Wer tanzen will, muss früh aufstehen. Morgens um fünf wird die Sau auf den Hof getrieben, da schnüffelt sie dann herum, verschlafen, mollig und rund und rosa anzusehen. Herzig, goldig schaut sie aus. Die Sau, eine erstaunlich bewegliche 180-Kilo-Matrone, wirkt überrascht ob des frühen Ausgangs, ehe sie der Schlachter ergreift und sie erbärmlich quietschend ihr junges Leben aushaucht.

Dann beginnt der Sautanz. An einem einzigen Tag wird das Schwein zu Fleisch, zu Würsten, zu Innereienspezialitäten, zu Schmalz und Grammeln verarbeitet. Vom Rüssel bis zur Klaue, alles findet Verwendung. Es wird geschnitten, gekocht, gebraten, faschiert, ausgelassen – und zwischendurch spielt die Sautanzmusi, Gläser werden gehoben und geleert, es wird geschlemmt und getanzt. Viel Arbeit, aber auch ein Fest, bei dem jeder herzlich willkommen ist.

Bild nicht mehr verfügbar.

So geht Sautanz in der Spitzengastronomie: Auch im Gut Purbach wird das liebe Borstenvieh am Schlachttag verarbeitet und für zahlende Gäste am Hof frisch zubereitet.
Foto: Picturedesk.com / laif / David Payr

Ursprünglichkeit

So ungefähr erzählt Max Stiegl die Geschichte des Sautanzes, so hat er ihn in seinem jüngsten Kochbuch (gemeinsam mit STANDARD-Autor Tobias Müller) beschrieben – und so ist es auch Tradition. Nicht nur im Burgenland, wo Haubenkoch Stiegl sein vielfach ausgezeichnetes Spitzenrestaurant Gut Purbach führt.

Auch in Oberösterreich, Kärnten und Salzburg lässt man das uralte Schlachtfest wieder aufleben – zur Freude der Gourmets, die das lange verpönte Schwein zunehmend wiederentdecken. Jetzt, im Dezember, geht das Sautanzen los, und es dauert bis ungefähr Faschingsdienstag. So will es zumindest die Tradition.

Stiegl, dessen Spezialität es ist, alles zu verkochen, was man sich vorstellen kann (und noch mehr, zum Beispiel Biber!), spricht der Sautanz besonders an: "Mir gefällt die Ursprünglichkeit einer Hausschlachtung", sagt er. "Gerade in einer Konsum- und Überflussgesellschaft ist es wichtig zu sehen, dass das Fleisch, das wir verzehren, davor einmal ein lebendiges Wesen war."

Freilich ist Stiegl nicht ganz so streng mit seinen Gästen im Gut Purbach: Wenn jemand die Schlachtung verpassen und später kommen will, ist das auch okay. Verkocht wird das liebe Borstenvieh ohnehin den ganzen Tag über.

Von einer Sautanz-"Saison" im touristischen Sinne kann man noch nicht wirklich sprechen, eher von "Geheimtipps", wie der burgenländische Tourismusverband erklärt. Einzelne Sautänze, meistens von Privatpersonen veranstaltet, finden rund um den Neusiedler See statt. Von einem Megaevent, wie es etwa das Martiniloben rund um den 11. November ist, könne beim Sautanz nicht die Rede sein. Noch.

Noch ein Geheimtipp

"Ich erwarte eine ähnliche Entwicklung", sagt Josef Gmasz. Das Martiniloben sei erst eine private Veranstaltung gewesen. Die Weinbauern eines Dorfes besuchten einander, man kostete den jungen Wein der Nachbarn und zog weiter in den nächsten Keller. Dann entdeckte der Tourismus eine einträgliche Geldquelle – und seither ist es, von Gols bis Göttlesbrunn, ein Massenevent.

Dem Sautanz blühe wahrscheinlich ein ähnliches Schicksal, prophezeit Gmasz. Schon heute wird er mitunter mit dem Erntedankfest vermischt, es gibt immer wieder Bestrebungen, den Sautanz auch tourismusfreundlicher in die wärmere Jahreszeit zu verlegen. Max Stiegl hält davon nichts: "Das wäre eine Sinnentleerung."

Gmasz, Historiker, Völkerkundler und Leiter des Stadtarchivs in Neusiedl, sieht das ähnlich. Er sieht es aber auch als seine Aufgabe, Brauchtum zu entmystifizieren. "Ein Brauch entsteht, weil er nützlich war und den Menschen etwas gebracht hat." Heute neige man dazu, alte Traditionen zu überhöhen und etwas scheinbar Wertvolles aus Dingen zu machen, die früher Alltag waren. Sogar in der Besatzungszeit, in der viele Menschen Hunger litten, wurde privat abgestochen, "das Schwein war das wichtigste Nahrungsmittel", so Gmasz. Im Neusiedler Stadtarchiv gibt es sogar ein Foto, auf dem ein russischer Soldat sichtbar erfreut bei einem burgenländischen Sautanz mithilft.

Früher, erzählt Gmasz, habe praktisch jede burgenländische Familie ihre eigene Sau über den Sommer gemästet – und im Winter dann abgestochen. Nicht nur Bauern, auch Kleinhändler und Tagelöhner hielten das so. Die Verarbeitung im Winter sei praktisch gewesen, erklärt Gmasz, in der Kälte sei das Fleisch nicht verdorben. Die Musiker spielten auf, um die "tanzarme Zeit" zu überbrücken und um, von Haus zu Haus zu Hof ziehend, ein paar Groschen zu verdienen. Man war dabei durchaus erfinderisch: Zu jedem Teil der Sau eine eigene Musi – so läpperte sich schon was zusammen.

Ein Schatz aus dem Fundus des Neusiedler Stadtarchivs: Sautanz im Burgenland anno 1948. Auch der russische Besatzungssoldat nahm augenscheinlich erfreut an dem Ereignis teil.
Foto: Stadtarchiv Neusiedl am See

Bis in die 70er-Jahre sei das so gewesen, erzählt Gmasz. Auch seine Eltern, "arme Lehrer", hätten jedes Jahr ein Schwein abgestochen. Er selbst sei als Kind stets geflüchtet: "Ich habe dieses Schreien nicht ausgehalten." Später wurden Hausschlachtungen dann aus hygienischen Gründen verboten. Heutzutage ist das wieder möglich – freilich unter strengen Auflagen. Ein Tierarzt muss immer dabei sein und die hygienische Verarbeitung des Fleisches überwachen.

Die Kunst des Stehlens

Ein bäuerliches Fest sei der Sautanz heute ohnehin nicht mehr, sagt Wolfgang Pleier von der burgenländischen Landwirtschaftskammer. Gastronomen und "Privatpersonen", die ein "Event" aus der Hausschlachtung machen, seien heutzutage die engagiertesten Sautänzer.

Wobei: So mancher Sautanzbrauch hat die Jahrtausendwende ziemlich unbeschadet überlebt. So kennt man heute noch im Südburgenland, aber auch in Kärnten und Oberösterreich das "Sauschädelstehlen", das die ehrenwerte Aufgabe der männlichen Dorfjugend ist.

Diese entwendet den Kopf der Sau möglichst unauffällig, um sich später damit möglichst auffällig "fangen" zu lassen. Im Dorfwirtshaus findet dann ein "Tribunal" statt, bei dem die Burschen zu "Strafen" verurteilt werden, die meist mit der Zufuhr alkoholischer Getränke zu tun haben, während die Wirtin den Sauschädel verkocht und am Ende alle schlemmen und der Sau bacchantisch huldigen.

Das ist im Haubenrestaurant nicht anders. Dort wird auch geschlemmt und geprostet wie im Dorfwirtshaus, auf die verwichene Sau natürlich. (Petra Stuiber, 2.12.2018)

Weiterlesen:

Sautanz: Max Stiegls beste Rezepte

Frau Rüssel und die Sau