern natürlich auch hier das Denken der Menschen beeinflusst." Das werde deutlich, wenn man die Begriffe, Vorstellungen und Stereotypen unter die Lupe nimmt, mit welchen Schwarz-Sein verbunden ist.

Mit "The Letter" macht sich die forschende Künstlerin auf eine subtile Spurensuche, die vom Wiener Aschanti-Dorf im Tiergarten bis zum gegenwärtigen Leben schwarzer Menschen in der (deutschsprachigen) Diaspora führt.

Koloniale Wissensproduktion

Auch in ihrem an der Akademie der bildenden Künste Wien angesiedelten Forschungsprojekt "The Nonhuman. The Believer. The Alien. Unsettling Innocence" geht es um die kolonialen Wurzeln rassistischer Gewalt. "Kolonialismus beschränkt sich ja nicht nur auf die Aneignung von Land und die Ausbeutung von Bodenschätzen und Menschen", so Belinda Kazeem-Kamiński. "Unter seinem Vorzeichen wird auch Wissen mit all seinen Zuschreibungen verbreitet."

Einer dieser kolonialen Wissensvermittler war der Ethnologe Paul Joachim Schebesta, der von seinen Forschungsreisen im damaligen Belgisch-Kongo neben Beschreibungen diverser Volksgruppen und deren Lebensweisen auch zahlreiche Fotos von schwarzen Menschen mitbrachte. "Eines davon hat mich ganz besonders getroffen", berichtet die Künstlerin. "Darauf ist Schebesta mit einem schwarzen Mann abgebildet, dessen Größe er mit ausgestrecktem Arm über dem Kopf des Mannes anzeigt."

In ihrem Erstlingsfilm "Unearthing. In Conversation" tritt Kazeem-Kamiński mit den auf so enthüllende Weise Dargestellten in eine fiktive Unterhaltung. Ihr Versuch, die Gewalt auf Schebestas Fotografien durch technische Manipulationen verschwinden zu lassen, um sie nicht noch einmal in die Welt zu setzen, muss jedoch scheitern. "Im Video wird dieses Scheitern sichtbar gemacht, und seine Ursachen werden reflektiert."

Frühe Ausgrenzungserfahrungen

In ihrem 2016 mit dem Theodor-Körner-Preis ausgezeichneten Projekt "Naming what was once unnameable" befasst sich Belinda Kazeem-Kamiński mit frühen Diskriminierungserfahrungen schwarzer Frauen in einer mehrheitlich weißen, deutschsprachigen Gesellschaft. "Mir fiel auf, dass diese Frauen ebenso wie ich schon in sehr jungen Jahren erfasst haben, wann und mit welchen Mechanismen sie zu den 'Anderen' in der Mehrheitsgesellschaft gemacht werden."

Ausgehend von Interviews und Kindheitsfotos ihrer Gesprächspartnerinnen hat sie die Verwobenheit von Kindheitserinnerungen und Ausgrenzungserfahrungen sichtbar zu machen versucht. Dabei wurde zu Sprache gebracht, was für die Kinder damals nur fühlbar, nicht aber benennbar war.

"Die zentrale Erkenntnis aus dieser Arbeit ist der Umstand, dass die Diskriminierung strukturell in der Gesellschaft verankert ist und wenig mit der jeweiligen Person zu tun hat", berichtet Belinda Kazeem-Kamiński. "Für die Betroffenen ist das eine Erleichterung, auch wenn diese Einsicht nicht gerade schön ist." (Doris Griesser, 15.11.2018)