Viele Implantate werden – anders als dieses Hüftimplantat – Patienten viel zu früh, noch in einem experimentellen Stadium angeboten.

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Die Recherchen des Internationalen Konsortiums investigativer Journalisten (ICIJ) zu fehlerhaften medizinischen Implantaten berichten von 1,7 Millionen Verletzungen durch fehlerhafte Implantate, 83.000 Todesfällen und 500.000 Explantationen fehlerhafter Produkte in den vergangenen zehn Jahren. In Deutschland wurden allein in einem Jahr (2017) 14.000 Vorkommnisse gemeldet, darunter auch Todesfälle. Für Österreich liegen keine Daten vor.

Diese Ergebnisse machen betroffen, aber eine Überraschung sind sie nicht: Seit Jahren mahnen kritische Experten im Gesundheitswesen, dass die meisten Implantate an nur wenigen Patienten in technischen Machbarkeitsstudien statt in rigorosen klinischen Studien zur Evaluation des Nutzens wie der Risiken getestet werden und nahezu ungeprüft in die klinische Praxis übertreten. Im Gegensatz zur Zulassung von Arzneimitteln durch eine zentrale Behörde – die allerdings auch vornehmlich durch die Pharmaindustrie finanziert ist – werden Medizinprodukte von etwa 50 "Benannten Stellen" in Europa zugelassen. Diese TÜV-Stellen sind privatwirtschaftlich geführte, gewinnorientierte Unternehmen. Die Auflagen sind lasch, die behördlichen Kontrollen quasi nicht existent. Aufgrund der Konkurrenz der Benannten Stellen untereinander und der Möglichkeit vor allem in osteuropäischen Ländern, besonders rasch eine Zulassung zu einem Medizinprodukt zu bekommen, werden viele auch hochriskante Implantate nur unzureichend klinisch geprüft. Das Zulassungsverfahren ist intransparent und nicht nachvollziehbar: Es liegen öffentlich zugänglich Informationen weder zum Ort noch zur Wissensbasis – wie eingereichte Unterlagen, Tierversuche, klinische Versuche am Menschen, et cetera – der Zulassung vor.

Die Gewinner sind die Hersteller, die unter dem Credo, den Patienten einen möglichst raschen Zugang zu hochinnovativer Medizin zu ermöglichen, ihre Produkte offensiv vermarkten und die mahnenden Experten als Innovationshemmer darstellen. Auch die große Nähe zwischen Herstellern und forschenden Klinikern trägt dazu bei, dass viele Implantate viel zu früh, in einem noch experimentellen Stadium, den Patienten angeboten werden, ohne zum tatsächlichen frühen Forschungsstand und zu den großen Risiken zu informieren.

Beispiele aus Österreich

Ein paar Beispiele aus Österreich: Nanostim, ein sondenloser Herzschrittmacher, wurde vor der Zulassung 2013 an 33 Patienten getestet und 2016 – wegen Batteriefehlfunktionen – wieder vom Markt genommen. Zeitgleich (2015) wurde in Österreich ein Erstattungsantrag gestellt. Der bioresorbierbare Absorb-Stent erhielt nach einer klinischen Studie mit 50 Patienten 2011 ein CE-Zertifikat. Inzwischen wurde der Vertrieb eingestellt, nachdem selbst kardiologische Fachgesellschaften den Nutzen infrage gestellt hatten.

2012 wurden dem Erstattungsantrag für ein CE-zertifiziertes Implantat bei Gelenkknorpelschäden am Knie zwei experimentelle Tierversuchsstudien an Göttinger Minischweinchen sowie eine Machbarkeitsstudie an 15 Menschen beigelegt. Es gäbe noch zahllose weitere Beispiele zu Hüftimplantaten, Bandscheibenprothesen, Inkontinenzimplantaten.

Massives Lobbying

In Europa kommen neue Medizinprodukte etwa drei bis sieben Jahre vor der Markteinführung in den USA in die Spitäler. Europa ist das große Versuchsfeld für US-amerikanische Zulassungsstudien: Viele Produkte werden wegen Fehlfunktionen, mangelnden Nutzens bei großen Risiken in den USA gar nicht erst zugelassen und hier in Europa nach wenigen Jahren wieder vom Markt genommen – nachdem zahlreiche Patienten die Implantate erhielten.

2017 wurde eine neue Europäische Medizinprodukteverordnung verabschiedet, die mit einer Übergangsfrist von drei Jahren die Auflagen für klinische Studien erhöhen soll. Die Medizinproduktehersteller machen massives Lobbying, dass die Umsetzung dieser Verordnung zugunsten einer rigorosen Zulassung weniger strikt eingeführt wird. Die Recherchen von ICIJ zeigen, dass es Zeit ist, alarmiert zu sein. (Claudia Wild, 4.12.2018)