Wissenschaftliche Zeitschriften wie "Nature" jagen – nicht immer nur auf Basis rein wissenschaftlicher Kriterien – nach möglichst hohen Impact-Faktoren. Das wiederum macht es für die Forscher schwieriger, bei solchen Zeitschriften die Latte des Begutachtungsprozesses zu überspringen

Nature

Wenn es so etwas wie einen allgemein verbindlichen Qualitätsausweis für Wissenschafter gibt, dann ist das ihre Publikationsliste, die entsprechend gut gepflegt und nach jeder Veröffentlichung aktualisiert wird. "Publish or Perish!" heißt die altbekannte Devise. Dabei zählt aber nicht nur die bloße Zahl der Veröffentlichungen, sondern vor allem, in welchen Zeitschriften sie erschienen sind.

Den größten Tauschwert in dieser symbolischen Ökonomie haben Veröffentlichungen in Topjournalen wie Nature, Cell oder Science. Sie zählen bei Kollegen ebenso wie bei Uni-Leitungen, Drittmittelgebern oder Uni-Rankings als sichere Währung. In China geht das so weit, dass solche Top-Publikationen selbst wieder in bare Münze umgewandelt und mit einem anständigen Bonus beim Monatsgehalt belohnt werden. Hier sind solche Publikationen immerhin den hiesigen Uni-PR-Stellen meist Pressemeldungen wert.

Kein Wunder, dass der weltweite Kampf um Publikationen in den "wichtigen" Zeitschriften in den jeweiligen Fachgebieten immer härter wird. Entsprechend ist die Zahl der abgelehnten Beiträge ein guter Indikator für den Einfluss einer Zeitschrift. Beim angesehenen Fachblatt Nature etwa sind es deutlich weniger als zehn Prozent der Artikel, die es von der Einreichung über die Fachbegutachtung – den sogenannten Peer-Review – bis zur tatsächlichen Publikation bringen. Doch es sind nicht nur Peer-Review und Ablehnungsquote, die diesen Einfluss messen.

Der umstrittene Impact-Faktor

Dafür hat sich eine umstrittene Maßzahl etabliert: der sogenannte Impact-Faktor. Er gibt Auskunft darüber, wie oft die Artikel einer bestimmten Zeitschrift in einem bestimmten Zeitraum zitiert werden. Um diesen Wert zu eruieren, gibt es längst einen eigenen hochkommerzialisierten Forschungsbereich, der sich Bibliometrie (siehe Infobox am Ende) nennt und sich ganz der Vermessung der Wissenschaft widmet.

Der Impact-Faktor hat den Vorteil, die Komplexität der Evaluation wissenschaftlicher Qualität auf eine einfache Maßzahl zu reduzieren. Aber er birgt auch zahlreiche Probleme. Das offensichtlichste besteht darin, dass er im Grunde nichts über die Qualität der einzelnen Artikel selbst aussagt. Das System der Impact-Faktoren und deren Fetischisierung hat zudem zu etlichen Fehlentwicklungen geführt, wie Biochemiker Randy Schekman im Interview mit dem STANDARD erklärte.

Zum einen würden Forscher buchstäblich alles tun, um ihre Artikel in diesen einflussreichen Zeitschriften unterzubringen, so Schekman, der 2013 den Medizinnobelpreis gewann. Zum anderen würden diese meist kommerziellen Zeitschriften mit teils fragwürdigen Mitteln einer möglichst großen Anzahl von Zitierungen nachjagen. Aus diesem Grund würden nicht selten auch fragwürdige Artikel publiziert, die viele Zitierungen versprechen.

Wissenschaftliche und kommerzielle Aspekte

Schekman hat selbst aus seiner Kritik längst mehrfache Konsequenzen gezogen: Er und die Mitarbeiter seines Labors publizieren seit Jahren ganz bewusst nicht mehr in den "Luxuszeitschriften", wie er Nature, Science, Cell und Co nennt. Zum anderen war er wichtiger Wegbereiter der Zeitschrift eLife, deren Chefredakteur er heute ist.

Dieses frei zugängliche Fachjournal erlaubt sich seinerseits den Luxus, nicht auf Zitierungen zu achten. Zudem wird der Begutachtungsprozess zurück in die Hände der Wissenschafter gelegt, während etwa die Nature-Gruppe, die neben ihrem Flaggschiff noch eine ständig wachsende Zahl an Subzeitschriften herausgibt, zahlreiche Redakteure angestellt hat, die auch auf kommerzielle Aspekte achten müssen.

Dass sich die Impact-Faktoren nach wie vor halten, liegt freilich nicht nur daran, dass sie wissenschaftliche Qualität auf eine leicht handhabbare Größe reduziert. Die Beharrungstendenz liegt auch darin begründet, dass Verlage mit dem wissenschaftlichen Publizieren viel Geld verdienen und alles daransetzen, dass dieses System so bleibt, wie es ist. Dieser Markt hat einen jährlichen Umsatz von immerhin rund 20 Milliarden Euro und wird von einem Oligopol beherrscht, das von Branchenprimus Elsevier angeführt wird.

Die Geschäfte mit dem Publizieren

Elsevier gibt rund 2.500 wissenschaftliche Zeitschriften heraus (darunter mit Cell und Co einige der einflussreichsten), erlöste damit 2017 rund 2,78 Milliarden Euro und machte dabei einen Gewinn von etwas mehr als einer Milliarde. Nicht zufällig betreibt Elsevier mit Scopus auch eine eigene bibliometrische Datenbank, die für die Unterfütterung der Impact-Faktoren sorgt, was es wiederum ermöglicht, für die "Luxuszeitschriften" horrende Abopreise zu verlangen.

Rund um diesen Milliardenkuchen und die heiß umkämpften Topjournale haben sich in den letzten Jahren immer mehr "Wegelagerer des wissenschaftlichen Publikationssystems" niedergelassen. So bezeichnet der deutsche Wissenschaftsforscher Peter Weingart die sogenannten "Predatory Publishers" – Raubverlage, die wissenschaftlich wertlose Pseudozeitschriften herausgeben, wo buchstäblich alles publiziert wird, auch ohne Peer-Review. Kritische Berichterstattung in den Medien hat heuer aber wohl auch dazu beigetragen, dass immer weniger Forscher auf die lockenden Spam-E-Mails dieser Raubverlage hereinfallen.

Der Druck steigt weiter

Bleibt das grundsätzliche Problem, dass immer mehr Forscher in den Topjournalen publizieren wollen und der Druck für alle steigt. Die österreichische Wissenschaftsforscherin Helga Nowotny hat da einen auf den ersten Blick kontraproduktiven Vorschlag: In Zukunft sollte überhaupt nur mehr die Hälfte der heutigen Menge an wissenschaftlichen Artikeln publiziert werden, weil zu viel davon belanglos und irrelevant sei. Das würde allen Beteiligten viel Zeit bringen, die nicht mehr für Lektüre und Begutachtungen verwendet werden muss.

Eine weitere mögliche Folge wäre, dass man bei der Beurteilung der Publikationslisten von Forschern weniger die schiere Anzahl heranzieht – sondern nur noch eine Auswahl der wenigen Artikel, die wirklich wichtig sind. (Klaus Taschwer, 27.11.2018)