Tausende forderten vergangene Woche in Prag den Rücktritt von Premier Andrej Babiš.

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Absichtlich verwackelte Videobilder, körnige Nachtaufnahmen, ein düster bedrohlicher Soundtrack und eine Kamerabrille, die heimlich Gespräche mitschneidet: Das sind die Zutaten für einen mehr als halbstündigen Film, der seit voriger Woche auf dem Nachrichtenportal der tschechischen Suchmaschine Seznam abrufbar ist. "Doku-Krimi", so die von den Machern selbst gewählte Genre-Bezeichnung.

Das Format mag reißerisch sein, und die inszenierten Dialoge der beteiligten Journalisten sind bewusste Grenzüberschreitungen zwischen Spielfilm und Reportage. Inhaltlich brisant ist die Geschichte aber allemal. Und zwar so brisant, dass sie Premierminister Andrej Babiš, den Chef der liberal-populistischen Partei Ano, mittlerweile in ernsthafte Bedrängnis bringt.

Einmal mehr wird der Milliardär dabei von der Affäre rund um sein Capí hnízdo (Storchennest) eingeholt. 2008 soll er das Freizeitareal in Mittelböhmen aus seiner Holding Agrofert ausgegliedert haben, um so an EU-Förderungen für Klein- und Mittelbetriebe in Höhe von etwa zwei Millionen Euro zu kommen. Danach fand das Storchennest über Umwege wieder zu Agrofert zurück.

Inwieweit das den Straftatbestand des Subventionsbetrugs erfüllt, ist derzeit Gegenstand von Ermittlungen. Und genau diese, so der jüngste Verdacht, soll Babiš behindert haben.

Die Reporter von Seznam haben seinen Sohn aus erster Ehe, Andrej Babiš junior, in der Schweiz ausfindig gemacht, wo dieser zurückgezogen mit seiner Mutter lebt. Brisant: Der Premier selbst hatte 2016 im Parlament erklärt, dass das Storchennest in der fragwürdigen Zeit mehreren Familienmitgliedern gehört hatte, darunter seinem gleichnamigen Sohn. Und dieser wiederum hatte 2017 in einer E-Mail an die tschechische Polizei behauptet, gegen seinen Willen auf der von Russland annektierten ukrainischen Halbinsel Krim festgehalten zu werden – angeblich auf Betreiben seines Vaters, der ihn aus den Ermittlungen heraushalten wolle.

Psychische Probleme

In dem Video aus der Schweiz wartet der heute 35-Jährige, der an psychischen Problemen leidet, nun mit weiteren Details auf: Er habe im Zusammenhang mit dem Storchennest irgendetwas unterschrieben, wisse aber nicht, was. Auf die Krim habe ihn ein in Tschechien lebender Russe namens Protopopow gebracht.

Dieser hat mittlerweile zugegeben, mit ihm auf der Krim gewesen zu sein, um sich dort um ihn "zu kümmern". Und ausgerechnet Protopopows Frau soll jene Psychiaterin sein, die Andrej Babiš junior einst untersucht und für verhandlungsunfähig befunden hat. Für den Premier ist vor allem letztere Verbindung unangenehm: Dieselbe Frau war früher seine Beraterin und hat bei den Kommunalwahlen im Oktober für die Babiš-Partei Ano kandidiert.

Tausende Menschen gingen vorige Woche auf die Straße und forderten einmal mehr den Rücktritt von Babiš. Die Opposition hat für Freitag einen Misstrauensantrag im Parlament eingebracht. Die Kommunisten, die die Minderheitsregierung von Ano und Sozialdemokraten (ČSSD) tolerieren, wollen diesen nicht unterstützen. Eine Schlüsselrolle spielt daher die ČSSD. Am Mittwochabend erklärte die Partei zwar, beim Misstrauensvotum den Saal verlassen zu wollen. Sie fordert jedoch, dass Babiš als Premier zurücktritt, und würde sich einem Antrag auf Auflösung des Abgeordnetenhauses anschließen. Für Babiš wird die Affäre also auch nach dem Freitag noch längst nicht ausgestanden sein. (Gerald Schubert, 22.11.2018)