99 Prozent Zustimmung – das ist Werner Kogler, dem neuen und alten Bundessprecher der Grünen, fast peinlich.

Foto: APA/Hochmuth

"Nur neue, junge Quereinsteiger, das kann auch schiefgehen", sagt Werner Kogler, der auch in eigener Sache spricht.

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Werner Kogler wurde am Samstag beim Bundeskongress der Grünen zu deren Bundessprecher gewählt, eine Funktion, die er schon interimistisch innehatte. Zusätzlich soll er bei der EU-Wahl 2019 als Spitzenkandidat der Grünen ins Rennen gehen. Neu zusammengesetzt wurde am Samstag auch der grüne Parteivorstand.

STANDARD: Gratuliere zur Wahl. Aber nur 99 Prozent. Was ist da passiert?

Kogler: Das ist mir auch peinlich. Diesen Hang zu Nordkorea hätte ich den Grünen nicht zugetraut.

STANDARD: Diese Einigkeit ist bei den Grünen selten. Sitzt der Schreck über den Rausflug aus dem Parlament noch so stark in den Knochen?

Kogler: Es haben alle gemerkt, dass hier ein Jahr an der Wiederauferstehung gearbeitet worden ist – in einer Art und Weise, wie es uns nicht einmal die eigenen Leute zugetraut hätten. Und siehe da: Schulden saniert, neue Programmatik in Ausarbeitung, Schwerpunktsetzung auf radikal ökologisch und sozial gerecht und voll in die Auslage damit. Es ist eingelöst worden, dass eine ganze Garnison an jungen Menschen dasteht und auch g'scheite Politik macht. Da kommt wieder was, wir werden den Wind wieder drehen.

STANDARD: Allerdings muss man sagen, dass es keine Gegenkandidaten gab. Wollte sich sonst niemand dieses Himmelfahrtskommando antun?

Kogler: Das weiß ich nicht so genau. Wir haben aber schon andere Wahlen ohne Gegenkandidaten gehabt, und die sind nicht so gut ausgegangen.

STANDARD: Ihr Motto bei der Rede vor dem Bundeskongress war "Rudern statt sudern". Ist Ihnen das spontan eingefallen?

Kogler: Nein, das habe ich schon als Post-it auf alle Bürotüren gepickt. So viele Bürotüren haben wir ja eh nicht mehr.

STANDARD: Die Erwartungen an den Bundeskongress waren groß, dies sollte der Wiedererweckungskongress werden. Ist das aufgegangen?

Kogler: Ja, das ist gelungen. Die neuen Leute, die gekommen sind, haben alle geliefert. Da haben wir die Zukunft des politischen Rock 'n' Roll gehört.

STANDARD: Sie reden vom neuen Bundesvorstand der Grünen?

Kogler: Genau. Da sind einige der Next Generation dabei. Und dann der neue Finanzreferent, das ist ein Supertyp, der Wolfgang Raback. Und der Rudi Hemetsberger zieht sich mit mir die Gummistiefeln an und baut die Partei um.

STANDARD: Was ist mit den Frauen? Die erwähnen Sie gar nicht?

Kogler: Moment! Das ist ein Missverständnis. Natürlich geht es um die Frauen, Nina Tomaselli, Ewa Dziedzic, Lara Köck, dazu der Stefan Kaineder. Die stehen jetzt in der Auslage.

STANDARD: Was haben die denn zu bieten?

Kogler: Der erste Auftritt passt einmal perfekt. Die haben eine Frische und Fröhlichkeit und sind dennoch inhaltlich gut drinnen im Arbeiten. Und das Wichtigste in der Politik: Sie haben Überzeugungskraft.

STANDARD: Und wie wollen die Grünen das jetzt außerhalb ihrer Blase darstellen?

Kogler: Das ist eine berechtigte Frage. Darum geht's. Wir müssen uns wieder Flächen erarbeiten. Wir haben jetzt auch andere Wahlen. Die Geschichte in Innsbruck mit dem herausragenden Georg Willi, das war ja auch kein Zufallsprodukt, dass ein Grüner Bürgermeister wird. Im Gegenteil. In Salzburg hat Martina Berthold gute Chancen, sie könnte in die Stichwahl kommen – und dann ist alles möglich. Als Nächstes kommen die Europawahlen. Da müssen wir schauen, dass wir von unseren 3,8 Prozent von der Nationalratswahl weg- und wieder nach oben kommen, je höher, desto besser. Da werden wir weitere Lebenszeichen setzen.

STANDARD: Gibt es etwas aus den kommunalpolitischen Erfolgen, wie etwa in Innsbruck, das sich auf die Bundespolitik umlegen lässt?

Kogler: In Europa zeichnen sich auf kommunalpolitischer Ebene dramatische grüne Wahlerfolge ab, etwa in Belgien und Holland. In den Städten kommen die Grünen gut an. Das ist durch die Demografie zu verstehen. Da sind viele junge, mobile Leute, das ist ein genereller Trend. Aber das muss man erst einmal umsetzen. Georg Willi hat in Innsbruck mehr als 50 Prozent gemacht, noch dazu aus der Regierung heraus. Beim Georg Willi macht das Wesen viel aus, aber natürlich auch die Inhalte. Der hat ja einen rabiaten Wahlkampf geführt. Dass er so auf Verkehrspolitik gesetzt hat, hat zuvor anderen Grünen nicht immer gutgetan. Stark gepunktet hat er auch mit leistbaren Wohnen. Das wird auch in Salzburg ein Thema sein. Da trauen wir uns was zu. Was können wir daraus lernen? Den Georg kennt in Innsbruck jeder, der macht dort seit 30 Jahren Politik. Es gibt da kein Rezept. Nur neue, junge Quereinsteiger, das kann auch schiefgehen. Es ist nicht automatisch besser, wenn jemand 30 Jahre alt ist. Es geht um die Nachhaltigkeit des Auftritts. Darüber hinaus brauchst du auf der Bundesebene die sozialen und die klassischen Medien. Das ist eine taktisch-strategische Frage. Da ist der Unterschied zu vorher dramatisch. Da wir nicht mehr im Nationalrat sind, tun wir uns viel schwerer.

STANDARD: Was können die Grünen in Österreich von den Grünen in Deutschland lernen, die im Moment sehr erfolgreich unterwegs sind?

Kogler: Wir können uns diese Frische und die Fröhlichkeit abschauen. Vielleicht kann ich da einen Beitrag zum Gesamtklima leisten und auch selbst noch lockerer werden. Aber die Ausgangslage für die deutschen Grünen ist anders. Die kommen zweimal, dreimal jede Woche in einer Talkshow vor, da können sie mit ihrer Art, die anders ist als früher, gut punkten. Annalena Baerbock und Robert Habeck präsentieren sich sicher anders als ein Jürgen Trittin. Und das ist auch gut. Der Vergleich mit den deutschen Grünen hilft uns nur beschränkt weiter. Lernen können wir also etwas beim Zugang zur Politik, bei der Analyse und von der ehrlichen und erfrischenden Ausstrahlung.

STANDARD: Sie werden auch Spitzenkandidat für die EU-Wahl. Gibt's denn niemand anderen bei den Grünen?

Kogler: Wir bündeln die Kräfte. Natürlich gäbe es viele gute Kandidatinnen. Aber wir setzen jetzt alles auf eine Karte, weil sicher ist gar nichts. Wir haben zwar keine Umfragen, aber es könnte ja passieren, dass wir auch ins EU-Parlament nicht mehr reinkommen. Dann wird's wirklich finster für unsere Bewegung. Also setzen wir gerade auch auf diese Wahl. Und zuvor noch Salzburg, das gewinnen wir. Im Vergleich mit den anderen ist es für uns nicht so einfach, wir haben fast keine Mittel. Aber wir werden aufrichtig kämpfen.

STANDARD: Werden Sie sich als Bundessprecher wieder zurückziehen, oder gehen Sie dann auch als Spitzenkandidat in die Nationalratswahl?

Kogler: Die Nationalratswahl ist wieder was anderes. So weit haben wir noch nicht geplant. In zwei Jahren werden wir einmal innehalten und schauen, wer nachfolgen könnte, wie wir uns insgesamt aufstellen. Vielleicht macht ja eine Doppelspitze wie bei den deutschen Grünen Sinn, oder es bleibt bei einer Spitze. Die Frage der Nationalratskandidatur werden wir rechtzeitig entscheiden.

STANDARD: Wie schaut denn der ideale Spitzenkandidat oder die ideale Spitzenkandidatin aus?

Kogler: Die Person muss vor allem überzeugungsfähig sein, muss zuhören wollen. Sie braucht ein Wertefundament und inhaltliche Kompetenz. Sie soll engagiert für die großen grünen Ideen werben. Sie muss das so formulieren, dass es mehr als nur zehn Prozent verstehen. Was wir tun und wollen, das kann ganz viele Menschen positiv betreffen. Die große Kunst ist, das so zu formulieren, dass uns möglichst viele folgen können. Dann werden sie immer noch entscheiden, ob ihnen das passt oder nicht. Das ist Demokratie. (Michael Völker, 19.11.2018)