Edward Snowden sitzt, ausgestattet mit einem bis 2020 befristeten Geschäftsvisum, in Russland fest. Nun richtet er einen Appell an die Weltöffentlichkeit, seine Helfer zu beschützen.

Foto: Lindsay Mills

"Das ist Vergeltung." Edward Snowden findet im STANDARD-Interview klare Worte für das Vorgehen der Behörden gegen jene Menschen, die ihm das Leben gerettet haben. Der einstige US-Geheimdienstmitarbeiter wurde im Juni 2013 zum gejagten Whistleblower, nachdem er die weltweite verdachtsunabhängige Überwachung des Internets und der digitalen Kommunikation durch die USA und ihre Verbündeten publik gemacht hatte. Er tat dies in Hongkong, ohne bedacht zu haben, dass er ab dem Moment der Veröffentlichung zum meistgesuchten Mann der Welt werden würde.

Robert Tibbo erzählt über den Beginn der Probleme für die Snowden-Flüchtlinge.
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Das war der Moment, als Robert Tibbos Telefon klingelte. Der Kanadier hat sich in der asiatischen Metropole den Ruf als engagierter Menschenrechtsanwalt erarbeitet. Er kämpfte für die Rechte von Asylwerbern, die in Hongkong ein Paria-Dasein fristen und so gut wie keine Chance auf Anerkennung und ein menschenwürdiges Leben haben. Tibbo sah in Snowden nichts anderes als einen Flüchtling, dem es zu helfen galt. Um ihn vor seinen Verfolgern zu verstecken, brachte er ihn bei seinen Klienten, sieben Asylwerbern aus Sri Lanka und den Philippinen, in Hongkong unter.

"Sie haben mich mit einer Herzlichkeit und Selbstverständlichkeit bei sich aufgenommen, als ich gerade am absoluten Tiefpunkt angelangt war. Sie haben mir geholfen, ohne zu hinterfragen, wer ich eigentlich bin", erzählt Snowden. In einer Zeit, in der die Angst vor Fremden zum politischen Programm erhoben werde, sei das Handeln seiner Fluchthelfer umso höher anzusehen: "Ihr Beispiel, ihre Menschlichkeit ist für mich ein Grund, weiterzukämpfen."

Flüchtlinge und Anwalt unter Druck

Doch nicht nur Snowden, auch seine Unterstützer zahlen heute einen hohen Preis für ihr Tun. Während ihn die USA weiter der Spionage bezichtigen, seine Auslieferung fordern und Präsident Donald Trump – wie er mehrfach bekräftigte – ihn am liebsten exekutieren lassen würde, werden die sieben Flüchtlinge und ihr Anwalt Tibbo von den Behörden in Hongkong unter Druck gesetzt.

Die Helfer von Snowden fühlten sich in Hongkong nicht mehr sicher.
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Dass Menschenrechtsanwälte wie Tibbo selbst zum Ziel von Verfolgung werden, ist 2018 keine Ausnahme mehr, sagt der österreichische Jurist Manfred Nowak, der ehemalige UN-Sonderberichterstatter für Folter. Nicht nur Anwälte, auch Journalisten und Aktivisten von NGOs würden immer mehr zur Zielscheibe, selbst vor deren Ermordung, wie etwa das Beispiel Russlands zeigt, werde nicht zurückgeschreckt. "Die Menschenrechte waren seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs noch nie so sehr in der Krise wie heute", sagt Nowak.

Die Situation hat sich für Snowdens Helfer mittlerweile derart zugespitzt, dass sich Tibbo diese Woche mit einem Hilferuf an ausgewählte Medien wie die "New York Times", "Paris Match" und den STANDARD wandte. Denn er selbst war gezwungen Hongkong unter diplomatischem Schutz verlassen, die sieben Flüchtlinge musste er zurücklassen.

Letztlich musste der Anwalt selbst das Land verlassen und seine Mandanten zurücklassen.
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Er arbeitet nun quasi aus dem Exil weiter für seine Mandanten, denn sie leben in ständiger Angst deportiert zu werden. Kein Land will sie aufnehmen. Auch Kanada, das 2016 noch Bereitschaft bekundet hatte, knickte offenbar unter Druck von außen ein und machte einen Rückzieher.

"Death by delay", also Tod durch Verzögerung, nennen Anwälte wie Pascal Paradis von der NGO Lawyers without Borders, die sich mit dem Fall befasst, dieses Vorgehen. Snowden selbst ist auf seiner Flucht vor den US-Behörden in Moskau gestrandet. Seitdem sieht er sich mit Vorwürfen konfrontiert, ein russischer Spion zu sein.

Dabei war sein Ziel eigentlich Lateinamerika, wie er erzählt: "Das US-Außenministerium hat den Fehler gemacht, meinen Pass nicht schnell genug zu annullieren. So konnte ich Hongkong noch verlassen. Als sie bemerkt hatten, dass ich auf dem Weg nach Lateinamerika bin, haben sie weltweit Regierungen aufgerufen, meine Bewegungsfreiheit einzuschränken."

Österreich gibt kein Asyl

Als er für einen Zwischenstopp in Moskau landete, steckte er fest und konnte nicht mehr weiterreisen. Seine sämtlichen Asylanträge in Europa wurden abgelehnt, auch von Österreich. "Das ist der Hauptgrund dafür, dass ich Russland nicht mehr verlassen kann", entgegnet Snowden seinen Kritikern. "Wenn die wichtigsten europäischen Staaten durch geheime Versprechen dazu veranlasst werden können, das Recht auf Asyl zu missachten, dann kann ich nicht anders, als das ganze System infrage zu stellen. Wenn man sich nicht mehr auf ein Recht verlassen kann, wie soll man sich noch auf das Gesetz verlassen können?"

Auch Manfred Nowak sieht diese Gefahr: "Die Staatsform Demokratie gerät zusehends unter Druck, wie die Situation in den USA, Großbritannien, Ungarn, Polen oder Italien zeigt. Diese Länder werden von Populisten regiert, die zwar durch demokratische Mittel an die Macht gekommen sind, die nun aber die Demokratie angreifen." Brasiliens neuer Präsident Jair Bolsonaro sei ein besonders drastisches Beispiel für einen Faschisten, der an die Spitze einer Demokratie gewählt wurde.

Nowak mahnt, aus der Geschichte zu lernen, denn immer wieder wurden Demokratien durch freie Wahlen zerstört. Daher seien "streitbare Demokratien" nun dringend aufgerufen, sich gegen solche "scheinbaren Demokratien" zu verteidigen, sagt Nowak mit Verweis auf Staatschefs wie Trump, Viktor Orbán und eben Bolsonaro.

In der westlichen Welt sei derzeit ein Backlash bemerkbar, daher müssten die Verteidiger von Menschenrechten jetzt in die Offensive gehen. "Alle sind gefragt, sonst könnte es nämlich bald zu spät dafür sein", warnt Nowak eindringlich.

Auch unter der aktuellen schwarz-blauen Regierung in Österreich sei ein Backlash zu beobachten: "Es werden Maßnahmen gesetzt, die als Einschränkung von Rechtsstaat, Demokratie und Menschenrechten gewertet und auch entsprechend kritisiert werden."

"Dahinter steckt eine Maschine"

Das Vorgehen gegen seine Helfer und ihn selbst sei entlarvend, sagt Snowden: "Die Maske ist gefallen. Hinter der vorgespielten Zivilisiertheit und Ordnung, die scheinbar unseren Alltag bestimmen, steckt eine Maschine, die ohne zu zögern alles niederbrennen würde, wenn das nötig wäre, um damit ein Problem aus der Welt zu schaffen."

Dass seine Helfer zur Zielscheibe werden, sei kein Zufall, gibt sich Snowden überzeugt: "Ihr Handeln steht symbolisch für eine moralische Entscheidung. Jeder sieht bei dieser Geschichte auf den ersten Blick, wer im Recht und wer im Unrecht ist."

Aber wenn es die "großen Regierungen" nun schaffen würden, diese Geschichte umzuschreiben, indem sie für die Beteiligten ein schlechtes Ende nimmt, dann hätten sie es auch geschafft, die positive Botschaft seiner Arbeit auf einen Schlag zu verändern, warnt Snowden. Er wisse nicht, wie weit die staatlichen Institutionen gehen werden, um dieses Ziel zu erreichen: "Aber sie sind schon jetzt viel zu weit gegangen."

Menschenrechtsanwalt Nowak kennt die Verhältnisse in Hongkong, wo die sieben Flüchtlinge feststecken, aus erster Hand. Er hat dort Anwälte ausgebildet, unter anderem war auch Tibbo einer seiner Studenten.

Die Hongkonger Anwaltskammer, die den Kanadier unter Druck setzt und sein Mandat für die Flüchtlinge sabotiert, habe Nowak eigentlich als "unabhängige Institution" kennengelernt. Ihr jetziges Vorgehen gegen Tibbo könne er sich nur dadurch erklären, dass "wohl enormer Druck von außen" ausgeübt werde.

Snowden ruft seine Unterstützer dazu auf, den Kampf für eine freie Welt nicht aufzugeben. Und vor allem den für seine Helfer: "Seht euch die Welt an. Es kann so schnell etwas passieren, und wir werden uns alle wie Flüchtlinge fühlen." (Steffen Arora, 1.12.2018)