Auf Einladung des Grazer Instituts für Weltraumforschung (IWF) der ÖAW trafen sich Wissenschafterinnen und Wissenschafter aus aller Welt Ende Oktober 2018 auf Schloss Seggau in der herbstlich eingefärbten Umgebung der südsteirischen Wälder und Weinberge. Ziel dieses Team-Meetings einer Arbeitsgruppe rund um die Nasa-Mission MMS (Magnetospheric MultiScale) war es, aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisse zu diskutieren und im Kontext der weiteren Missionsplanung von MMS zu erörtern.

Teilnehmende des MMS-Team-Meetings auf Schloss Seggau im Oktober.
Foto: James F. Spann (Nasa)

Jede Menge Daten

Seit ihrem Start im Jahr 2015 umkreisen die vier MMS-Satelliten die Erde und vermessen deren Magnetfeld sowie das darin eingefangene Plasma. Inzwischen sind zahlreiche Publikationen in wissenschaftlichen Journalen erschienen, die auf Daten von MMS beruhen. Am Grazer Weltrauminstitut wurden und werden diese Daten automatisiert gesammelt und verarbeitet, wissenschaftlich ausgewertet und interpretiert. Dazu sind auch leistungsstarke Computer sowie große Datenspeicher notwendig, die im hausinternen Rechenzentrum betrieben werden. Im Mittelpunkt der wissenschaftlichen Arbeit rund um MMS steht die sogenannte magnetische Rekonnexion. Sie bestimmt viele dynamische Prozesse des Plasmas im Magnetfeld, das die Erde umgibt und uns vor dem Sonnenwind schützt.

Großrechner LEO am IWF Graz
Foto: Philippe-A. Bourdin

Plasma – Der vierte Aggregatzustand

"Plasma" im physikalischen Sinne ist ein vierter Aggregatzustand, neben fest, flüssig und gasförmig. Im Plasma befindliche Atome sind in der Regel elektrisch aufgeladen, werden also zu sogenannte Ionen. Daneben schwirren schnelle Elektronen, also elektrische Ladungsträger, umher und beschreiben eine spiralförmige Bahn um das Magnetfeld herum. Dieser Zustand ist höchst interessant und sogar der vermutlich wichtigste Zustand von Materie im Universum, ganz im Gegensatz zur Materie hier auf der Erde.

Typischerweise entsteht ein Plasma bei sehr hohen Temperaturen von weit über 10.000 bis hin zu vielen Millionen Grad in der Korona der Sonne sowie der Heliosphäre, die den Einflussbereich der Sonne und des Sonnenwindes definiert. Zunächst scheint es widersprüchlich, dass im Weltraum so "hohe" Temperaturen herrschen, weil man doch immer wieder liest, dass das Weltall ein eisig kalter Ort wäre. Dies stimmt aber nur in Abwesenheit von Sonnenstrahlung oder von Prozessen, die magnetische Energie in thermische umwandeln könnten. Magnetische Rekonnexion ist aber genau ein solcher Prozess. Auch wird ein Plasma, das bei der Sonne erzeugt wurde, während es im Sonnenwind zur Erde transportiert wird, kaum untereinander wechselwirken oder mit anderen Plasmateilchen zusammenstoßen, an denen es sich elektrisch entladen könnte. Deshalb ist ein Weltraumplasma oftmals für lange Zeit in diesem Zustand gefangen, selbst wenn die Temperatur wieder fällt.

Auf der Erde finden wir Plasmen in unserer Atmosphäre, wo eine dauerhafte elektrisch geladene Schicht existiert, die Ionosphäre, die in der Lage ist, bestimmte Radiosignale zu reflektieren. Dies ermöglicht Kommunikation ohne direkte Sichtverbindung mit hoher Reichweite über die Erdkrümmung hinweg auf der Lang- und Kurzwelle, nicht jedoch auf Frequenzen der Ultrakurzwelle (UKW). In Laborexperimenten werden Plasmen auch im Kontext der Fusionsforschung zur Energieerzeugung untersucht. Weil ein Plasma sich substanziell von den uns umgebenden Aggregatzuständen unterscheidet, ist die Reaktion eines Plasmas für uns Menschen oftmals nicht intuitiv und widerspricht unseren Erwartungen. Das macht es so schwierig, die in der Sonne ablaufenden Prozesse auf der Erde nachzuahmen, um damit Energie zu erzeugen. Die Erforschung von Weltraumplasmen kann hier einen kleinen Beitrag leisten, Grundlagen zu entwickeln und das Verständnis von Plasmareaktionen zu verbessern.

Plasma sichtbar gemacht bei der Langen Nacht der Forschung am IWF Graz.
Foto: IWF/ÖAW

Was ist eigentlich "Magnetische Rekonnexion"?

Magnetische Rekonnexion bedeutet, dass sich Magnetfelder neu verbinden. Dies kann schlagartig oder auch nur durch marginale, kontinuierliche Veränderungen im Magnetfeld geschehen. In der Regel wird dabei magnetische Energie frei, die das Plasma aufheizt, indem geladene Partikel auf Geschwindigkeiten von mehreren tausend bis über 100.000 Kilometer pro Sekunde beschleunigt werden. Zur Verdeutlichung: Ein Kilometer pro Sekunde entspricht 3.600 km/h, die Lichtgeschwindigkeit liegt bei circa 300.000 Kilometern pro Sekunde oder 1.080 Millionen km/h. Wenn Sie diese Geschwindigkeiten nun mit der eines Autos vergleichen wollen, werden Sie sehen, dass es sich – wie so oft in der Astrophysik – um eine unvorstellbar große Zahl handelt.

Die Abbildung zeigt die Geschwindigkeitsverteilung von hochenergetischen Elektronen, die in einer Rekonnexionsregion auf bis zu 40 Prozent der Lichtgeschwindigkeit beschleunigt wurden.

Geschwindigkeitsverteilung hochenergetischer Elektronen.
Comuptersimulation: Philippe-A. Bourdin

Wo entsteht Rekonnexion?

Wir finden Rekonnexionszonen an vielen Stellen im Erdmagnetfeld, insbesondere auf der Tagseite, die der Sonne und dem Sonnenwind zugewandt ist, sowie im Magnetschweif der Erde (siehe gestrichelte Rechtecke in der Abbildung). Ist die Richtung des Magnetfeldes im Sonnenwind genau umgekehrt zur Feldrichtung der Erde, so wird die Rekonnexion auf der Tagseite besonders intensiv, weil entgegengesetzte Polaritäten sich gegenseitig auslöschen. Magnetfelder schlagen dann, vom Sonnenwind angetrieben, schnell auf die Nachtseite um. Gleichzeitig kann Sonnenwind-Plasma in die Magnetosphäre der Erde eindringen. Sind jedoch die Polaritäten von Sonnenwind und Erde gleich, stauen sich die Magnetfelder an der Tagseite, weil gleich orientierte Felder eben nicht leicht rekonnektieren können.

Die Abbildung zeigt eine schematische Darstellung der Erdmagnetosphäre mit Feldlinien, die die Richtung und Polarität des Magnetfeldes anzeigen (Pfeile). Geschlossene Feldlinien der Erde sind grün eingefärbt, Feldlinien des Sonnenwindes gelb, rekonnektierte Feldlinien in magenta. Die beiden Rechtecke zeigen die typischen Rekonnexionszonen auf der Tag- und Nachtseite der Erde.

Schematische Darstellung der Erdmagnetosphäre mit den typischen Rekonnexionszonen.
Grafik: Nasa, IWF

"Nebenwirkungen" der Rekonnexion

Schnelle Veränderungen im Erdmagnetfeld, ausgelöst durch Rekonnexion mit dem Sonnenwind, sind eine permanente Gefahr für Astronauten, für Strom-Netzwerke auf der Erde, sowie für alle Satelliten-basierten Systeme wie GPS und bestimmte Kommunikationsdienstleistungen. Schäden in diesen Systemen können sehr schnell katastrophale Folgen haben. Man denke nur daran, was mit als „sicher“ eingestuften Atomkraftwerken passieren kann, wenn diese für ein paar Tage nicht selbst mit Strom versorgt und deren Brennstäbe nicht mehr sinnvoll gekühlt werden können.

Es ist daher im Interesse jeder höher entwickelten Zivilisation, die Prozesse im Magnetfeld ihres Heimatplaneten besser zu verstehen, um sich gegebenenfalls rechtzeitig auf extreme Rekonnexions-Ereignisse einstellen zu können. Auch bei experimentellen Fusionsreaktoren, wie dem ITER-Großprojekt im französischen Cadarache oder dem Wendelstein 7-X im deutschen Greifswald, ist magnetische Rekonnexion ein veritables Problem, da durch sie das magnetisch eingeschlossene Fusionsplasma entweichen kann und so die Energieproduktion zusammenbricht.

Rekonnexion nahe der Erde zu untersuchen, hilft auch Rekonnexion bei weit entfernten astrophysikalischen Objekten besser zu verstehen, zu denen man derzeit keine Raumsonden fliegen lassen kann, beispielsweise Akkretionsscheiben von schwarzen Löchern oder die interstellaren Magnetfelder in anderen Galaxien. Neben der Gefahr durch energiereiche Partikel, die von Rekonnexion in der Erdmagnetosphäre ausgeht, gibt es auch einige sehr faszinierende und ungefährliche Nebenwirkungen, nämlich die Polarlichter.

Aufnahme der Polarlichter, von der Internationalen Raumstation (ISS) aus gesehen.
Foto: Astronaut Scott Kelly (Nasa)

Schnell, schneller, MMS

Um die Veränderungen der Magnetfelder in der Umgebung der Erde aufzeichnen zu können, wurde die MMS-Mission mit vier baugleichen Satelliten ausgeführt, die in variabler Formation fliegen können. So ist es möglich, ein größeres Gebiet mit Messungen abzuddecken und gleichzeitig die Veränderung der Magnetfelder in alle drei Raumrichtungen aus den vier Einzelmessungen zu rekonstruieren.

Rekonnexion beginnt in einem nur sehr kleinen Gebiet von wenigen Kilometern Durchmesser. Deshalb können sich die Satelliten bis auf circa zehn Kilometer zueinander nähern und anschließend wieder in größerem Abstand fliegen, wenn eine andere Region der Magnetosphäre vermessen werden soll. Die variierende Flugbahn wurde vorher anhand von Modellen und Computersimulationen so gewählt, dass sich die Formation möglichst oft Gebieten mit der erwarteten magnetischen Rekonnexion nähern kann.

Weil Rekonnexion auch ein sehr schneller Prozess ist, müssen die Messinstrumente an Bord von MSS in Sekundenbruchteilen sämtliche benötigten Informationen mit genügend Datenpunkten aufzeichnen können. So werden zum Beispiel die Magnetfelder 120 Mal pro Sekunde gemessen und die Elektronendichte 30 Mal.

Künstlerische Darstellung der vier MMS-Satelliten beim Formationsflug durch eine Rekonnexionsregion.
Grafik: Nasa

IWF Graz als größter nicht-amerikanischer Partner von MMS

Das IWF hält eine Schlüsselposition in dieser NASA-Mission. Das Grazer Institut hat die Federführung bei der Potentialregelung der Satelliten (ASPOC) und wichtige Komponenten für Instrumente beigesteuert, die das elektrische Feld (Elektronstrahlinstrument EDI) und das Magnetfeld (Digital Fluxgate Magnetometer DFG) messen. Allesamt stammen  also  aus österreichischen Werkstätten und umkreisen derzeit die Erde.

Dank der Entladungs-Instrumente ASPOC wird es leichter, die Dichte und Energie von Partikeln im Weltraum zu messen. Vergleichbar ist das mit statischer Elektrizität auf der Erde. Haben Sie schon einmal versucht, Papier- oder Plastikschnipsel loszuwerden, wenn Sie statisch aufgeladen sind? Ähnlich ergeht es Satelliten, nur dass diese geladene Partikel aus dem Weltraum anziehen, die eine akkurate Messung verunreinigen würden.

IWF-Beiträge zu MMS: ASPOC, EDI und DFG.
IWF/ÖAW

Wissenschaft ist international

Während des viertägigen Treffens auf Schloss Seggau wurden zahlreiche Diskussionen geführt, zum Beispiel über aktuelle Methoden der Computersimulation sowie die regelmäßig zu wiederholende Eichung der verschiedenen Instrumente, die sich im Laufe ihrer Lebensdauer verändern. Außerdem standen die neuesten wissenschaftlichen Resultate auf dem Programm. Das Team zur Planung der Orbits für die weitere Mission hat sich mit Wissenschafterinnen und Wissenschafter ausgetauscht, um die verbleibende Flugzeit möglichst optimal zu nutzen und offene Fragestellungen sowie Wünsche aus der Wissenschaftsgemeinschaft zu berücksichtigen.

Nicht unwesentlich waren auch die Netzwerkbildung sowie direkte Gespräche in ungezwungenem Rahmen. Dank gebührt an dieser Stelle der Agentur für Luft- und Raumfahrt der Österreichischen Forschungsförderungsgesellschaft (FFG), AUSTROSPACE sowie der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) für das Sponsoring. Insgesamt zeigt diese Mission sehr deutlich, wie wichtig inzwischen internationale Kooperationen im Wissenschaftsbetrieb geworden sind. (Philippe-A. Bourdin und Owen W. Roberts, 20.12.2018)

Philippe-A.Bourdin studierte Physik an der ETH Zürich und der Universität Freiburg, war Stipendiat am Max-Planck-Institut für Sonnensystemforschung in Katlenburg-Lindau und promovierte an der Universität Göttingen. Seit 2013 ist er am ÖAW-Institut für Weltraumforschung (IWF) in Graz tätig und forscht zu Themen rund um die Plasmaphysik der Sonne, des sonnennahen Weltraums und der Erdmagnetosphäre unter Einsatz von Großrechnern zur Modellierung von Weltraumplasma.

Owen W. Roberts studierte Planeten- und Weltraumphysik an der Aberystwyth University in Wales. Nach drei Jahren bei der Europäischen Weltraumorganisation ESA kam er 2018 ans IWF Graz der ÖAW. Seine Spezialgebiete sind Plasmaturbulenzen und die Analyse der Daten Weltraumflotten.

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