Klingelschild an einem neuen Wohnhaus.

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In Wiener Gemeindewohnungen sollte es, seit ein Mieter geklagt hatte, plötzlich keine Namen auf den Türschildern beim Hauseingang mehr geben. Es musste "Top" plus Türnummer heißen. Der Grund der Anonymisierung: die Datenschutzgrundverordnung. Aber jetzt: Kommando zurück. Viele Mieter wollten nämlich ihre Namen behalten. Verwirrung total. Freilich, auch in den meisten privaten Zinshäusern sind nach und nach die Türschilder mit Namen verschwunden. Wir heißen alle nur noch "Top".

Datenschutz? Klingt absurd, wenn man weiß, dass jeder Bürger durch das Internet längst genau identifizierbar ist. Die Algorithmen kennen unsere Gewohnheiten, Vorlieben, Kaufwünsche und politischen Ansichten. Aber für die Nachbarn in unserer Straße sollen unsere Namen ein Geheimnis bleiben. Das ist schade. Türschilder lasen sich früher wie die Personenverzeichnisse von Nestroys Theaterstücken. Horacek und Borsalino, Hinterhuber und Latour, Karamasian und Plaskov. Und die Titel, die auf den Schildern auch nicht fehlen durften: Reg.-Rat. Oberst a. D. Man konnte raten, wer von den Hausbewohnern wohl wer sein könnte. War Horacek das kleine alte Weiblein mit dem Dackel? War Latour der elegante Herr mit Spazierstock? Oder war es umgekehrt? Allein die Lektüre einer Türschilderansammlung war schon ein Vergnügen.

Vorbei. Nun gibt es oft nur noch Top plus Türnummer. Was heißt überhaupt Top? Eine Internetrecherche ergibt, dass schon viele diese Frage gestellt haben, die Antworten aber ziemlich vage geblieben sind. Irgendetwas mit Topos, Topografie. Die Behörde spricht Griechisch.

Die Zeit der Adressendetektive ist vorbei

Und man kann die Briefträger nur bewundern, die es irgendwie zustande bringen, die Post trotzdem einigermaßen korrekt zuzustellen, denn bei weitem nicht jeder Briefschreiber weiß neben der Hausnummer auch die Türnummer des Adressaten. Ganz gut, dass es kaum noch private Briefschreiber gibt. Aber es ist unvermeidlich, dass, besonders im Sommer, wenn die Ersatzbriefzusteller unterwegs sind, viele Poststücke ohne Top-Nummer zurückgehen oder oben auf dem Briefkastenblock darauf warten, dass sich jemand ihrer erbarmt. Längst vorbei die Zeiten, als die Post noch spezielle Adressendetektive beschäftigte, sodass einmal ein Brief mit der lakonischen Anschrift "Ernst Fischer, Wien" tatsächlich seinen Adressaten erreichte.

Datenschutz muss sein. Aber es scheint, als hätten Geheimnistuerei, Verfolgungsangst, Furcht vor Einbrechern, Abschottungsbedürfnis und die Tendenz, einerseits im Netz Privatestes ungeniert von sich zu geben, und andererseits in der Öffentlichkeit möglichst gar nichts von sich zu verraten, weite Teile der Gesellschaft erreicht.

Fast jeder hat mittlerweile eine geheime Telefonnummer. Alarmanlagen und Videokameras vor Privatwohnungen (ja, das gibt es) boomen. Und mancher Pensionist, dessen Privatleben niemanden besonders interessiert, gebärdet sich, als seien die Geheimdienste mehrerer Großstaaten hinter ihm her. Die Top-Schilder – ein Zeichen unserer Zeit. (Barbara Coudenhove-Kalergi, 28.11.2018)