Behagliche Stilmelange à la Florian Staudinger, der eine Passion für Teppiche ("Bilder für den Boden") und zeitgenössische Kunst hegt.

Wenn es denn eine Branche gibt, die das Prinzip der Nachhaltigkeit zum Geschäftsmodell erkoren hat, dann ist es der Handel mit Altwaren und Antiquitäten: Ressourcen, die von Haushalten entrümpelt oder aus Verlassenschaften geborgen und einer weiteren Nutzung zugeführt werden.

Sie haben ein zweites oder auch mehr "Leben" verdient, einerlei, ob Mobiliar, Beleuchtungskörper, Teppiche, altes Glas, Porzellan, Silberbesteck oder Kuriositäten, und egal, ob all das 50, 100 oder 200 Jahre alt und älter ist. Dass ihre Anschaffung meist deutlich günstiger ausfällt als der Kauf vergleichbarer Neuware, sei erwähnt. Ebenso, dass ihre handwerkliche Ausführung nachweislich höhere Qualität aufweist als zahlreiche Produkte aus zeitgenössischen Massenproduktionen.

Die Einrichtungsklientel lässt sich grob in drei Lager teilen: jene, die historische Objekte in variabler Dosierung längst in ihren Alltag integriert haben und dies als Mehrwert schätzen; die anderen, für die derlei aus unterschiedlichen Gründen undenkbar bleibt. Und dann gibt es noch solche, denen es an Fantasie und an Mut zum Original fehlt, die sich aus Unsicherheit oder Bequemlichkeit dann doch lieber einem Ausstattungsstil unterwerfen, dem es stets an der gewissen individuellen Note fehlen wird.

Davon kann bei Florian Staudinger nicht die Rede sein. Im Gegenteil, wie sowohl die Wiener Wohnung des Unternehmers, Kunsthistorikers, Sammlers und Förderers zeitgenössischer Kunst als auch sein Refugium in Göstling an der Ybbs belegen. Damit, dass Freunde, Familienmitglieder und andere Besucher gerne spontan bekunden, sofort bei ihm einziehen zu wollen, hat Staudinger gerne leben gelernt. Gemütlich sei dabei übrigens das am häufigsten erwähnte Prädikat, erzählt er. Ein Eldorado für Vintage-Liebhaber da wie dort, das allerdings nicht von heute auf morgen, sondern sukzessive entstand und auch Veränderungen durchläuft.

Platz zum Lümmeln

Dachbodenfunde in Form alter Fauteuils mit neuer Tapezierung laden hier ebenso zum Lümmeln ein wie Ledersofas von Le Corbusier, wahlweise nimmt man auf Plexiglasstühlen oder bunt bezogenen Sesseln aus den 1950er- Jahren Platz, während das Sonnenlicht über einen Spiegel in opulenter Barockrahmung reflektierend durch das Zimmer tanzt. Hinzu kommt zeitgenössische Kunst aller Gattungen, von expressiver Malerei bis zu betont auf das Wesentliche reduzierter Fotografie.

Inspirieren lässt sich der Thirtysomething laut eigenen Angaben täglich und von allen existierenden Kunstformen, im Duett mit seinem Lebensmenschen Paul, einem amerikanischen Real-Estate-Investmentbanker, der ihn zwischendurch schon mal mit Heerscharen von Kupfertöpfen und -kuchenformen überrascht. Ihre Beutezüge erstrecken sich vom Internet über Flohmärkte in Südfrankreich, auch solche in den Niederlanden oder Südafrika und Berlin, bis in den einschlägigen Handel und in die Auktionsbranche.

Im Gespräch fallen Namen von Wiener Antiquitäten-Händlern wie "Glasfabrik", "Lichterloh" und auch das renommierte Auktionshaus Dorotheum, wo sich abseits des Hochpreissegments das Stöbern im Online-Angebot der sogenannten Daily Auctions lohnen kann.

Vom Vintage-Boom können sowohl die Wiener Designverkäufer Lichterloh, die sich vor 30 Jahren der vom gehobenen Handel weitgehend ignorierten Nische annahmen, als auch die vergleichsweise junge "Vintagerie" oder die seit mehr als 20 Jahren in diesem Segment aktive Glasfabrik ein erfolgreiches Liedchen trällern.

Letztere zählen Studenten ebenso zu ihren Kunden wie Botschafter, erzählt Simon Weber-Unger, der gemeinsam mit den Brüdern Christoph und Markus Matschnig den Standort soeben vom 16. in den 15. Wiener Gemeindebezirk zum Westbahnhof übersiedelte. Auf drei Ebenen und insgesamt 2500 Quadratmetern harren hier tausende Objekte aus Wohnungs- und Geschäftsauflösungen eines neuen Besitzers.

Individualität ist gefragt

Perfekt Restauriertes wird man allerdings vergeblich suchen, denn hier regiert der Originalzustand, den Stammkunden als Zusatzbonus empfinden (und der sich glücklicherweise auch positiv in der Preisgestaltung niederschlägt). Das gilt für barocke Schränke ebenso wie für Metallspinde, für Bugholzstühle genauso wie für Biedermeierkommoden und Küchenzeilen aus den 1950er-Jahren. Vor einer auch für Flohmärkte typischen Nebenwirkung sei an dieser Stelle gewarnt: Man wird hier selbst dann etwas finden, wenn man gar nichts gesucht hat ...

Die anhaltende und neuerdings über Social-Media-Kanäle befeuerte Nachfrage belegt, so der einhellige Tenor der Anbieter, eine tendenzielle Abkehr von herkömmlicher Massenproduktion hin zu mehr Individualität, die sich auch im Wohnbereich manifestiert. Die eigenen vier Wände sollen auch die Lebensphilosophie und den Charakter ihrer Bewohner spiegeln, ist Florian Staudinger überzeugt: Schließlich sollen "uns die Räume, in die wir abends heimkehren, um uns wiederzufinden und Energie zu tanken, nicht fremd sein".

Bleibt also noch die Frage, wie einem ein solches Ambiente gelingt. Im Idealfall startet man bei null, plaudert Staudinger aus dem Nähkästchen. Das heißt mit anderen Worten: Wie würde man leben wollen, wenn man völlige Freiheit, jedoch keinen einzigen Gegenstand besäße. Das ist freilich ein gedankliches Experiment, bei dem man lernt, auf solche Objekte zu reduzieren, die für einen Bedeutung haben. Von allen anderen Stücken sollte man sich befreien. Ein weiteres "Leben" anderswo ist ja nicht ausgeschlossen.

70 Prozent: Beim "Melonenservice" erspart man sich bei Auktionen bis zu 70 Prozent gegenüber dem Listenpreis.
Foto: Dorotheum

Heimischer Designklassiker

Es ist das mit Abstand legendärste Mokkaset der heimischen Designgeschichte: das vom österreichischen Architekten Josef Hoffmann 1929 für die Porzellanmanufaktur Augarten entworfene Ensemble Nr. 15 – wegen der mit vertikalen Rillen durchzogenen bauchigen Grundform als "Melonenservice" geläufig. Erhältlich in der schlichten (und günstigeren) Variante ohne Bemalung oder in peppigem Streifendekor, wahlweise in den Farben Schwarz, Rosa, Rot, Gelb, Hellblau oder Lauchgrün.

Kostenpunkt der bunten Version laut aktuellem Listenpreis: 685 Euro für die Kanne, 210 Euro für den Gießer, 393 Euro für die Zuckerdose und 287 Euro für die Tasse mit Untertasse. In Summe schlüge sich ein solches Set (wie abgebildet) mit 1575 Euro zu Buche. Theoretisch, denn praktisch ergattert man Gleichartiges mit etwas Glück für nur 500 Euro im Dorotheum. Dort werden regelmäßig Teile dieses Melonenservice bei den Daily Auctions (Online-Katalog) versteigert. Bei Bedarf können fehlende Serviceteile bei Augarten bestellt werden.

800er: Ein 180-teiliges Wiener Tafelbesteck der Firma Sturm in einer 800er-Legierung (80 Prozent Silber, 20 Prozent Kupfer).
Foto: Dorotheum

Besteck als Wertanlage

Ein Blick in die Geschichte belegt: Die Bedeutung von Essbesteck ging schon immer weit über den funktionellen Wert hinaus, da sich daraus auch der soziale Status ableiten ließ. Wegen seiner chemischen Eigenschaften ist Silber seit Jahrhunderten das gängigste Material in der Besteckherstellung. Denn "Silber hat antiseptische Wirkung", ruft Tafelkulturistin Annette Ahrens in Erinnerung. Dem reinen Materialwert ist die Beliebtheit als Geschenk zu Anlässen wie Hochzeiten oder als sorgsam bewahrtes Erbstück geschuldet.

Laut Ahrens macht sich das Stöbern nach historischem Silberbesteck im Kunsthandel und bei Auktionen bezahlt, nicht nur als Wertanlage, sondern da es deutlich günstiger als Neuware ist. Egal ob stückweise – ca. 40 versus 400 Euro – oder als Garnitur für mehrere Personen. Als Richtwert kalkuliert man für ein gebrauchtes 180-teiliges Wiener Tafelbesteck für zwölf Personen samt zugehöriger Holzkassette mit 10.000 bis 25.000 Euro – der Neupreis läge, je nach Qualität, beim bis zu Vierfachen.

50ies: Verdientes Revival eines Klassikers aus den 1950er-Jahren: der originale Cocktail-Chair.
Foto: Vintagerie, Lisa Oberscheider

Pfiffige Eyecatcher

Geht es nach dem seit Jahren üblichen Prozedere, dann ist nicht die Frage, ob, sondern wann sich der derzeitige Bestseller im Vintage-Segment im Programm von Möbelhäusern findet: gepolsterte Cocktail-Chairs, die sich als "gelegentliches" Sitzmöbel (Occasional Chair) – in bequemer Höhe zum Couchtisch übrigens – perfekt in Wohnzimmer-Interieurs integrieren. Im gehobenen Designbereich werden solche Nachbauten bereits seit einiger Zeit angeboten.

Die allgemeine Regel bei Retro-Produktionen: Je günstiger der Preis, desto kürzer die Lebensdauer, lehrt die Erfahrung. Die auch punkto Nachhaltigkeit überzeugendere Alternative sind tatsächlich die Originale aus den 1950er-Jahren, die sich in ein paar Jahren vielleicht sogar mit Gewinn wiederverkaufen ließen. Je nach Erhaltungszustand bietet die Vintagerie diese Gattung (je 590 Euro) auch mit originalen, meist jedoch mit neuen Bezügen (nach Wahl) und überarbeiteter Polsterung an: Die Bandbreite reicht von fröhlich-bunten bis zu gediegen-eleganten Eyecatchern." (Olga Kronsteiner, Portfolio, 18.1.2019)