Angesichts mancher Argumente, die in den vergangenen Wochen aufgekommen sind, soll an dieser Stelle zumindest eines klargestellt werden: Der UN-Migrationspakt bezieht sich nicht auf Flüchtlinge, sondern seiner Bezeichnung gemäß auf Migranten (siehe Wissen unten). Für Flüchtlinge gibt es ein anderes Papier der Vereinten Nationen. Der wenig überraschende Titel: Flüchtlingspakt.

Was den Migrationspakt betrifft, so soll er am 10. und 11. Dezember auf einer Konferenz in Marrakesch angenommen werden. Im nächsten Jahr ist dann die Annahme in der UN-Generalversammlung geplant. Einige Länder, darunter Österreich, haben bereits erklärt, die Absichtserklärung abzulehnen. Aktuell wird auch in Deutschland und vor allem in Italien heftig darüber debattiert.

USA lehnen auch den Flüchtlingspakt ab

Im Schatten all dessen hat der Flüchtlingspakt seine vorletzte Hürde genommen. Am 13. November nahm der Dritte Ausschuss der UN-Generalversammlung – zuständig für soziale, humanitäre und kulturelle Fragen – die entsprechende Resolution an. 176 Länder, darunter alle EU-Mitglieder, stimmten dafür. 13 Staaten nahmen an dem Votum nicht teil, mit Liberia, Eritrea und Libyen enthielten sich drei Länder. Einzig die USA lehnten das Papier ab. Es sei mit dem "souveränen Recht" der Vereinigten Staaten unvereinbar, hieß es, auch wenn man viele der Inhalte teile.

Volker Türk, stellvertretender UN-Flüchtlingshochkommissar und damit höchster UN-Beamter Österreichs, über den Flüchtlingspakt.
UNHCR, the UN Refugee Agency

Das erinnert an den Migrationspakt, auch dort sind die USA mit ähnlicher Argumentation früh abgesprungen. Das sind aber nicht die einzigen Parallelen der Pakte. Wenn man so will, kann man sie als Zwillinge bezeichnen. Deren Geburtsstunde ereignete sich am 19. September 2016. An diesem Tag verabschiedete die UN-Generalversammlung als Reaktion auf die zahlreichen Flucht- und Migrationsbewegungen ein Paket, um die Herausforderungen in Bezug auf Flüchtlinge sowie Migranten in Zukunft besser bewältigen zu können. Die sogenannte New Yorker Erklärung beinhaltete zwei Anhänge mit folgenden Zielen: Bis 2018 soll ein globaler Pakt für Migration und einer für Flüchtlinge verabschiedet werden.

Österreich stimmt Flüchtlingspakt zu

Diese Frist wird knapp, aber doch eingehalten. Mitte Dezember soll der Flüchtlingspakt in der UN-Generalversammlung angenommen werden. Diesmal wird Österreich mitstimmen, teilte ein Sprecher des Außenamts dem STANDARD am Donnerstagabend mit. Die Handlungsvorschläge im Pakt, etwa bessere Schutzkapazitäten nahe an den Herkunftsländern, stünden "im Einklang mit den Zielsetzungen im Regierungsprogramm".

Die Frage nach den Erfahrungen mit dem Migrationspakt ist unabhängig davon nun auf alle Fälle: Wird auch der Flüchtlingspakt so viel Staub aufwirbeln? "Er taugt nicht zur Skandalisierung wie der Migrationspakt. Er ist viel technischer, zielt mehr auf praktische Lösungen ab als der Migrationspakt", sagt Steffen Angenendt, Forscher bei der Stiftung Wissenschaft und Politik in Deutschland, zum STANDARD.

In der Tat hat der Flüchtlingspakt gegenüber dem Migrationspakt einen großen Vorteil: Er hat mit der Genfer Flüchtlingskonvention bereits eine Grundlage, auf der sich arbeiten lässt, während es zu Migranten bislang kein globales Abkommen gibt. Deshalb kann er auch konkretere Schritte definieren, die etwas weniger Interpretationsspielraum offen lassen. So nennt der im englischen Original 21 Seiten lange Pakt vier große Ziele: den Druck auf Aufnahmeländer mindern, die Eigenständigkeit von Flüchtlingen fördern, den Zugang zu Resettlement ausweiten und eine Rückkehr in Sicherheit und Würde ermöglichen.

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März 2017: Südsudanesische Flüchtlinge werden ins benachbarte Uganda befördert. Der Flüchtlingspakt soll dafür sorgen, dass Erstaufnahmeländer entlastet werden.
Foto: AP / Jerome Delay

Warnung vor Destabilisierung

"Wir dürfen nicht den Fehler wiederholen, die Erstaufnahmeländer wie die Türkei, Jordanien oder den Libanon alleinzulassen. Dort würde es zu einer Destabilisierung führen, mit der Folge, dass die Flüchtlinge weiterziehen, weil sie dort keinen Schutz und keine Unterstützung erhalten", erinnert Angenendt, der schon die deutsche Bundesregierung, die Uno und die EU-Kommission beraten hat, an die Engpässe in den Jahren 2015 und 2016.

Unter anderem Resettlement, also die Neuansiedlung von Flüchtlingen in anderen Ländern, soll dies in Zukunft verhindern, heißt es in dem Pakt. Doch das ist gerade in der EU ein heikles Thema, haben Fragen zu Resettlement und Relocation, die Umsiedlung von Flüchtlingen in der Union, bislang immer im Streit geendet. Wie also soll das umgesetzt werden, wenn doch der Flüchtlingspakt wie auch der Migrationspakt explizit unverbindlich ist?

"Wir lassen keinen Staat allein"

"Zwar ist der Pakt rechtlich unverbindlich, aber es ist eine starke politische Absichtserklärung. Es ist ein erster Schritt zu sagen, wir lassen keinen Staat bei dieser Herausforderung allein", sagt Christoph Pinter, Leiter des UN-Flüchtlingshochkommissariats (UNHCR) in Österreich. UNHCR wurde die Aufgabe übertragen, den Flüchtlingspakt mit den UN-Mitgliedstaaten auszuverhandeln. Dafür wurden mehrere Diskussionsrunden durchgeführt und neben Staatenvertretern auch NGOs und Privatpersonen angehört.

In der Folge wäre laut Pinter der nächste Schritt, dass man sich überlegt: "Wie gehen wir jetzt konkrete Flüchtlingssituationen wie etwa jene in Uganda an?" Wer kann mithelfen, finanziell, aber auch in anderer Art und Weise? Dazu soll laut Pakt ab 2019 alle vier Jahre ein globales Flüchtlingsforum stattfinden, bei dem Staaten auf freiwilliger Basis festhalten können, was sie wo zur Verfügung stellen.

Dass man sich überhaupt an einen Tisch setzt und das diskutiert, ist für Steffen Angenendt ebenfalls ein wichtiger Punkt des Pakts. Er betont aber auch, dass die Annahme des Pakts im Dezember nur der erste Schritt sein kann: "Entscheidend wird sein, wie wir das dann umsetzen. Denn man kann das nicht oft genug sagen: Das ist alles freiwillig."

Grundsätzlich, so der Forscher, hat der Flüchtlingspakt durchaus seine Lücken in vielerlei Hinsicht, etwa dass Binnenflüchtlinge oder vor Naturkatastrophen Fliehende nicht berücksichtigt werden. Trotzdem sei er eine "riesengroße Chance, diese Jahrhundertherausforderung Zuwanderung besser in den Griff zu bekommen".

"Nutzung von Halbwahrheiten"

Kritik, dass die Entwicklung der beiden Pakte intransparent war, lässt Angenendt nicht gelten: "Es gibt wenige Prozesse, die transparenter waren. Alle Dokumente und Statements waren online nachzulesen. Zivilgesellschaft und Privatwirtschaft waren neben den Staatenvertretern involviert. Aber es hat sich keiner dafür interessiert, nicht die Politiker, nicht die Öffentlichkeit." Erst durch das "Aufgreifen von populistischer Seite, der Nutzung von Halbwahrheiten und gezielten Diffamierungen" sei das Interesse gekommen. "Offensichtlich haben einige politische Akteure festgestellt, dass man damit sehr gut mobilisieren kann." (Kim Son Hoang, 30.11.2018)