Maulheld im Glitzeranzug: Tim Breyvogel als Liliom (li.).

Foto: Alexi Pelekanos

St. Pölten – Die Farben sind aus diesem Kirmeszelt gewichen. Das Rot ist verschossen, das Weiß fleckig. Selbst der Ausrufer Liliom ist blass. Im Glitzeranzug steht Darsteller Tim Breyvogel dem Geck näher als einem Kraftlackel. Ein richtiger Maulheld ist er dann, wenn er der Karussellbetreiberin, bei der er im Lohn steht, eine "mordstrum Watschen" androht.

Ursprünglich spielte Ferenc Molnárs Liliom in Budapest, doch Alfred Polgar machte das Stück von 1909 mit seiner Fassung aus dem Wiener Prater erst berühmt. Wer im Landestheater Niederösterreich Wiener Dialekt erwartet, tut das vergebens. Man bricht mit falschen historischen Vorstellungen. Aber ach sonst inszeniert Rudolf Frey die zwei Stunden direkt.

Direkt und analytisch

Da gibt es keine falsche Weihe oder unnötiges Fett. Eine Szene muss nicht ausgespielt werden, es reicht oft, sie zu skizzieren. Dann sprechen die tollen Darsteller ihren Text teilnahmslos vor sich hin, statt einem Dialogpartner zuzuarbeiten. So bekommen die Figuren offen etwas Analytisches.

Trotzdem dreht die Regie manche Pirouette. Dann zieht ein lebensgroßer Bär durchs Bild, in der Hand eine Flasche Wein. Und der Herr Konziliar im Wartesaal zum Fegefeuer bewegt sich synchron mit dem Wischkübel der Putzfrau. In Gefühlshascherei rutscht der Abend, wenn die Figuren zu singen beginnen. Aber das hält sich in Grenzen. Die Livemusik der Strottern ist dafür fantastisch. Einmal schief, dann sentimental, geht sie ins Stakkato eines dramatischen Countdowns über. Toll!

Feministischer neuer Schlusssatz

Liliom ist Täter und auch Opfer. So will es das Stück, und das wird durch die Inszenierung plausibel. Hanna Binder spielt Julie bravourös resolut. Sie sucht keinen Mann, sondern einen Komplizen um der Dienstmäderlschaft zu entkommen. Sie gibt den Ton an, bis Liliom sie zu schlagen beginnt. Dann ist Julie eine Heilige im Verständnisaufbringen für seine "Wildheiten".

Dem Originaltext "Es ist möglich, dass einen jemand schlägt, und es tut gar nicht weh", hält der Abend einen neuen Schlusssatz entgegen: "Ich glaube nicht, dass es möglich ist, dass einen einer schlägt, und es tut nicht weh." Damit wird das Stück besser in die Gegenwart gerückt als mit einigen müden Anspielungen auf die aktuelle Regierung. (Michael Wurmitzer, 2.12.2018)