In Brüssel feiert man die zwischen den "absolut einigen" EU-27, so der Brexit-Chefverhandler Michel Barnier, und der britischen Premierministerin Theresa May besiegelte Verständigung über die Rechte der EU-Bürger in Großbritannien, die finanziellen Verpflichtungen der Briten und die offene Grenze zwischen Nordirland und dem EU-Mitglied Republik Irland. Es hätte zwar schlimmer kommen können, jedoch handelt es sich um einen Scheinerfolg. Abgesehen davon, dass der Ausgang der Abstimmung im Unterhaus völlig offen ist, wird es letztlich leider nur Verlierer geben – beiderseits des Ärmelkanals.

Darüber hinaus ist die gefeierte Geschlossenheit der 27 bloß ein trügerischer Schein. Von einem neuen Elan vor den Europawahlen ist nichts zu spüren. Angesichts der besorgniserregenden Unruhen in Frankreich und der Unsicherheit über die künftige Führungsstruktur der CDU nach Angela Merkel bleibt der für die Europapolitik so wichtige deutsch-französische Motor nur eine Floskel für die deutschen Leitartikler.

Besonders beunruhigend ist vor allem, dass die politischen Gräben in der EU noch tiefer geworden sind. Es geht dabei nicht nur um die Flüchtlingsproblematik und die Solidaritätsverweigerung der vier Visegrád-Staaten. Die transnationale Solidarität der korrupten Oligarchen feiert dieser Tage neue Triumphe. Der von Manfred Weber, dem Spitzenkandidaten der europäischen Christdemokraten, hofierte nationalistisch-populistische Regierungschef Ungarns Viktor Orbán bietet seinem korrupten Freund, dem zu zwei Jahren Haft verurteilten Ex-Ministerpräsidenten Mazedoniens stolz und trotzig Asyl an. Die tschechischen Sozialdemokraten wollen an der Macht bleiben und retten beim Misstrauensvotum durch Stimmenthaltung den in einer Korruptionsaffäre verstrickten Ministerpräsidenten, den Milliardär Andrej Babis.

Rechtsstaats- und Demokratiemängel

Die auch mit dem sozialdemokratischen Etikett auftretende durch und durch korrupte rumänische Regierungspartei PSD soll "kurz vor zwölf total unvorbereitet", so Staatspräsident Klaus Johannis, die EU-Ratspräsidentschaft übernehmen. Der wegen Bestechung verurteilte PSD-Chef Liviu Dragnea (wegen seiner Vorstrafe kann er nicht Ministerpräsident werden) hat vor einer Woche mit seinen innerparteilichen Gegnern abgerechnet und acht Minister, auch den Europaminister, zum Rücktritt gezwungen. Die EU-Kommission hat dem Land schwere Rechtsstaats- und Demokratiemängel vorgeworfen. Der Staatspräsident fordert den Rücktritt der Regierung. Diese droht ihm ein Amtsenthebungsverfahren an. In 22 Monaten hat die Regierungspartei drei Ministerpräsidenten und 70 Minister verbraucht. Europapolitiker fordern die Einleitung eines Rechtsstaatsverfahrens auch gegen Rumänien, wie in den Fällen Ungarns und Polens.

Dass Rechts- und Linkspopulisten gleichfalls als nationalistische europafeindliche Extremisten handeln können, beweist das von einer solchen unheiligen Allianz regierte Italien. Bei einem Schuldenberg von 2,3 Billionen Euro (mehr als 130 Prozent der Wirtschaftsleistung) bedrohen die Demagogen an der Macht mit ihrer Budgetpolitik nicht nur die Währungsunion, sondern die ganze Zukunft des besten Europa, das es je gegeben hat. (Paul Lendvai, 26.11.2018)