"Pfleger zu sein ist mehr als Personen zu waschen oder ihnen beim Gehen zu helfen". Viele hätten Ängste und Sorgen, sagt ein Krankenpfleger (Symbolbild)

Foto: Christian Fischer

"Im Zivildienst habe ich Personen mit Behinderung gepflegt. Da wusste ich: Die Pflege entspricht mehr meinem Naturell als mein eigentlicher Beruf eines Buchhändlers. Ich schätze den Kontakt mit Menschen, die sich in existenziellen Ausnahmesituationen befinden. Sie sind auf eine Art mehr sie selbst, weniger oberflächlich, ehrlicher. Pfleger zu sein ist mehr als Personen zu waschen, anzukleiden oder ihnen beim Gehen zu helfen. Es ist wichtig, ihnen Aufmerksamkeit zu geben, ihnen zuzuhören, denn viele haben Ängste und Sorgen.

Also machte ich mit Ende zwanzig noch eine Ausbildung. Seit über 22 Jahren bin ich diplomierter Krankenpfleger, derzeit arbeite ich in einer Rehabilitationsklinik im Westen Österreichs. Wir haben Patienten, die bereits gehen können, wenn sie zu uns kommen. Deshalb machen die Physiotherapeuten die eigentliche Arbeit – die Pflege im klassischen Sinn beschränkt sich darauf, den Leuten beim Duschen zu helfen, ihnen Stützstrümpfe anzuziehen oder sie für die Physio bereitzumachen.
Den restlichen Tag verbringe ich auf der Ambulanz, kontrolliere Blutzuckerwerte oder beantworte Fragen der Patienten. Zudem nimmt jeder Pfleger täglich zwischen einem und vier Patienten in die Klinik auf. Wir haben Bereitschaftsdienst, im Notfall müssen wir Patienten, die einen Schlaganfall oder Herzinfarkt hatten, reanimieren.

Absprung schaffen

Im Reha-Bereich ist das aber selten, in meinem vorigen Job war das anders. Knapp zehn Jahre war ich in der Akutpflege auf der Herzstation tätig, habe Personen, die mit frischem Infarkt kamen, versorgt. Mit diesen Hochrisikopatienten zu arbeiten war herausfordernder als das, was ich jetzt mache. Darüber bin ich froh, ich habe rechtzeitig den Absprung geschafft: Man sollte zusehen, dass man mit Mitte 50 aus der Akut- und Langzeitpflege rauskommt, da diese langfristig die Gesundheit gefährden können.

Ich habe genug Kollegen, die sich krank gearbeitet haben und mit kaputtem Rücken und psychischen Belastungen in Pension gehen. Ich hatte Glück. Auch, weil ich vor drei Jahren einen Ortswechsel vollzogen habe: vom Osten in den Westen. Hier ist es nicht nur unstressiger, sondern die Arbeitsbedingungen sind all gemein besser: Weil viele aufgrund des Gehalts in die Schweiz gehen, gibt es viele offene Stellen, die Arbeitgeber zahlen deshalb deutlich besser.

Zwölf-Stunden-Dienste

So wie fast alle Kollegen in dem Beruf habe ich Zwölfstundendienste, unsere beginnen um sechs Uhr morgens. Alle wollen diese Dienste, acht Stunden sind unbeliebt. Denn: Man muss seltener in die Klinik. Vollzeitangestellte haben so nur drei Dienste pro Woche – und genug Zeit, sich zu erholen. Dennoch können diese Schichten eine Belastung sein, wenn man eine Familie oder einen Partner mit einem klassischen Nine-to-five-Job hat. In meinem Fall trifft das nicht zu: Ich habe keine Kinder und aktuell keine Beziehung. Doch meine Kollegen mit Familie stehen teilweise Kopf, um eine Betreuung zu finden, wenn ihr Partner mal nicht auf die Kinder schauen kann.

Besonders in der Altenpflege und der Behindertenbetreuung, die beide physisch und psychisch extrem anstrengend sind, werden solche Dienste zur Herausforderung. Die Leute sind überarbeitet, schieben Überstunden, die Abteilungen sind massiv unterbesetzt – dann entstehen Fälle, wo Patienten wirklich ungut behandelt werden, wie zuletzt in Niederösterreich.

Quasi ideales Arbeitsumfeld

Auch die Dokumentation, die stark zugenommen hat, stellt dann ein Problem dar. Oft dauert es länger, aufzuschreiben, was man gemacht hat, als man mit dem Patienten arbeitet. Bei uns ist das kein Problem, wir haben genug Zeit. Wir sind auch personell gut aufgestellt: Pro Tag sind vier Pfleger eingeteilt, im Nachtdienst zwei. Das ist quasi ein ideales Arbeitsumfeld – was in der Pflege eher untypisch ist.
Arbeit mit nach Hause nehmen

Was das Arbeitsumfeld betrifft, herrscht in der Branche ein gewisser Perfektionismusdrang, auch ausgelöst durch eine Art Konformismusdruck. Anders als etwa bei Ärzten ist es in der Pflege verbreitet, dass man seine Arbeit genauso machen soll wie alle anderen. So entsteht auch Druck, der oft unreflektiert an die Kollegen weitergeleitet wird, das Betriebsklima verschlechtert sich. Die meisten Pfleger, die ich kenne, die unter ihrer Arbeit leiden, leiden auch unter der Kollegenschaft.
Sie nehmen auch oft die Arbeit mit nach Hause, denken über das Leid der Patienten, die Todesfälle nach oder darüber, ob sie alles richtig gemacht, bei der Dienstübergabe kein Detail vergessen haben. Ich versuche, das Leid der Menschen in der Klinik zu lassen, was mir in der Regel gelingt. Mein Zugang: Ich nehme nur mit, wenn es einem Patienten besser geht." (Selina Thaler, 7.12.2018)