Der Schrecken des Ersten Weltkriegs war vorbei, die unglaublichen Entwicklungen der Kriegstechnik boten in Gestalt von Auto, Schiff und Flugzeug neue Möglichkeiten zur Erforschung der Welt. Der Orient, die "Geheimnisse" des Fernen Ostens, wurde zum Zielgebiet für Abenteurer, Forscher, Reiseschriftsteller. Heute in Schwechat einen Flug nach China zu buchen ist einfach. In den Jahren zwischen 1920 und 1937 aber war die Welt östlich der Türkei und südlich von Italien allein schon wegen der kaum vorhandenen Infrastruktur Abenteuerland.

Gelände wagen: Reisch strandet während seiner Weltumrundung 1935-36 mit seinem Steyr 100 im weglosen Dschungel Hinterindiens, konkret: im damaligen Burma. Der "Abschleppdienst" hilft ihm aus Schlamm und Patsche.
Foto aus dem Buch "Max Reisch: Im Auto um die Erde"

Eines sei aber festgehalten: Zu dieser Zeit war es möglich, am Landweg über Palästina, Syrien, Irak, Afghanistan, Persien (heute Iran), Indien, Burma, Vietnam bis nach China zu fahren – heute ein Ding der politischen Unmöglichkeit. Der Schwede Sven Hedin öffnete damals diesen Weg, seine Fotos wurden Jahrzehnte später von der US Air Force als Zielunterlagen für ihre Bomberpiloten in den Nahostkriegen verwendet. Richard Katz beschrieb die Ostasienwelt in Bestsellern, französische Expeditionen überquerten mit dem Citroën-Halbkettenmodell Kégresse den Himalaja – komplett zerlegt von Sherpas über die Berge getragen und anschließend wieder zusammengebaut.

Bis zum Ganges

In Kufstein lebte um 1930 ein junger Mann mit der Ambition, diese Welt des Ostens mit Motorrad oder Auto zu erforschen. Max Reisch hatte schon als 20-Jähriger, 1932, mit einer Puch 250 T, heiße sechs PS stark, im Zuge seiner Nordafrika-Tour die Sahara befahren. Das nächste Ziel hieß Indien, er wollte beweisen, dass man von Mitteleuropa aus per Zweirad bis zum Ganges fahren kann. In seinen Genen war Abenteuerlust implantiert: Sein Vater hatte schon 1905 auf einem Motorrad die Alpen überquert.

Max Reisch mit Sozius Herbert Tichy 1933 beim Besuch bei Dr. Sondhi, Präsident des Indischen Olympischen Komitees.
Foto: Reisch-Orient-Archiv

Zurück ins Jahr 1933. Puch stellte ein Motorrad-Modell 250 T zur Verfügung, Baujahr 1933, sechs PS, wie gesagt. Allein zu reisen schien auch Reisch für die 13.000-kmStrecke zu riskant. Da stieß er auf den Kommilitonen der Universität, Herbert Tichy, der eigentlich per Fahrrad nach Indien "reisen" wollte. Das Angebot, am Rücksitz dabei zu sein, nahm er an, Reserverad, Zelt, Moskitonetz, Schreibmaschine, Filmkamera, Wasserbehälter, Proviantboxen wurden auf die sechs Pferdekräfte aufgepackt, nun musste die brave Maschine zwei Personen und 70 kg Gepäck stemmen, zusammen 193 kg. Zwischenfälle wie ein Bruch der Federn des Beifahrersitzes oder Versinken im Wüstensand waren Wegbegleiter, die Durchfahrung der syrischen Wüste an einem Tag klingt aus heutiger Sicht unfassbar.

Abenteuer Auto

Das Medienecho auf diese Reise war fulminant. Also startete Max Reisch schon 1935 zum nächsten Abenteuer: zu einer Weltumfahrung mit dem neuen Modell Steyr 100. Dieser Werkswagen mit 1,4-Liter-Vierzylinder, Vierganggetriebe, 32 PS, Schwungachsen vorn und hinten, größeren Rädern wegen der Bodenfreiheit sowie einer Ladefläche (eine Holzkonstruktion) für Gepäck, Benzin und Wassertank war in den nächsten Monaten das Quartier für Reisch und seinen Beifahrer Helmut Hahmann.

Max Reisch mit Sozius Herbert Tichy mit der Puch 250 cm³ nach der Indienfahrt wieder in Wien.
Foto: Reisch-Orient-Archiv

Bis Schanghai standen 23.000 km am Streckenprofil, Elefanten zogen den Wagen aus dem Schlamm, um Flüsse zu überqueren, musste das gesamte Fahrzeug zerlegt werden, oft war der Gedanke des Aufgebens näher als die Motivation zur Weiterfahrt. Bei der Einfahrt war der Steyr das siebente Automobil in der chinesischen Weltstadt. Per Schiff ging es nach Japan und weiter in die USA, dort auf dem direkten Weg von San Francisco nach New York, aber mit einem Abstecher Richtung Texas, wo ein Sammler – erfolglos – zwei Achtzylinder für das Expeditionsfahrzeug bot. Am Ziel in Wien waren 43.000 km absolviert, heute stehen alle motorisierten Reisch-Begleiter im Museum zu Bozen (Kontakt: reischarchiv@gmail.com).

Rallyemeister

Auch in den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg, der Reisch mit dem Afrikakorps wieder nach Libyen führte, absolvierte er zahlreiche Autoreisen. 1950 holte sich Reisch mit einem Steyr-Fiat 1100 E den österreichischen Rallyemeistertitel. Ein Zeitzeuge, nennen wir ihn Walter S., schilderte die mitreißende Art der Vorträge von Reisch über seine großen Fahrten. Ergebnis: Er kaufte sich aus Begeisterung 1972 einen alten VW-Bus, um seine Indienreise nachzufahren.

Wieder einmal brauchte Max Reisch tierische Hilfe.
Foto: Reisch-Orient-Archiv

Geehrt als Professor, starb Reisch 1985 mit 72 Jahren. Seine noch immer lesenswerten Bücher (Buchverlag Ennsthaler) beweisen, dass man auch ohne Allradantrieb, Assistenzsysteme, GPS und Navi Länder mit bescheidenen Strukturen bereisen kann. (Peter Urbanek, 16.12.2018)