Zuwächse im Centbereich könnte man sagen: Seit 2010 stieg der Verdienst pro Kopf bescheiden.

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Gemessen an den Brauerei-Beschäftigten sind die Metaller in ihrer Herbstlohnrunde vergleichsweise weit gekommen. Die Brauer haben "ein goldenes Geschäftsjahr hinter sich", sagt der oberösterreichische Arbeiterkammer-Präsident Johann Kalliauer. "Und jetzt, nach sieben Verhandlungsrunden, haben wir ein Angebot von einem Prozent. Das ist eine unglaubliche Respektlosigkeit!"

Ein Vergleich der Einkommen in der EU gibt Gewerkschaftern und Arbeitnehmervertretern recht. Denn in der EU schaut Österreich schlecht aus. Die Bruttoverdienste je Arbeitnehmer stiegen zwischen 2010 und 2017 de facto gar nicht. Österreich liegt damit gerade einmal vor Finanzkrisen-Problemländern wie Italien, Spanien, Portugal, Kroatien, Zypern und Griechenland, in denen statt jährlicher Steigerungen Kürzungen vorgenommen werden mussten (siehe Grafik). Auch im Verhältnis zum Durchschnitt der EU-28 und der 19 Euroländer blieben die Einkommenssteigerungen in Österreich zurück. Während im EU-Schnitt ein Anstieg um 0,6 Prozent herauskommt, ist das Hochlohnland Österreich Schlusslicht.

Aufhol-Länder voran

Ganz oben auf der Liste rangieren nur sogenannte Aufholländer, die nach der EU-Osterweiterung in den Binnenmarkt gekommen sind. In Bulgarien sind die realen Bruttoverdienste je Arbeitnehmer in den vergangenen Jahren um 6,8 Prozent gestiegen – das ist deutlich mehr als in Lettland, Litauen und Rumänien, die auf knapp vier Prozent kommen, gefolgt von Polen, Tschechien, Estland und der Slowakei. Erst auf Rang neun kommt mit Schweden das erste Hochpreis- und -lohnland.

Auffällig an der von der Wirtschaftskammer auf Basis der Eurostat-Daten aus dem Mai veröffentlichten Aufstellung: Deutschland hat Österreich klar abgehängt. Beim nördlichen Nachbarn und Hauptexportpartner haben sich die realen Bruttoverdienste um 1,4 Prozent erhöht, wo in Österreich eine Null steht. Das liege vor allem an der extremen Lohnzurückhaltung, die in Deutschland vor der Finanzkrise gepflegt wurde, sagt der Konjunktur- und Einkommensexperte des Instituts für Höhere Studien, Helmut Hofer. Die wirke nach, werde sich erst durch den aktuellen Konjunkturaufschwung langsam ausgleichen. Gleiches gelte für den Arbeitsmarkt, der in Deutschland stärker angezogen habe als hierzulande. Die makroökonomische Entwicklung sei bis 2016, also bevor die Konjunktur wieder angezogen hat, nicht berauschend gewesen.

Inflation hoch

Als Hauptgrund für die schwachen Zuwächse der österreichischen Bruttoverdienste nennt der IHS-Experte die Inflation. Die Teuerung lag in den ersten Jahren nach der Finanzkrise deutlich über jener Deutschlands und auch über EU-Schnitt. Sie egalisierte einen Teil der Lohnerhöhungen, die trotz Krise so schlecht nicht waren. Darüber hinaus wird der Durchschnitt der realen Bruttoverdienste in Österreich von einem enormen Beschäftigungsanstieg verwässert. Seit 2010 sind rund 300.000 Jobs dazugekommen, rechnet Hofer vor. Die Zahl der unselbstständig Erwerbstätigen stieg um rund 300.000 auf 3.573.000, heuer kommen weitere 80.000 dazu. "Das drückt den Zuwachs natürlich", gibt IHS-Mann Hofer zu bedenken.

Die neu Angestellten werden in der Regel schlechter bezahlt als jene, die aus dem Arbeitsmarkt fallen, etwa weil sie in Pension gehen. Hinzu kommt ein hoher Anteil an Teilzeitkräften, der inzwischen bereits auf knapp 30 Prozent gestiegen ist. Bei Frauen sind bereits 48 Prozent teilzeitbeschäftigt, wobei in der Statistik alles über 35 Stunden als Vollzeit gilt.

Reale Zuwächse

Deutlich aussagekräftiger sei eine Betrachtung der Lohn- und Gehaltszuwächse je geleistete Arbeitsstunde, sagt Hofer – wie auch sein Kollege vom Wifo, Thomas Leoni. Und da schneide das Hochlohnland Österreich so schlecht nicht ab, zumal die durchschnittliche Arbeitszeit der Vollzeitkräfte gesunken sei. Von 2008 bis 2017 ist die geleistete Arbeitszeit je Person und Woche von 37,3 auf 35,2 Stunden gesunken. Zwei Stunden im Schnitt sei eine relevante Größenordnung, sagt Wifo-Mann Leoni. Auch deshalb sei die Reallohnentwicklung gesamtwirtschaftlich gut gewesen, es habe Zuwächse gegeben. Allerdings verzerren auch hier die Teilzeitverhältnisse das Bild.

Arbeiterkammer-Direktor Christoph Klein würdigt die Umstände, die zu realen Mini-Erhöhungen führen: Generationenwechsel, Unternehmensausgliederungen (und damit verbundene Wechsel der Belegschaft in schlechtere Tarifverträge) oder Phasen der Arbeitslosigkeit brächten häufig Verschlechterungen und drückten den Durchschnitt. Dabei gehe es, anders als im aktuellen Tarifkonflikt der Metaller, aber nicht um die Mindestlöhne. Er verweist auf Deutschland, wo die Metaller im Vorjahr heruntergerechnet auf plus 3,5 bis vier Prozent kämen, während die österreichischen plus 3,0 Prozent verbuchten. Dabei hätten die deutschen Metaller bereits die sechste Urlaubswoche. "Unsere verdienen eine kräftigere Erhöhung", sagt Klein, "die Managergehälter und Gewinnausschüttungen sind auch kräftig gestiegen." (Luise Ungerboeck, 14.11.2018)