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Vor wenigen Wochen ist das letzte Buch des im März verstorbenen Physikers Stephen Hawking erschienen. Unter dem Titel "Kurze Antworten auf große Fragen" befasste sich der zu Lebzeiten wohl berühmteste Wissenschafter der Welt mit einigen der größten Herausforderungen der Menschheit. Zu diesen zählte er die neuen Möglichkeiten der direkten Eingriffe in die menschliche DNA. Hawkings Warnung: "Einige Forscher werden der Versuchung nicht widerstehen können, die menschlichen Fähigkeiten zu verbessern. Sobald diese ersten 'Übermenschen' auftauchen, wird es erhebliche politische Probleme geben."

Das Science-Fiction-Genre liefert schon recht detaillierte Schilderungen, wie solche Übermenschen hergestellt werden könnten, etwa Marc Elsberg in seinem Bestseller "Helix – Sie werden uns ersetzen". In dieser spannenden Dystopie wird eindrücklich geschildert, wie eine Produktionsanlage für solche verbesserten (Gen-)Editionen von Homo sapiens außer Kontrolle gerät.

Zwar ist die Humangenetik trotz aller Fortschritte noch lange nicht in der Lage, die von Elsberg geschilderten Wunderkinder, die herkömmlichen Menschen körperlich und geistig überlegen sind, herzustellen. Ein chinesisches Forscherteam hat nun aber laut eigenen Angaben einen ersten Schritt in diese Richtung getan, der freilich einen großen bioethischen Tabubruch darstellt: Die Genetiker haben bei zwei kürzlich geborenen Mädchen ein Gen ausgeschaltet, und dieser Eingriff soll sie in Zukunft vor einer Infektion mit HIV schützen.

Rein genetisch betrachtet war dieser Eingriff in die Keimbahn – in der Fachsprache handelt es sich um eine Genom-Editierung mittels CRISPR/Cas9 – minimal. Doch das Experiment wirft eine ganze Reihe von Problemen auf, die zum Teil weit über den konkreten Anlassfall hinausgehen, der so gut wie einhellig scharf kritisiert wird. So haben noch am Montag mehr als hundert Forscher in China eine Petition gegen die Versuche ihrer Kollegen unterzeichnet.

Nebenwirkungen

Verurteilt wird der Eingriff, für den es bisher noch keine unabhängige Bestätigung gibt, konkret vor allem deshalb, weil mögliche Nebenwirkungen – sogenannte Off-Target-Effekte – der Genom-Editierung bisher zu wenig erforscht seien. So könnten die beiden Zwillingsmädchen aufgrund des Eingriffs zwar gegen HIV immun sein, dafür aber ein erhöhtes Krebsrisiko in sich tragen.

Die grundsätzliche Frage, die mit diesem genetischen Tabubruch einhergeht, besteht aber darin, ob solche Eingriffe in die menschliche Keimbahn aus ganz prinzipiellen Gründen verboten sein sollten oder nicht. In dem Punkt sind sich Forscher und Bioethiker längst noch nicht einig. Die Europäische Gesellschaft für Humangenetik etwa ließ kürzlich verlauten, kategorische Einwände seien aus ihrer Sicht nicht überzeugend.

Wer sich dieser Haltung anschließt, kommt um die nicht weniger gewichtigen Folgefragen nicht umhin: Unter welchen Bedingungen sollten solche Eingriffe in Zukunft gestattet sein? Sind sie nur dann ethisch vertretbar, wenn es um die mögliche Heilung tödlicher Krankheiten geht, oder auch für andere Zwecke denkbar, etwa zur genetischen Verbesserung?

So unverantwortlich und verfrüht der Eingriff des chinesischen Forscherteams an den beiden Zwillingsmädchen war: Als Weckruf für die Politik und Gesellschaft könnte er gerade noch rechtzeitig gekommen sein. (Klaus Taschwer, 26.11.2018)