Ein Mann in mittleren Jahren, eine junge Frau, eine leere Wohnung. Diese Konstellation skelettierter Bürgerlichkeit wurde in Bernardo Bertuloccis Der letzte Tango in Paris zu einem Inbegriff der sexuellen Revolution. Wie alle Revolutionen sucht auch die der erotischen Freizügigkeit ihren Weg durch Rückschläge und Irrtümer.

Im konkreten Fall verbinden sich tragische mit absurden Momenten, denn die Einschätzung von Bertoluccis Kultfilm aus dem Jahr 1973 hat sich im Lauf der Zeit stark verändert. Und das hat nur im Detail mit der hochnotpeinlichen Kontroverse um die Butter zu tun, die bei einer analen Vergewaltigung als Gleitmittel zum Einsatz kam – eine spontane (Regie-)Idee, wie es heißt, bei einer Szene, von der bis heute umstritten ist, ob sie im Drehbuch stand, oder ob sie sich bei den Dreharbeiten ergab. In der Machtkonstellation hinter dieser Szene gab es jedenfalls ein deutliches männliches Übergewicht: Schauspielgigant Marlon Brando und der ihm "ödipal" zugetane Regisseur Bertolucci auf der einen Seite, die 19 Jahre alte Maria Schneider auf der anderen.

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Sexualität und Politik

Bertolucci kam später noch einmal nach Paris zurück. Die Träumer, die Verfilmung eines autobiographischen Romans von Gilbert Adair, gab ihm Gelegenheit, eine zentrale Frage zu stellen: Was hat die sexuelle Revolution mit der politischen zu tun?

Der naive Amerikaner Matthew lernt in Paris auf dem Höhepunkt der Ereignisse des Mai 1968 zwei Pariser Geschwister kennen, Isabelle und Theo. Diese "enfants terribles", die in der großbürgerlichen Wohnung ihrer abwesenden Eltern einen Ort des Rückzugs von den Demonstrationen um die Cinémathèque francaise haben, werden für Matthew zu einer Initiation: Mit ihnen verliert er seine Unschuld, und damit ist nicht in erster Linie sein sexuelles Erwachen gemeint, sondern seine Aufnahme in das symbolische Universum des Kinos. Dahinter steht dann allerdings die größere Frage, ob das Kino ihm hilft, die Wirklichkeit zu finden oder zu verfehlen.

In gewisser Weise ist das die Frage, die sich auch für das gesamte Werk von Bernardo Bertolucci stellt. Stärker als andere europäische Regisseure seiner Generation hat er die Formate und Strategien immer wieder geändert. Er kam 1941 in der oberitalienischen Großstadt Parma zur Welt, und wuchs dann vor allem in Bacchanelli, einem nahegelegenen Dorf, auf. Sein Vater Attilio war ein berühmter Dichter, in dessen Fußstapfen Bertolucci mit 20 zu treten versuchte, als er die Sammlung In ricerca del mistero veröffentlichte.

Bernardo Bertolucci und Peter O'Toole hinter den Kulissen von "Der letzte Kaiser".
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Fluchtpunkt 1968

Wegweisend wurde aber eine Assistenz bei Pier Paolo Pasolini bei dessen Debütfilm Accatone (1961). Der Neorealismus der einfachen Leute, diese humanistische Erneuerungsbewegung nach dem Faschismus, wurde hier noch einmal abschließend bekräftigt. Bertoluccis eigenes Filmdebüt La commare secca (1962) ist noch neorealistisch imprägniert, zeigt aber mit seinen unterschiedlichen Perspektiven auf ein Sexualverbrechen schon deutlich modernistische Züge.

1968 wurde dann eine Grundtatsache im Werk von Bertolucci: Er war Marxist und Freudianer, beides in eher schematischer Weise. Seine Radikalität erwies sich relativ bald als kompatibel mit dem internationalen Starkino: Der große Irrtum (mit Jean-Louis Trintignant), Der letzte Tango in Paris und schließlich das Geschichtsepos 1900 (mit Burt Lancaster und Robert De Niro) markierten eine erste Hochphase von Bertoluccis Erfolg.

Hinter den Kulissen von "Himmel über der Wüste".
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Alte Ordnungen

Von hier aus war es dann allerdings noch ein weiter Weg zu dem erfolgreichsten Film in der zweiten Karrierehälfte von Bernardo Bertolucci: Der letzte Kaiser wird immer wieder gemeinsam mit Der Himmel über der Wüste und Little Buddha als eine "Orient-Trilogie" verstanden. Und tatsächlich handelt es sich in allen drei Fällen sehr stark um Ausstattungsfilme, wesentlich geprägt auch durch die Zusammenarbeit mit dem Kameramann Vittorio Storaro. Der letzte Kaiser erzählt am Beispiel eines kindlichen Machthabers von einem Ancien Régime, von einer alten Ordnung in China, die vor der Ablösung steht, und bei der es vor allem darauf ankommt, ob diese Ablösung gewaltsam vonstatten gehen wird.

Der italienischer Filmemacher Bernardo Bertolucci ist tot, er starb im Alter von 77 Jahren in Rom. Bertolucci hat 16 Langspielfilme gedreht, darunter "Der letzte Tango in Paris", mit dem er weltberühmt wurde.
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Damit kam Bertolucci an der Stelle der größten Exotisierung in seinem Werk zugleich zum Ursprungsmotiv seines filmischen Erzählens zurück: das "alte Regime" der Familie war bei ihm immer Gegenstand revolutionärer Umbruchsbemühungen im Zeichen ödipaler Spannungen. Am Montag ist Bernardo Bertolucci, der die letzten zehn Jahre nach einer Komplikation mit den Bandscheiben auf einen Rollstuhl angewiesen war, im Alter von 77 Jahren in Rom an einer Krebserkrankung gestorben. (Bert Rebhandl, 26.11.2018)