Am Mittwoch soll es nun endlich so weit sein. Die Regierung will ihre Pläne für die Reform der Mindestsicherung im Detail vorlegen. Zur medialen Einstimmung wurden am Wochenende bereits einige Zahlen lanciert, mit denen der Reformbedarf untermauert werden sollte. Demnach hätten mehr als 60 Prozent der Mindestsicherungsbezieher "Migrationshintergrund", wie der Austria Presseagentur am Sonntag mitgeteilt wurde. In Wien seien es gar 68 Prozent. Als Quelle wurden das Sozialministerium sowie das Arbeitsmarktservice (AMS) genannt.

In Expertenkreisen sorgten die Daten für Verwunderung, wurde doch bisher nie das Kriterium "Migrationshintergrund" im Zusammenhang mit der Mindestsicherung veröffentlicht. Bei der Statistik Austria, die alljährlich detaillierte Analysen zum Sozialsystem bzw. den Ausgaben vorlegt, kann man auf STANDARD-Anfrage jedenfalls nicht nachvollziehen, wie die Regierung zu ihrer Einschätzung kommt.

Die Hälfte Österreicher

Erfasst wird von der Bundesanstalt nämlich nur die Staatsangehörigkeit. Im Schnitt gab es zuletzt pro Monat 222.087 Bezieher (im Gesamtjahr 2017 waren es 307.853), von denen etwas mehr als die Hälfte (50,42 Prozent) die österreichische Staatsbürgerschaft hatte. Bei gut sieben Prozent der Bezieher handelte es sich um EU- oder EWR-Bürger und der Rest, nämlich 42,4 Prozent, kam aus Drittstaaten. Der Anteil der Zuwanderer unter den Mindestsicherungsbeziehern liegt also bei 49,58 Prozent. Auch in Wien sind die Verhältnisse nicht dramatisch anders. In der Bundeshauptstadt liegt der Zuwandereranteil bei 51 Prozent.

Insgesamt macht die Mindestsicherung jedenfalls weniger als ein Prozent aller Sozialausgaben aus, wie diese Grafik zeigt:

Foto: standard

Knappes Drittel Asylberechtigte oder subsidiär Schutzberechtigte

Erstmals ausgewertet wurde von der Statistik Austria im Vorjahr, wie viele Asylberechtigte und subsidiär Schutzberechtigte es unter den Beziehern gibt. Konkret fielen 31,2 Prozent in diese Kategorie, wobei aber von einem Bundesland, der Steiermark, die Daten fehlen.

Die Regierung bezog sich aber, wie erwähnt, nicht auf die Staatsangehörigkeit, sondern auf das Kriterium "Migrationshintergrund". Nach allgemeiner Definition liegt das vor, wenn die Eltern im Ausland geboren wurden. Eine diesbezügliche Aufschlüsselung kann nur das AMS vornehmen. Die dortigen Zahlen passen auch mit jenen der Regierung zusammen. Laut AMS gab es in den vergangenen zwölf Monaten 112.000 Mindestsicherungsbezieher, die beim AMS gemeldet waren. Davon hatten 62,8 Prozent Migrationshintergrund, in Wien waren es 68,9 Prozent.

Zwei Drittel nicht beim AMS

Allerdings: Nur rund ein Drittel aller Mindestsicherungsbezieher ist beim AMS gemeldet. Beim Rest handelt es sich um arbeitsunfähige Menschen, Kinder oder auch alleinerziehende Mütter, die abgesehen von Alimenten keine Einnahmen haben. Allein 84.000 Bezieher waren im Vorjahr minderjährige Kinder.

Von zwei Dritteln der Mindestsicherungsbezieher gibt es also schlichtweg keine Informationen über den Migrationshintergrund. Im Büro von Wiens Sozialstadtrat Peter Hacker hieß es, dass derartige Auswertungen auch nicht geplant seien, weil es für den Leistungsbezug schlichtweg nicht relevant sei, ob jemandes Vater oder Mutter im Ausland geboren ist. Anfragen dazu, wie die Regierung zu ihrer Auswertung im Detail gekommen ist, wurden am Montag weder vom Kanzleramt noch vom Sozialministerium beantwortet.

Finale Besprechungen

Dem Vernehmen nach sorgten die falschen Zahlen, die vom Kanzleramt erarbeitet wurden, am Montag auch bei den finalen Besprechungen zur Mindestsicherung für Irritationen zwischen ÖVP und FPÖ. Strittig war zwischen den Regierungsparteien zuletzt vor allem noch die Frage des Vermögenszugriffes bei Aufstockern, also bei Menschen, die ein geringes Einkommen oder eine geringe Notstandshilfe haben und sich diese über die Mindestsicherung aufbessern.

Zu Wochenbeginn wurden die letzten Details geklärt, am Mittwoch wollen Sebastian Kurz (rechts) und Heinz-Christian Strache ihre Reformpläne für die Mindestsicherung im Ministerrat beschließen.
Foto: cremer

Derzeit müssen alle Mindestsicherungsbezieher Geldvermögen bis zu einer Höhe von rund 4200 Euro aufbrauchen, bevor ein Anspruch besteht. Bei Immobilien kann die Behörde nach sechs Monaten ins Grundbuch gehen. Die FPÖ wollte diesen Vermögenszugriff streichen, in der ÖVP soll es dagegen aber Bedenken gegeben haben, weil dadurch womöglich ein zusätzlicher Anreiz geschaffen würde, einen Antrag auf Unterstützung zu stellen.

Rechtliche Hürden

Bei den Details wird es vor allem um die Frage gehen, ob diese verfassungs- und europarechtlich halten. So möchte die Regierung Menschen, die weder Deutsch noch Englisch können, eine um 300 Euro niedrigere Mindestsicherung bezahlen. Indirekt zielt dieser Vorschlag vor allem auf Flüchtlinge ab. Anspruch soll zudem erst nach fünfjährigem Aufenthalt bestehen. Um den maximalen Anspruch pro Familie zu reduzieren, sollen die Kinderzuschläge sinken. Für das erste Kind sind noch 25 Prozent des Grundbetrages (aktuell 863 Euro) geplant, für das zweite nur mehr maximal 15 Prozent und ab dem dritten Kind nur mehr maximal fünf Prozent. (Günther Oswald, 26.11.2018)