Die Chancen, dass die britische Premierministerin Theresa May ihr Abkommen für einen weichen Brexit durchs Parlament bringt, schwinden von Tag zu Tag – und damit steigt das Risiko eines chaotischen Ausstiegs aus der EU am 29. März 2019. Im Grunde haben die Kritiker von allen Seiten recht: Mays Vertrag verschlechtert die Bedingungen für die britische Wirtschaft, ohne dem Land die Freiheit zu geben, die vom Brexit erhofft wurde. Sein einziger Zweck ist es, Schlimmeres zu verhindern.

Doch selbst wenn May das Misstrauensvotum in der Tory-Partei übersteht und doch noch eine Mehrheit für ihr Abkommen im Parlament zusammenklaubt, wird keine Normalität in die britische Politik einkehren. Die Brexit-Hardliner sehen die Vereinbarung mit Brüssel als Verrat am eigentlichen Wählerwillen des Brexit-Referendums und werden weiter dagegen ankämpfen. Gleichzeitig werden die EU-Befürworter Wege suchen, den schrittweisen Abschied aus Zollunion und Binnenmarkt, den das Abkommen vorsieht, möglichst zu verzögern.

Rosenkrieg und Referendum

Was immer geschieht, der Rosenkrieg wird weitergehen. Denn das Referendum von 2016 hat zwar eine Entscheidung für einen Brexit gebracht, aber nicht für eine umsetzbare Politik. Auch eine Verschiebung des Austrittsdatums zum Zweck weiterer Verhandlungen, über die jetzt spekuliert wird, kann an diesem Problem nichts ändern – genauso wenig wie Neuwahlen, die Labour-Chef Jeremy Corbyn fordert.

Der einzig denkbare Ausweg aus dieser Misere wäre es, das Volk noch einmal abstimmen zu lassen – und das gleich über drei Optionen: Wollt ihr den Brexit mit Mays Abkommen, wollt ihr ihn ohne das Abkommen, oder soll das Vereinigte Königreich EU-Mitglied bleiben? Ein zweites Referendum verlangen nicht nur Labour-Abgeordnete, sondern auch Tory-Politiker wie Jo Johnson, Boris Johnsons EU-freundlicher Bruder, der vor kurzem als Verkehrsminister zurückgetreten ist. Und auch wenn May es vehement ablehnt, könnte es ihr politisches Überleben sichern.

Für ein demokratisch legitimiertes Ergebnis müssten die Wähler die Möglichkeit haben, eine erste und eine zweite Präferenz anzugeben. Ein solches Alternative-Vote-System ist einfacher, als es klingt, es wird etwa bei Wahlen in Irland und Australien sowie zuletzt bei den Kongresswahlen im US-Bundesstaat Maine angewandt.

Neue Lage, neue Frage

Eine solche Abstimmung könnte Anfang 2019 stattfinden, rechtzeitig vor dem Brexit-Termin. Ihr Ausgang wäre völlig offen und dürfte vor allem davon abhängen, ob die Brexit-Hardliner, die wohl in der Minderheit bleiben werden, als zweite Wahl Mays Abkommen oder den Verbleib in der EU angeben. Das zweite Referendum würde sich vom ersten durch eine andere Frage und eine neue Lage unterscheiden und wäre daher nicht bloß eine Wiederholung, um das erste Votum auszuhebeln. Anders als im Juni 2016 hätten die Briten diesmal die Möglichkeit zu sagen, was für einen Brexit sie eigentlich wollen.

Eine Mehrheit für Mays Abkommen würde die Kritiker zum Verstummen bringen. Sollte doch der No-Deal-Brexit gewinnen, könnte danach niemand mehr behaupten, dass die Wähler nicht wussten, worauf sie sich einlassen. Und ein Ja zum Verbleib müsste zwar von den EU-27 abgesegnet werden, aber dem wird sich niemand entgegenstellen. Denn ein solches Votum wäre nicht nur das Beste für die Briten, sondern auch ein Sieg für Europa. (Eric Frey, 18.11.2018)