Für Kanzler Sebastian Kurz sind die Vorarlberger allein schuld an der massiv in Kritik geratenen Trennung einer schwangeren Frau von ihrem Mann und ihrem Kind.

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Wien – Ungewöhnlich scharf reagiert Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) auf Kritik aus Vorarlberg an einer umstrittenen Abschiebung. Im "VN"-Interview betont er mehrfach, dass Vorarlberger dafür verantwortlich seien, dass eine schwangere Mutter von Vater und Kind getrennt worden sei. Was die Wahlkampfkostenbegrenzung angeht, bezweifelt er den Sinn der derzeitigen Regelung.

Stresssituation

Der im STANDARD publikgemachte Vorfall um eine Familie in Sulzberg hatte überregional Schlagzeilen gemacht. Als das bestens integrierte Paar mit Kind im Morgengrauen zur Abschiebung abgeholt werden sollte, kollabierte die schwangere Ehefrau aufgrund der Stresssituation und musste ins Krankenhaus eingeliefert werden. Ungeachtet dessen wurden ihr Mann und der dreijährige Sohn von den Behörden nach Wien gebracht. Letztlich entschloss man sich im Innenministerium jedoch dazu, keine getrennte Abschiebung durchzuführen. Der Vorarlberger Landeshauptmann Markus Wallner (ÖVP) forderte angesichts der Causa, dass die Länder beim humanitären Bleiberecht wieder Mitsprache erhalten sollen, was die Regierung umgehend ablehnte.

Der Vorfall in Sulzberg überschattete am Donnerstag auch einen Auftritt von Kurz bei einem Europa-Bürgerdialog in Bregenz.

Dort sprachen ihn zunächst ein ehemaliger ÖVP-Kandidat, später eine freiheitliche und eine Grünen-Politikerin kritisch auf die Causa an, worauf sich der Kanzler einer Diskussion stellte, obwohl er die Veranstaltung eigentlich gerade verlassen wollte.

Kurz gibt Feldkirch die Schuld

In den "Vorarlberger Nachrichten" zeigt sich Kurz nun erbost. Er nennt den Vorfall in Sulzberg "unfassbar" und weist darauf hin, dass es so etwas bisher nur in Vorarlberg gegeben habe: "Ein solcher Fall wäre jedenfalls verhinderbar, wenn die Vorarlberger Verantwortlichen darauf achten würden, dass Kinder nicht von ihren Müttern getrennt werden." Vielleicht wäre die Aufsicht in Wien früher einzubinden gewesen, findet Kurz.

Zwist zwischen Kurz und Vorarlberg
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Freilich: Entschieden hat eine Bundesbehörde, nämlich die Außenstelle des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl in Feldkirch. Das ficht den Kanzler nicht an. "Das BFA in Feldkirch und die leitenden Personen, die leben hier, kennen die Situation. Von denen erwarte ich mir, dass sie die Gesetze kennen und mit Fingerspitzengefühl vorgehen", sagt Kurz und droht: "Wenn so etwas noch einmal vorkommen sollte, dann wird es eine strengere Kontrolle vonseiten des Bundes geben." Es sei manchmal einfach, von Vorarlberg auf Wien zu schimpfen: "Aber es sind Vorarlberger, die diese Entscheidungen treffen, in Feldkirch."

Grüne: "Schäbiges Abputzen"

"Bundeskanzler Kurz kann mit gerechtfertigter Kritik offensichtlich schlecht umgehen, nur so ist es zu erklären, dass er die Schuld an den jüngsten Abschiebefällen, die zu Recht große Empörung hervorgerufen haben, nun den Vollzugsbehörden in Vorarlberg in die Schuhe schiebt," kritisiert Grünen-Landessprecher und Landesrat Johannes Rauch die Reaktion des Kanzlers in einer Aussendung am Freitag.

"Es dürfte auch dem Kanzler bekannt sein, dass hier erstens Bundesgesetze vollzogen werden und zweitens die Behördenmitarbeiterinnen und -mitarbeiter weisungsgebunden sind. Es dürfte dem Kanzler auch bekannt sein, dass die Vollzugspraxis bei Einvernahmen im Asylverfahren und bei Abschiebungen von der Bundesregierung beziehungsweise vom Innenministerium vorgegeben werden. Diese Vorgaben sind seit Amtsantritt dieser Bundesregierung noch einmal weiterverschärft worden. Es ist also ziemlich schäbig, sich als Politiker und noch dazu als Kanzler nach völlig berechtigter Kritik an unmenschlichen Abschiebepraktiken an der Beamtenschaft abzuputzen", so Rauch weiter.

Rauch: Don't mess with Vorarlberg!

Kurz könne sehr rasch eine Verbesserung herbeiführen, "wenn er von seiner Haltung abrücken würde, dass Länder und Gemeinden auch in Zukunft bei besonderen Härtefällen nichts mitzureden haben", schreibt Rauch, der damit an das humanitäre Bleiberecht erinnert.

Abschließend meint Rauch: "Was Sebastian Kurz vielleicht nicht weiß: Es ist noch keinem Bundeskanzler gut bekommen, wenn er sich mit Vorarlberg angelegt hat!"

Kritik an Kurz kam auch von den Neos. Deren Vizeklubobmann Gerald Loacker sagte in der "Kronen Zeitung", die Rüge von Kurz an die Vorarlberger sei "eines Kanzlers absolut unwürdig".

Auch Sabine Scheffknecht, Landessprecherin der Neos, sieht die Verantwortung bei der Bundesregierung, "deren Mitglied Sebastian Kurz schon wesentlich länger ist, als ihm wohl lieb wäre". Scheffknecht: "Wir Vorarlbergerinnen und Vorarlberger haben in den letzten Wochen Rückgrat bewiesen und sind für rechtsstaatliche und menschliche Asylverfahren aufgestanden. Etwas mehr Rückgrat würde auch einem Bundeskanzler gut stehen."

SPÖ verteidigt Behörden

Reinhold Einwallner, für die SPÖ im Nationalrat, verteidigt die Behörden. Sie hätten nichts anderes getan, als ihre Aufgabe, nämlich ein Bundesgesetz zu vollziehen. Einwallner: "Sie sind dabei an die Weisungen des Innenministeriums gebunden. Das sollte man als Bundeskanzler eigentlich wissen." Schlussendlich müsse Sebastian Kurz seine Kritik daher an seinen Innenminister Herbert Kickl richten.

Für Jörg Leichtfried, stellvertretender SPÖ-Klubvorsitzender, sei es "unwürdig", sich als Bundeskanzler bei weisungsgebundenen Beamten abzuputzen. Leichtfried unterstütze die Forderung aus den Bundesländern nach einer Mitsprache der Länder und Gemeinden bei solchen Entscheidungen. "Es ist völlig klar, dass die Landeshauptleute vor Ort eine gute Einschätzung haben, ob die Bedingungen für humanitäres Bleiberecht erfüllt sind. Deshalb sollten sie mitreden können", sagt Leichtfried.

"Einfach nur armselig"

"Die Polizei und Beamte in Vorarlberg zu beschuldigen und pauschal in ein schlechtes Licht zu rücken ist eines Bundeskanzlers nicht würdig", kritisiert AK-Vizepräsidentin Manuela Auer und findet das Verhalten des Bundeskanzlers "einfach nur armselig".

Landeshauptmann Markus Wallner (VP) kann den Unmut nicht teilen. "Man muss schon fair sein", sagt er, "der Bundeskanzler hat ganz klar gesagt, dass das Bundesamt für Asyl einen Fehler gemacht hat." Die Schuldzuweisungen an Vorarlberg nimmt Wallner gelassen: "Er hat ja auch recht damit, dass die Regionalstelle in Feldkirch ist und die Mitarbeiter die Umstände hier in Vorarlberg kennen müssten."

Landeshauptmann Wallner: Amt habe Fehler eingeräumt

Wallner: "Ich habe mit dem Regionaldirektor heute telefoniert und gefragt, ob sie sich die Dinge vor Ort so genau angeschaut haben, wie wir das gerne hätten. Und warum ein Kind von der Mutter getrennt wurde." Der Leiter hat eingeräumt, dass ein Fehler passiert ist.

Auch Kritik am Innenministerium relativiert Wallner: "Die Zuständigkeit für die Abschiebung liegt beim Bundesamt für Asyl, der Ablauf ist unter dessen Verantwortung gelaufen, nicht unter Weisung des Innenministeriums. Das Ministerium hat ja reagiert und den Fehler korrigiert."

Personelle Konsequenzen seien nicht notwendig. Den Verantwortlichen habe man deutlich gesagt, dass das Handling nicht optimal war. Wallner: "Jetzt wissen alle, so darf eine Abschiebung nicht ablaufen."

Der Sulzberger Fall wurde quasi zur Weiterbildung der Regionaldirektion Vorarlberg. "Sie wurde in diesem Zusammenhang grundsätzlich über die Grenzen einer getrennten Familienabschiebung informiert", heißt es aus dem Innenministerium. Das interne Kontrollsystem des Bundesamtes habe funktioniert.

Ärger über Strafzahlungen wegen Wahlkampfkosten

Mäßig erfreut ist Kurz auch über die Strafzahlung, die seiner ÖVP durch die Wahlkampfkosten-Überschreitung aufgebrummt wird: "Wenn Sie mich fragen, ob das derzeitige Gesetz sinnvoll ist, wage ich das zu bezweifeln. Es hat ein paar Schwachstellen. Die Parteien geben selbst an, wie viel sie ausgeben, und können das Gesetz mit dubiosen Vereinen umgehen. Wir haben den ehrlichen Weg gewählt und bezahlen deshalb eine hohe Strafe." (Jutta Berger, APA, red, 16.11.2018)