Ed Ruscha (80) zählt zu den wichtigsten US-amerikanischen Künstlern der Gegenwart. Er lebt in Los Angeles.

Foto: Sten M. Rosenlund

Es ist so manches da, was es für eine Nationalparade brauchte: In schöner Symmetrie sieht man wehende Flaggen, an den Wänden hängen Felle von Trommeln. Darauf gedruckt finden sich Slang-Sätze, über deren Zusammenhang man länger diskutieren kann, die sich als Text für eine Hymne aber gar nicht schlecht eigneten, weil es da eh mehr ums (National-)Gefühl ginge. "It don't mean nothing" und "Don't hurt me no more" steht da ebenso wie "I can't find my keys nowhere".

Jenen Schlüssel, der einem die Ausstellung Double Americanisms in der Secession (bis 20. 1.) ganz aufschlösse, wird man tatsächlich nicht finden. Dafür hat Ed Ruscha, Großmeister der Pop-Art, schon gesorgt. Berühmt für seine genaue Beobachtung der amerikanischen Lebenswelt und schelmisch-poetische Textbilder, wirkt sein aktuelles Wiener Gastspiel dann aber auch nicht restlos doppelbödig: Die US-Fahnen, die hier auf Bildtafeln wehen, erscheinen, je weiter man in die Schau tritt, immer düsterer. Am Ende wehen gar nur Fetzen der "Stars and Stripes" vor schwarzem Himmel. Eine Zeitdiagnose?

"Stars and Stripes" in Fetzen: Ed Ruscha, Großmeister der Pop-Art, sieht dunkle Wolken über den USA aufziehen.
Foto: Heyne / Tom Raskin

STANDARD: Herr Ruscha, es heißt, Ihre Kunst sei jüngst politischer denn je. Stimmen Sie dem zu?

Ruscha: Ich kann es nicht abstreiten. Ich denke meine Kunst nicht politisch, aber die letzten Ausstellungen sind es vielleicht tatsächlich. Da sind diese Flaggen, die vermitteln gleich ein Gefühl, dass es da um Patriotismus oder Antipatriotismus geht. Ich schätze, es muss wahr sein, ich weiß es nicht.

STANDARD: Pop-Art-Künstler Jasper Johns wurde mit Bildern der "Stars and Stripes" berühmt. Wo sehen Sie die Unterschiede zwischen Ihnen beiden?

Ruscha: Ein Gemälde der US-Flagge war das erste Werk, das ich von ihm sah. Ich war 18 und baff. Die Arbeit erschien mir als gewaltiger Durchbruch. Es war so simpel: Er hatte dieses Bild genommen, das mutmaßlich von einer Frau, Betsy Ross, vor 200 Jahren geschaffen wurde. Flaggen sind normalerweise ganz glatt, er aber hatte jeden dieser Streifen aus kleinen Teilen zusammengesetzt – eine revolutionäre Methode. Ich hatte keine Schwierigkeiten zu erkennen, dass es um diese Methode ging. Jasper meinte immer: Die Leute sind zu fixiert auf das Wissen, dass es sich um eine Flagge handelt. Dabei sind es ja nur ein paar Streifen und ein paar Sterne, die zufällig der US-Flagge ähneln (lacht). Gut, sehr ähneln.

STANDARD: Inwiefern hat Johns Sie beeinflusst?

Ruscha: Ich wollte ihn nicht imitieren, die Beeinflussung kam eher über einen Hintereingang. Als ich in den 1980er-Jahren eine vor blauem Himmel wehende Fahne schuf, war das eine malerische Herausforderung für mich. Ich habe mich nie als Amerikaner gesehen und hätte auch die brasilianische Flagge malen können.

Diese Flagge schuf Ed Ruscha in den 1980er-Jahren. In der Secession präsentiert er zwei spiegelbildliche digitale Reproduktionen: "Mother’s Boys (reverse)", 2018.
Foto: Sophie Thun (Ausschnitt aus einer Ausstellungsansicht)

STANDARD: Eine US-Flagge, die sie 2017 malten, zersetzt sich vor schwarzem Himmel.

Ruscha: Irgendwann dachte ich, eine Fahne, die mehr als 250 Jahre lang geweht hat, darf ruhig ein bisschen zerfetzt ausschauen. Vor allem, wenn wir ihr dabei helfen.

STANDARD: Wie meinen Sie das genau?

Ruscha: Das Land, in dem ich lebe, befindet sich in einer sehr beunruhigenden, gefährlichen Periode seiner Geschichte. Ich sehe tatsächlich schwarze Himmel in der Zukunft.

STANDARD: Sie spielen auf Donald Trumps Präsidentschaft an. Was regt Sie an ihm am meisten auf?

Ruscha: Es gibt nichts, was mich an Trump nicht aufregt. Er ist spektakulär verabscheuungswürdig, eine extrem giftige Person, von der nichts Gutes kommt. Nie hatte er auch nur einen Hauch guten Willens gegenüber dem Menschen. Er steht für ein Nicken Richtung Faschismus und erinnert mich an Deutschland 1934.

STANDARD: Die Zerstörung von Nationalflaggen ist ein heikles Thema. Zielen Sie auch darauf ab, Tabus zu brechen?

Ruscha: Dass es da negative Interpretationen geben kann, ist mir bewusst. Als Künstler war es für mich aber einfach sehr befriedigend, die zerfallende Fahne zu malen. All diese Fragmente, die kleinen Fäden, die machen das Malen zur Freude.

STANDARD: Eine wichtige Referenz ist der fünfteilige Gemäldezyklus "The Course of Empire" (1836) von Thomas Cole. Er thematisiert Aufstieg und Verfall einer Gesellschaft. Was reizte Sie daran?

Ruscha: Ich sah die Bilder immer wieder im Museum der New York Historical Society, einem Haus, das vor 20 Jahren fast vergessen war. Für mich war Coles Statement etwas total Einzigartiges. Ich hatte wenige Künstler gesehen, die das Vergehen der Zeit thematisiert hatten. Ich beabsichtigte nicht, etwas Ähnliches zu machen, aber tatsächlich ist das Vergehen der Zeit ein zentrales Thema für mich. Ich habe etwa den Sunset Boulevard ab 1966 alle fünf Jahre fotografiert, um die Veränderungen zu beobachten.

STANDARD: Welche Parallelen sehen Sie zwischen Cole und Ihnen?

Ruscha: Cole war ein Luddit, ein Maschinenstürmer. Ich bin ebenso skeptisch, habe kein iPhone und arbeite nicht im Internet. Cole sah, wie um 1830 Wälder niedergeschnitten wurden und hasste das. Ich fahre viel durch die Wüste und sehe Ähnliches: Wo früher Pferdefarmen waren, sind heute Autos und Geschäfte, alles ist industrialisiert. Es gehen heute dieselben Dinge vor wie damals, nur in vielfach vergrößertem Maßstab.

Die schöne Widersprüchlichkeit doppelter Verneinungen in umgangssprachlichen englischen Sätzen fasziniert Ed Ruscha; für sein Gastspiel in der Secession applizierte er sie auf die Felle von Trommeln: "Nobody Denied Nothing" (2018).
Foto: Ed Ruscha, courtesy of the artist and Gagosian

STANDARD: Wo schnappen Sie die Texte auf, die Sie in Ihrer Arbeit verwenden?

Ruscha: Die Sätze geben wieder, wie die Leute sprachen, mit denen ich in Oklahoma aufwuchs. Vieles davon beinhaltet doppelte Verneinungen. Hier (Ruscha zieht einen Zettel mit Notizen hervor): "I can't take it no more" – das ist inkorrekt. Oder: "Don't never ever do that again" (lacht). Auf gewisse Weise heißt das ja: "Tu es wieder!" Das ist amüsant, es ist beeinträchtigtes Englisch. Manche sagen dieser Art zu sprechen auch besonderen Charme nach.

STANDARD: Sie haben die Sätze auf die Felle von Trommeln appliziert.

Ruscha: Die Felle sind Ausschussware, die ich vor 50 Jahren in einem Ledergeschäft gekauft habe. Ich mochte ihre Oberfläche – Tierhaut – immer, habe aber nie etwas damit gemacht. Wenn ich sie anschaue, denke ich daran, dass da viel draufgeschlagen wurde und dass das mit dem Stolz auf irgendjemandes Nationalität zu tun haben könnte. Das traf sich gut mit den Flaggen.

STANDARD: Es gibt den Gedanken, dass Kunst, sobald sie politisch wird, aufhört, Kunst zu sein.

Ruscha: Ich finde, es ist nicht notwendig, dass ich mit meinen Arbeiten etwas kommuniziere. Es geht um die Befriedigung, die Arbeit gemacht zu haben. (Interview: Roman Gerold, 17.11.2018)