Vithika Yadav engagierte sich in Indien mit ihrer Website "Love Matters" gegen sexuelle Gewalt.

Foto: Female Pleasure

Die Künstlerin Rokudenashiko in ihrem Vagina-Boot.

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Maria hat es noch hinbekommen: das mit der absoluten Hingabe, mit der Jungfräulichkeit vor, während und nach der Geburt – und dann ist sie auch noch die beste Mutter überhaupt. Doris Wagner muss schmunzeln, wenn sie die absurd makellose Vita der heiligen Mutter Gottes beschreibt, während sich die Apostel so ziemlich jeden Fehler leisten durften, was deren Heiligkeit freilich keinen Abbruch tut. Bei Maria nimmt man es hingegen ganz genau, und dieses Ideal verfolgt uns bis heute, wie Barbara Miller in ihrem Dokumentarfilm "Female Pleasure" zeigt. "Keine Frau kann dem gerecht werden, sagt die frühere Nonne Doris Wagner. Sie ist eine von fünf Protagonistinnen in dem Film, alle kommen aus verschiedensten Kulturräumen, wuchsen vor dem Hintergrund unterschiedlicher Weltreligionen auf, doch alle eint der Kampf gegen die Unterdrückung von Frauen über ihren Körper und ihre Sexualität.

Penisse am Stiel

Seit vielen Jahren gibt es intensive Diskussionen über den freien oder eben nicht freien Willen von Frauen, die verschiedenste religiöse Praktiken ausüben, und über "westliche" Zwänge, frei von religiösen Vorgaben. Die eine frauenunterdrückende Praktik wird dabei gern mit der anderen verglichen, aufgewogen, relativiert oder skandalisiert – und letztendlich wird es meist richtig kompliziert. Doch Barbara Miller schafft in ihrem Film einen klar erkennbaren roten Faden: Mit der weiblichen Sexualität von Frauen haben alle ein Problem, auch wenn der konkrete Umgang damit sehr unterschiedlich aussehen mag.

In Japan drangen zehn Polizisten in die Wohnung der Künstlerin Rokudenashiko ein, weil sie ihre Vulva mit einem 3D-Scanner vervielfältige, ein Kanu aus der Form ihrer Vulva baute und fröhlich damit ein paar Meter herumschipperte. Das brachte ihr eine Verhaftung wegen "3D-Unzüchtigkeit" ein, während gleichzeitig bei japanischen Fruchtbarkeitfesten Penisse am Stiel gereicht und selbige in riesiger Ausführung durch die Gegend getragen werden.

Vergewaltigung in der Ordensgemeinschaft

Andere Geschichten aus dem Film wie die von Deborah Feldman, die mit ihrem Sohn aus einer orthodoxen jüdischen Community flüchtete, sind schon vielen bekannt. Ebenso die zahllosen erschütternden Gewaltverbrechen gegen Frauen in Indien, während die sehr starke feministische Bewegung dort weit weniger publik ist. Dabei erreicht die in der Doku porträtierte Vithika Yadav mit ihrer Website "Love Matters" über Liebe und gleichberechtigte Beziehungen inzwischen Millionen Leserinnen und Leser.

Nicht zuletzt lenkt Miller den Blick auch auf die Institution Kirche, die es sich auch heute noch leistet, Gewalt gegen Frauen zu ignorieren – und damit zu tolerieren. Doris Wagner wurde in der Ordensgemeinschaft Das Werk vergewaltigt – und wandte sich nach einer qualvollen Zeit des Schweigens an den Höchsten im Amt, den Papst. Lange Zeit gab es keine Reaktion, dann lediglich diejenige, dass der Papst ihr Schreiben zur Kenntnis genommen habe – das war's.

Filmcoopi Zürich

Wie hart der Kampf ist, zeigen auch die eindrücklichen Passagen mit Leyla Hussein, die sich gegen Genitalverstümmelung engagiert – und sich in einer Szene schlicht ratlos fragt, warum "wir es immer und immer wieder erklären müssen, dass es falsch ist". Und alles nur "wegen der Vagina", wie es Rokudenashiko ausdrückt. Wegen der Vagina und eines gewaltigen kulturellen, religiösen Überbaus, dessen Logik zwar nicht schwer zu verstehen ist, wie Female Pleasure zeigt, aber umso schwerer zum Einstürzen gebracht werden kann. (Beate Hausbichler, 16.11.2018)