Das 100-Jahr-Jubiläum der Republik haben wir in den letzten Tagen bis zum Überdruss gefeiert. Die Erste Republik: der Staat, den keiner wollte. Die Nazizeit: Horror. Die Zweite Republik: eine Erfolgsgeschichte. Und was kommt jetzt? Die Fortsetzung der Erfolgsgeschichte? Oder die Dritte Republik?

Manches spricht für das Letztere. Der Wechsel von Rot-Schwarz zu Türkis-Blau war mehr als nur ein Regierungswechsel und das Resultat auch etwas grundsätzlich anderes als die Regierung Schwarz-Blau 1. Da ist zum ersten die Absage an die Sozialpartnerschaft, die ein halbes Jahrhundert lang so etwas wie ein österreichisches Markenzeichen war, wie Schnitzel und Walzer. Plötzlich werden Entscheidungen nicht mehr im Konsens von Arbeitgebern und Arbeitnehmern getroffen, sondern einseitig von oben und ohne Absprache. Ein Markstein.

Und da ist zweitens die allmähliche Abwendung von Europa, wie sie die zweite Regierungspartei FPÖ unverblümt fordert und die die ÖVP stillschweigend mitmacht. Nicht mehr die großen demokratischen Staaten Westeuropas sind unsere natürlichen Partner, sondern jene osteuropäischen Staaten, die sich zur illiberalen Demokratie bekennen. Österreich, sagt der Politologe Anton Pelinka, ist praktisch neben Ungarn, Polen, der Slowakei und Tschechien der fünfte Visegrád-Staat. Und das nicht etwa aus historischer Verbundenheit, sondern allein aus der gemeinsamen Überzeugung: Wir wollen keine Flüchtlinge.

Gespaltenes Land

Und noch etwas ist neu an der entstehenden Dritten Republik. Das Land ist gespalten, aber nicht so sehr entlang der traditionellen Lager. Die Schwarzen sind nicht mehr schwarz, sondern türkis. Und die Roten changieren an den Rändern gelegentlich ins Bläuliche. Der wahre Gegner der derzeitigen Regierung ist nicht die parlamentarische Opposition, sondern die Zivilgesellschaft. Es geht nicht mehr in erster Linie um Rot gegen Türkis-Blau, sondern um Demokraten gegen Nichtdemokraten. Nichtrechtspopulisten gegen Rechtspopulisten.

Das hat sich besonders deutlich in der Präsidentenwahl gezeigt, als die Kandidaten von ÖVP und SPÖ unter ferner liefen rangierten und die Stichwahl zu einer Auseinandersetzung zwischen Norbert Hofer und Alexander Van der Bellen geriet. Wobei im Anti-Hofer-Lager sowohl traditionelle Konservative zu finden waren als auch traditionelle Sozialdemokraten, liberale Bürger, Kerzlweiblein und Avantgardekünstler. Sie waren in vielen Fragen verschiedener Meinung, aber in einer nicht: Sie wollten sich nicht eines Tages darüber wundern müssen, was, in den Worten des freiheitlichen Präsidentschaftskandidaten, in Österreich alles möglich ist.

Inzwischen haben wir uns ans Wundern gewöhnt. Darüber, dass eine Köchin gekündigt wird, weil sie nicht zwölf Stunden am Tag arbeiten will. Dass Lehrlinge, die ihr Betrieb dringend braucht, abgeschoben werden. Dass die Polizei eine Gruppe schwarzer Burschen aus einem Park vertreibt, aus dem einzigen Grund, weil sie schwarz sind. Peter Turrini hat in seiner Jubiläumsrede gesagt: Das ist ein Staatsstreich in Zeitlupe, hinein in die Unmenschlichkeit. Willkommen in der Dritten Republik. (Barbara Coudenhove-Kalergi, 14.11.2018)