Hard-Edge-Malerei: Leon Polk Smith ("Correspondence Orange Blue", 1965) zählt neben Ellsworth Kelly und Ad Reinhard zu ihren Begründern und wichtigsten Protagonisten.

Foto: Mumok © Bildrecht Wien, 2018

Anstatt etwas hinzuzufügen, wie sonst in der Malerei üblich, hat Ernst Caramelle die Subtraktion interessiert. Also nicht das Hinzufügen von Farbe, sondern ihr Abziehen oder Entfernen. Genutzt hat er dafür das Sonnenlicht, das die empfindlichen Farbpigmente nach einiger Zeit ausbleichen lässt. Die Ergebnisse dieses physikalischen Prozesses sind zarte Abstraktionen, die an Raumgefüge erinnern, und eine Technik, die "Sonne auf Papier" heißt.

Im Mumok ist das Œuvre von Caramelle zurzeit in einer umfassenden Retrospektive zu sehen. Einige seiner Raumgefüge haben aber auch in der parallel laufenden Ausstellung Malerei mit Kalkül. Positionen der Neoanvantgarde aus der Mumok-Sammlung ihren Platz. Schließlich sei dort der kunsthistorische Kontext zu sehen, so Kurator Rainer Fuchs, in dem er sein konzeptuell begründetes Oeuvre entwickelt hat.

Maßgeblich dafür war das Aufkommen neuer Medien, aber auch die verstärkte Verknüpfung von Kunst und Theorie in der Minimal Art und der Konzeptkunst. Die Malerei, das klassischste aller Medien, blieb von diesen Entwicklungen nicht verschont. Vielmehr erlebte auch sie durch den in den 1950ern einsetzenden radikalen Bruch mit den Traditionen einen ungeheuren Erneuerungsschub.

Anwesenheit der Betrachter

An die Stelle von Figuration sowie Expression und Gestik trat die systematische Reflexion über das Tafelbild: sein Format, die Flächigkeit, die Eigenschaften der Farbe, aber auch die Grundlagen von Wahrnehmung jenseits von Illusion. Damit stand nicht mehr länger Vergangenes zur Debatte, sondern das Hier und Jetzt der Betrachter oder besser: ihre Anwesenheit, Bewegung und Interaktion.

In der Schau wird das unter anderem durch Werke von Österreichern wie Richard Kriesche, Marc Adrian, Hermann Painitz oder Helga Philipp sehr schön vor Augen geführt: Die Acrylglasarbeiten (um 1970) von Philipp bestehen etwa aus mehreren Rastern aus Kreisen, die sich erst durch den wandernden Blick der Betrachter zu überlagern beginnen. Dadurch entsteht optisch der Eindruck einer Dynamisierung, obwohl das Objekt eigentlich statisch ist.

Einen solchen Bruch mit dem Tafelbild haben damals freilich auch noch andere Künstler vollzogen: In der sogenannten Post-Painterly Abstraction (im Mumok vertreten durch Jules Olitski oder Helen Frankenthaler) wurden Bilder zu dreidimensionalen Farbobjekten oder erhielten in den Hard Edge Paintings (Ellsworth Kelly oder Ad Reinhardt) klar definierte geometrische Formen. Einen Schritt weiter gingen Kenneth Noland, Frank Stella oder auch Gerhard Merz mit ihren Shaped Canvas: also zugeschnittenen Leinwandformaten, mit denen sie u._a. auf die Architektur des Ausstellungsraums reagierten.

Farbwahrnehmung

Den Anstoß für dieses Ausloten der malerischen Grundlagen hat Josef Albers – in der Schau mit seiner berühmten Serie Homage to the Square (1957) vertreten – bereits in den 1950er-Jahren gegeben. Er wollte nachvollziehbar machen, dass die Erscheinung einer Farbe immer von den Nachbarfarben abhängig ist.

Wie verschieden die Nachfolgegenerationen Albers Ansätze weiterentwickelt haben, wird durch die Vielfalt der Positionen eindrücklich illustriert: Kontrastierende Farbordnungen stehen dort für gesellschaftspolitische Utopien (Richard Paul Lohse) genauso wie für kulturelle Identitäten (Raimer Jochims), und die Streifenbilder von Agnes Martin sind vom Zen-Buddhismus inspiriert.

Über das rein formale Experiment gehen zudem die Positionen aus Osteuropa hinaus: Von Karel Malich sind reliefartige Bildkörper zu sehen und Dòra Maurer hat mit geometrischen Bildsegmenten experimentiert. Beide stehen auch für die Neubelebung der konstruktivistischen Moderne im Osteuropa der 1960er, die eine klare Absage an die Propagandakunst des Sozialistischen Realismus war. (Christa Benzer, Spezial, 7.12.2018)