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Ausgerechnet mit einem EU-blauen Schirm schützt sich Theresa May bei der Royal Welsh Winter Fair vor dem britischen Regenwetter.

Foto: Reuters / Rebecca Naden

Ausdauer. Standhaftigkeit. Durchhaltevermögen. Es schwingt viel Respekt mit in den Charakterisierungen ihrer Person, denen die Premierministerin dieser Tage begegnet. Theresa May reist durchs Vereinigte Königreich, macht Werbung und sucht Unterstützung für die Brexit-Vereinbarung, die die Regierung und die EU am Sonntag in Brüssel offiziell geschlossen haben.

Allerorten aber ist von "ihrem Deal" die Rede, selbst Kabinettsmitglieder sprechen so, als wollten sich die konservativen Parteifreunde – von den Parteifeinden wie Boris Johnson und Jacob Rees-Mogg und der Labour-Opposition ganz zu schweigen – distanzieren von dem Austrittsvertrag und der politischen Erklärung zur gemeinsamen Zukunft. In knapp zwei Wochen soll das Londoner Unterhaus über das Paket abstimmen, und von Tag zu Tag schwindet Mays Chance auf Erfolg.

Langer Einkaufszettel

Äußerlich lässt sich die 62-Jährige, deren Amtszeit von der drohenden Niederlage im Unterhaus jäh beendet werden könnte, nichts anmerken. Am Mittwoch nutzt sie die Fragestunde im Parlament zum Geplänkel mit Labour-Oppositionschef Jeremy Corbyn. Dieser kritisierte die "verpfuschten Verhandlungen". Umgekehrt zog May den Sechspunkteplan der Labours ins Lächerliche: "Mein Einkaufszettel fürs Wochenende ist länger." Die Stimmung im Unterhaus gegenüber May blieb während der 45 Minuten gelöst, beinahe freundlich. Wird da ein wenig Bewunderung spürbar? Oder doch eher Mitleid? Mehrfach in den vergangenen Wochen, zuletzt am Montag dieser Woche, gab es im Plenarsaal "Theresa in der Löwengrube" zu besichtigen. Zweifel, Kritik und Beleidigungen prasselten auf sie nieder.

Nigel Dodds, der Fraktionschef der nordirischen Unionistenpartei DUP, beschuldigt sie der Doppelzüngigkeit, Labour-Abgeordnete fordern ein zweites Referendum, die Brexiteers in den eigenen Reihen sprechen von Landesverrat. May bleibt höflich und sachlich. Es ist, als hätte die Regierungschefin nach 28 langen Monaten in der Downing Street und schweren strategischen Fehlern ihr Gleichgewicht gefunden. Sie positioniert sich zwischen jenen, die den EU-Austritt noch verhindern wollen, und den Hardlinern, die Brüssel den Stinkefinger zeigen.

Dem Binnenmarkt entzogen

Was sie anpeilt, ist ein Hybrid aus den Wünschen der knappen Brexit-Mehrheit von 2016 sowie den wirtschaftlichen und politischen Notwendigkeiten: Großbritannien würde sich der Personenfreizügigkeit des Binnenmarktes entziehen, die einer der Hauptbeweggründe für das Austrittsvotum war. Aber mit Verbleib in der Zollunion und die Auffanglösung für Nordirland blieben britischen Unternehmen die enge Verzahnung mit dem Kontinent erhalten und dem nordirischen Landesteil die harte Grenze zur Republik Irland erspart.

Am Dienstag in Nordirland und Wales, am Mittwoch dann in Schottland traf May auf Unternehmer, die ihr den Rücken stärkten. "Eine pragmatische und vernünftige Lösung" habe die Regierungschefin aus Brüssel mitgebracht, glaubt Jim Ratcliffe vom Chemieriesen Ineos. Alles sei besser als ein Austritt ohne Austrittsvereinbarung, sagen auch Getränkehersteller Diageo, der schottische Bauernverband und die nordirische Unternehmerlobby.

Düstere Prognose

Eine am Mittwoch veröffentlichte Regierungsprognose bestätigt die Befürchtungen: Sollte die Insel den Handel mit ihrem wichtigsten Markt beschneiden, würde die Wirtschaft über 15 Jahre um 9,7 Prozent weniger wachsen. Eigene Handelsabkommen mit Überseepartnern wie USA, Australien und den Golfstaaten könnten kaum mehr als 0,2 Prozent Zuwachs bewirken, so die 83-seitige Studie, die die Brexit-Ultras auf den Boden der Realität zurückholt.

Allerdings hätte auch der angestrebte Hybridbrexit im Vergleich zum Status quo negative Folgen (bis zu 3,9 Prozent) für die Insel. Und überhaupt: Wer kann die nächsten 15 Jahre zuverlässig vorhersagen? May bleiben nicht einmal 15 Tage. Schon schmieden Abgeordnete aller Seiten neue Deals, planen den noch weicheren Brexit à la Norwegen, prüfen Voraussetzungen eines zweiten Referendums. Und Theresa May? Sie steht im Regen und macht unbeirrt weiter. (Sebastian Borger aus London, 29.11.2018)