Alexander Van der Bellen wird das Gesetz Anfang Dezember vorgelegt bekommen.

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Wien – Die Sozialversicherungen sind eine vertrackte Institution, und jetzt geht es um eine juristische Feinheit im Zuge ihrer Reform. Aber das Gesetz, das die Opposition an den Austrofaschismus denken lässt, ist ziemlich beachtlich – da sind sich sämtliche Rechtsexperten einig.

Der Verfassungsrechtler Karl Weber bezeichnet die Vorgehensweise von Türkis-Blau im STANDARD-Gespräch als "bedenkliches Novum in dieser Republik". Die SPÖ spricht von einem "Ermächtigungsgesetz" – in Anlehnung an das kriegswirtschaftliche Ermächtigungsgesetz, das Engelbert Dollfuß zur Errichtung seiner Diktatur missbraucht hatte. Die Neos orten immerhin einen "Angriff auf die Demokratie".

Handeln ohne Gesetzesbeschluss

Stein des Anstoßes ist ein in der Vorwoche von ÖVP und FPÖ verabschiedeter Passus im Sozialversicherungsrecht, der quasi nebenbei als Abänderungsantrag in den Nationalrat eingebracht wurde. Die Gesetzesänderung erlaubt es Sozialministerin Beate Hartinger-Klein (FPÖ) "Vorbereitungshandlungen" für die Kassenreform zu treffen, bevor die grundlegenden Gesetze dafür überhaupt beschlossen wurden.

SPÖ und Neos wollen die Causa vor den Verfassungsgerichtshof bringen. Die Neos schöpfen darüber hinaus aber auch die Hoffnung, dass Bundespräsident Alexander Van der Bellen das Gesetz erst gar nicht beurkunden könnte.

Präsident hat keine Handhabe

Das wird allerdings kaum möglich sein, erklären die vom STANDARD konsultierten Verfassungsrechtler. Die Angelegenheit liege nämlich nicht im Ermessen des Präsidenten. Dieser ist dafür zuständig, das formal richtige – also verfassungskonforme – Zustandekommen von Gesetzen zu beglaubigen. Inhaltlich werden Rechtsvorschriften aber erst vom Verfassungsgerichtshof geprüft. Weber wie auch sein Kollege Bern-Christian Funk sind sich einig: Das "Ermächtigungsgesetz" ist verfassungswidrig, doch Van der Bellen hat keine Handhabe.

Es gibt einen einzigen Fall, in dem ein Präsident, nämlich Heinz Fischer, aufgrund einer inhaltlichen Verfassungswidrigkeit seine Unterschrift verweigerte. Bei der Novelle des Gewerberechts 2008 handelte es sich aber um einen unbestrittenen und unabsichtlichen Fehler, den sogar die Regierungsparteien korrigiert haben wollten.

Vorbereitung ist alles

In der aktuellen Causa ist das anders. Funk wie auch Weber verweisen auf den Verfassungsgerichtshof als zuständige Prüfstelle. "Ich nehme an, er wird das Gesetz kippen", sagt Weber. "Denn was sollen Vorbereitungshandlungen denn überhaupt sein: Verordnungen? Können Mitarbeiter entlassen werden? Das ist doch irrsinnig." (Katharina Mittelstaedt, 27.11.2018)