STANDARD: Im Winter gibt's Kerzenschein statt Sonnenschein. Wie geht es Ihnen damit?

Christian Ploderer: Mir geht's eigentlich ganz gut mit dem Herbst und dem Winter. Es ist dunkler, es ist gemütlicher, es ist natürlich auch etwas melancholischer. Und natürlich ist diese Jahreszeit jene Zeit des Jahres, in der sich die Menschen plötzlich, jedes Jahr aufs Neue, des künstlichen Lichts bewusst werden.

STANDARD: Dann läutet bei Ihnen ununterbrochen das Telefon?

Ploderer: Nein, das nicht. Aber die Gespräche über Licht, Lichtstärke und Lichtfarbe gestalten sich einfacher, weil sich die Menschen nach Gemütlichkeit und Geborgenheit sehnen und in dieser Zeit für so ein abstraktes Thema wie das Licht offener und empfänglicher sind.

Christian Ploderer im Foyer des Bürohauses Telegraf 7 in Wien. Die zwischen den Säulen schwebenden Lichtleisten mit direktem und indirektem Licht sind ein Entwurf des Designers
Foto: Nathan Murrell

STANDARD: Welche Rolle spielt künstliches Licht in unserem täglichen Leben?

Ploderer: Eine sehr wichtige. Und eine zunehmend bewusstere! Es ist beeindruckend, wie sehr das Bewusstsein für gutes Licht gestiegen ist, wie sich die Gestaltung unserer Innenräume in den letzten Jahren verändert hat und wie differenziert Privat- und Businesskunden heute über Lichtqualität sprechen. Auf dem Gebiet der Lichtplanung hat eine richtige Emanzipation und Aufklärung stattgefunden.

STANDARD: Gibt es, was die Vorliebe für Kunstlicht betrifft, eigentlich kulturelle Unterschiede?

Ploderer: Ja, und diese Unterschiede sind zum Teil beträchtlich! Ich würde aber weniger von kulturellen als schlicht und einfach von geografischen Differenzen sprechen, denn die Beziehung zu Tages- und zu Kunstlicht ist in Sizilien ganz anders als in Skandinavien.

STANDARD: Ist das der Grund, warum in Süditalien immer kalte Leuchtstoffröhren in der Pizzeria hängen?

Ploderer: Ja. Je näher wir dem Äquator sind, desto schneller ist die Drehung der Erde, desto schneller wiederum geht die Sonne auf und unter. Die Dämmerungsphasen sind sehr kurz. Je mehr wir uns aber den Polkappen nähern, umso langsamer dreht sich die Erde, umso länger dauert der Dämmerzustand zwischen Tag und Nacht. In manchen Regionen der Erde dämmert es wochenlang. Das schlägt sich natürlich auch auf unsere Lichtkultur nieder: Im Süden gibt es eine Vorliebe für Ein und Aus, für helles Licht oder kein Licht. Im Norden hingegen umgeben sich die Menschen gern mit Kerzenschein und dimmbaren Leuchtmitteln.

STANDARD: Sind Sie auch ein Dimmerer?

Ploderer: Und wie! Dimmen, also die Regelung der Lichtstärke, ist ein wichtiges Gestaltungsmittel des Lichtszenarios. Damit lassen sich Raumstimmungen sehr gut darstellen. Allerdings gibt es bei LED-Licht in gedimmtem Zustand noch immer Qualitätseinbußen.

STANDARD: Wieso denn das?

Ploderer: Bei der klassischen Glühfadenbirne hat sich die Lichtfarbe mit dem Dimmen verändert. Je weniger Strom durch den Lichtfaden geflossen ist, je schwächer der Draht geleuchtet hat, desto wärmer wurde das Licht. Gedimmte Räume hatten früher eine ähnliche Lichtatmosphäre wie Kerzen oder offene Kamine. Dimmt man hingegen eine handelsübliche LED-Lampe, dann bleibt die Lichtfarbe gleich, das Licht wird bloß fahl und ziemlich, ziemlich entrisch.

IKI-Restaurant im Erste Campus (Atelier Heiss)
Foto: Paul Burgstaller

STANDARD: Was tun?

Ploderer: Es gibt am Markt bereits eine neue Dimmtechnologie, die dieses Manko kompensiert. Bei diesen LED-Leuchten schalten sich, sobald man die Lampe dimmt, orange und rote Leuchtdioden dazu, die dem Licht eine warme Lichtfarbe verleihen. Damit wird die physikalische Veränderung der Glühfadenbirne nachgeahmt. Man nennt das Warm Dimming. Das ist die perfekte Licht-Mimikry.

STANDARD: Vermissen Sie die gute alte Glühbirne manchmal?

Ploderer: Es ist so wie mit einem Oldtimer. Wenn wir ein altes Jaguar-Coupé auf der Autobahn sehen, dann schlägt unser Herz höher, und wir erfreuen uns am Anblick dieses Automobils. Doch in der nächsten Sekunde schon, während wir mit unserem neuen SUV daran vorbeiziehen, denken wir daran, wie viel Pflege dieser Jaguar braucht, wie oft er in die Werkstatt muss, wie aufwendig die Instandhaltung dieses Fahrzeugs ist. Ich finde alte Jaguars wunderschön. Aber ich möchte keinen für den Alltagsgebrauch haben. So ähnlich ist es mit der Glühfadenbirne.

STANDARD: Echt? Keinerlei Melancholie?

Ploderer: Die Glühbirne war für ihre Zeit das perfekte Produkt. Sie gibt das schönste künstliche Licht mit einem ausgewogenen Lichtspektrum. Aber ob ich sie in Anbetracht der heutigen technologischen Möglichkeiten und des damit verbundenen gestiegenen Komforts vermisse? Keineswegs! Die Erde dreht sich weiter. Wir haben heute nahezu ein LED-Lichtmonopol. Und die neueste LED-Technologie ist dabei, alle anderen Lampen zu ersetzen.

Lichtobjekt im Vorstandssitzungsaal in der Post am Rochus (Feld 72 und Schenker Salvi Weber Architekten)
Foto: Lukas Schaller

STANDARD: Elaborierte Produkte, emanzipierte Konsumenten, gestiegenes thematisches Bewusstsein. Das klingt alles sehr wunderbar. Doch warum sind so viele Restaurants, Hotelzimmer und Privatwohnungen immer noch so grauenvoll kalt ausgeleuchtet?

Ploderer: Erstens ist das eine Geldfrage, denn die hochwertigen LED-Produkte sind in ihrer Anschaffung deutlich teurer als billige Standardlampen aus dem Baumarkt. Und zweitens haben sich die LED-Lampen vor einigen Jahren wie ein Flächenbrand über den Markt ausgebreitet. Der Übergang zu dieser neuen Technologie ging plötzlich und schlagartig über die Bühne. Viele Konsumenten haben sich damals mit den allerersten neuen Produkten eingedeckt, die technisch unausgereift und in ihrer Lichtfarbe noch viel zu kalt waren.

STANDARD: Doch die LED-Lampen sind immer noch da, denn sie haben eine Lebenszeit von vielen Zehntausend Stunden.

Ploderer: Ja. Wobei man dazu sagen muss, dass man in der Zwischenzeit gemerkt hat, dass die damals theoretisch berechnete Lebensdauer von über 70.000 Stunden mit der heutigen Realität nicht übereinstimmt. Die Reallebenszeit ist kürzer, als sie auf der Verpackung angegeben wurde.

Büro von JP Immobilien im Telegraf 7 (BEHF)
Foto: Hertha Hurnaus

STANDARD: Wenn man einen Blick auf Schreibtischlampen und Stehleuchten wirft, fällt auf, dass die LED-Leuchtmittel immer öfter baulich mit der ganzen Leuchte fix verbunden sind. Früher konnte man die Glühbirne austauschen, wenn sie kaputt war. Heute muss man die ganze Leuchte zur Reparatur bringen. Ist das sinnvoll?

Ploderer: Es gibt einerseits Voll-LED-Leuchten mit fixverbauten Platinen und andererseits Leuchten mit bestehenden Schraubfassungen, E14 oder E27, die man bei LED-Leuchtmitteln als Retro-fit bezeichnet. Natürlich ist die Schraubfassung praktischer und konsumentenfreundlicher, aber die Entwicklungen und Innovationen passieren heute auf dem Gebiet der Voll-LEDs, weil es hier schlichtweg mehr technische Möglichkeiten gibt.

STANDARD: Was macht einen gut ausgeleuchteten Wohnraum aus?

Ploderer: Ein schön beleuchteter Wohnraum ist für mich einer, der eine ausgewogene Balance zwischen nicht sichtbarem Licht und ein paar schönen, bewusst inszenierten Lichtobjekten aufweist. Es gibt viele technische Möglichkeiten, von kleinsten LED-Lichtprofilen über perfekt entblendete Ministrahler bis hin zu leuchtenden Oberflächen, mit denen man die Leuchte im Raum komplett verschwinden lassen kann. Das macht die Beleuchtung des Wohnbereichs flexibler, funktionaler und vor allem raffinierter.

STANDARD: Sie haben das verschwundene Lichtobjekt angesprochen. Ist das der Traum eines Lichtplaners?

Ploderer: Das ist kein Traum. Das ist längst Realität. Mit unsichtbaren Lichtlösungen erschließen sich für Designer und Architekten ganz neue Gestaltungsmöglichkeiten. Das aber, wovon ich träume, ist das Verschwinden des Kabels! Das kabellose Licht wird unsere Lebensräume komplett verändern. Die ersten Pilotprojekte, die man wie ein Handy aufladen und dann frei im Raum platzieren kann, sind ja bereits am Markt.

STANDARD: Ich würde gern mit Ihrem Bauernhaus in der Steiermark abschließen. Sie wohnen dort ohne Strom. Wieso denn das?

Ploderer: Weil ich mich nach einem Ort gesehnt habe, an dem ich mich wieder des ursprünglichen Lichts bewusst werden kann. Unser Bergbauernhof in der Steiermark wurde 1732 errichtet, er war noch nie an das Stromnetz angebunden – und ist es bis heute nicht. Wir wohnen dort mit Tageslicht, Kerzenschein und Millionen Sternen am Himmel, mit Wolken, Gewittern und schimmernden Strukturen auf der Milchstraße. Es ist ein Haus, in dem mir absolut nichts abgeht. Wir haben jeden Abend Candlelight-Dinner. Ich kann mir dort kein schöneres Licht vorstellen. (Wojciech Czaja, RONDO OPEN HAUS, 4.2.2019)

Künstliche Dämmerungsphasen auf Ploderer-Art: Porto-Bistro-Bar im Hotel Das Triest (BEHF Architekten)
Foto: Das Triest