Spione, die eine fremde Staatsmacht bedienen, werden selten enttarnt – und noch seltener der Öffentlichkeit präsentiert.

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Manche spionieren aus ideologischen Gründen, anderen geht es nur ums Geld, manche stolpern hinein, andere werden dazu gezwungen. Spione, die eine fremde Staatsmacht bedienen, werden selten enttarnt – und noch seltener der Öffentlichkeit präsentiert. Aber wenn, dann ist das Interesse riesig, wie der aktuelle Fall eines 70-jährigen Ex-Bundesheeroffiziers zeigt, der seit den frühen 90er-Jahren für Russland spioniert haben soll.

Auch wenn Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) höchstpersönlich diesen Verdacht in einer spontan einberufenen Pressekonferenz offiziell äußerte, gilt für den Beschuldigten die Unschuldsvermutung.

Diskreter hätte vor mehr als 100 Jahren eigentlich die Affäre Redl bereinigt werden sollen. Doch der Vertuschungsversuch des kompromittierten k. u. k. Generalstabs scheiterte an investigativen Journalisten, allen voran an Egon Erwin Kisch in Prag. Die genauen Beweggründe, warum Alfred Redl, Österreichs wohl bekanntester Spion, militärische Geheimnisse der österreichisch-ungarischen Armee an Italien, Frankreich und vor allem an Russland verriet, sind bis heute nicht geklärt.

Eine Frage des Geldes

Lange wurde es für möglich gehalten, dass der Karriereoffizier wegen einer homosexuellen Affäre erpresst und zur Spionage gezwungen wurde. Historiker sind aber heute eher der Ansicht, dass Redl einfach für die Finanzierung seines aufwendigen Lebensstils Geld genommen hat. Das Militär hatte offenbar kein großes Interesse daran, Redls Motivation zu hinterfragen. Eine hochrangige militärische Delegation, die ihn verhaften sollte, gewährte ihm am 25. Mai 1913, sich in einem Hotelzimmer in Wien zu erschießen.

Ein anderer Österreicher, Arnold Deutsch, hat es in der Zwischenkriegszeit aus Überzeugung zum KPdSU-Agenten geschafft. Der studierte Chemiker aus Wien war Kommunist und wurde 1931 in Moskau von der Geheimpolizei der damals noch jungen Sowjetunion angeworben. Mehrere Missionen führten ihn durch halb Europa, die aus historischer Sicht bedeutsamste nach London, wo er einen der berühmtesten Doppelagenten Großbritanniens, Kim Philby, für Moskau gewinnen konnte.

Die Cambridge Five

Philby, der in Wien den Februaraufstand 1934 miterlebt hatte und mit einer Österreicherin verheiratet war, führte mehrere Jahre am Trinity College der Universität Cambridge die legendären Cambridge Five an – einen bis in die 60er-Jahre hinein aktiven sowjetischen Spionagering im britischen Inlandsgeheimdienst MI5.

Auch den Aufbau des US-Auslandsgeheimdienstes CIA nach dem Zweiten Weltkrieg sollen die britischen Russland-Spione unterwandert haben. Als Philby nach seiner dritten Karriere als Journalist in den USA als Doppelagent aufzufliegen drohte, setzte er sich in den 60er-Jahren nach Moskau ab, wo er bis zu seinem Tod 1988 lebte. Die spektakuläre Infiltrierung von Geheimdiensten ist bis heute Stoff für Agentenromane.

Arnold Deutsch starb vermutlich lange vor Philby während des Zweiten Weltkriegs. Er soll sich 1942 auf dem sowjetischen Tanker Donbass befunden haben, als dieser im Atlantik von einem deutschen Zerstörer versenkt wurde. Es gibt aber keine Beweise dafür, dass er an Bord war.

An den Cambridge Five, die den Russen unter anderem Geheimnisse der Atomwaffenforschung geliefert hatten, kiefelten westliche Dienste lange. Auch die weltpolitische Entspannung nach Ende des Kalten Krieges ist in der Beziehung westlicher und östlicher Geheimdienste nie angekommen.

Auseinandersetzungen über die Medien

Heute werden Auseinandersetzungen wieder verstärkt über die Medien betrieben, wie die Causa des in Salisbury vergifteten Ex-Doppelagenten Sergej Skripal zeigt. Fast alle Infos zu dem Attentat tauchten zuerst in gut informierten Medien auf. Mittlerweile behauptet London offiziell, dass Moskau hinter dem Anschlag mit dem Nervengift aus Sowjetzeiten stecken soll. Was der Kreml empört zurückweist.

Auch die jüngsten Hinweise auf den mutmaßlichen Russland-Spion beim österreichischen Bundesheer sollen vom britischen Auslandsgeheimdienst MI6 lanciert worden sein.

Das Mitrochin-Archiv

Viele Details über langjährige Aktivitäten des sowjetischen Geheimdienstes KGB wurden erst in den vergangenen Jahren bekannt. Hauptverantwortlich dafür ist das Mitrochin-Archiv, benannt nach Wassili Mitrochin, einem Archivar des KGB, der nach dem Zusammenbruch der Strukturen jenseits des Eisernen Vorhangs überlief.

1992 übergab Mitrochin dem britischen Geheimdienst einen Schatz. Jahrzehntelang hatte er KGB-Protokolle handschriftlich kopiert und nun in den Westen geschmuggelt. Die mehr als 300.000 KGB-Akten sind am Churchill College in Cambridge einzusehen.

Christopher Andrew, Universitätsprofessor und offizieller Historiker des MI5, hat dankenswerterweise daraus zwei Bücher gemacht: "The Sword and the Shield: The Mitrokhin Archive and the Secret History of the KGB" und "The Mitrokhin Archive: The KGB in Europe and the West".

In den Unterlagen finden sich zahlreiche Hinweise auf Österreich. Vor allem im Polizeiapparat sei es dem KGB nicht nur in den zehn Jahren der Besatzungszeit, sondern bis in die 80er-Jahre gelungen, Spione und Informanten zu platzieren.

Einer der aufgelisteten Decknamen lautet ZAK. Mit großer Wahrscheinlichkeit handelte es sich um Gustav Hohenbichler, den Vizechef der Wiener Staatspolizei, der Vorläuferbehörde des Verfassungsschutzes (BVT). Hohenbichler soll 1978 vom russischen Geheimdienst angeworben worden sein. Er verstarb, bevor der Spionageverdacht geklärt werden konnte.

Die Operation Edelweiß

Im Mitrochin-Archiv wird unter anderem eine "Operation Edelweiß" (wohl in Anspielung auf Hitlers gleichnamige Sommeroffensive in Russland 1942) genannt, bei der 1973 hochsensible Informationen aus dem Tresor der Staatspolizei unbemerkt entnommen, kopiert und nach Moskau geschickt wurden. Als Entlohnung sind 30.000 Schilling notiert, die der damalige KGB-Chef und spätere Generalsekretär des Zentralkomitees der KPdSU, Juri Andropow, höchstpersönlich freigab.

Der KGB-Archivar verriet auch Waffen- und Munitionsverstecke, die die Sowjets noch vor 1955 in Österreich hatten anlegen lassen. Unter anderem waren in Mayerling, Mollram, Weinersdorf, Heiligenkreuz und sogar im Stift Göttweig Schusswaffen, in der Mehrzahl Walther-Pistolen, für die kommunistische Résistance versteckt. In Moskau wurden penible Angaben zu den Verstecken gemacht, darin hieß es beispielsweise "in einem Mauerspalt, 1,5 Meter links von der alten Kiefer".

Jahre später, etwa zur Zeit des Prager Frühlings, stellte der KGB bei der Inspektion der Waffenverstecke fest, dass die Kisten verrottet und Munition abhandengekommen waren. Die meisten Pistolen waren aber intakt. Was damit geschah, ist nicht überliefert. (Michael Simoner, 18.11.2018)