Ein Gauner im Rotlichtmilieu lasse sich nicht politisch korrekt darstellen, sonst gehe die Glaubwürdigkeit der Figur verloren, sagt der Regisseur Wolfgang Murnberger über die Strizzis in seinem Landkrimi.

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Neben Tobias Moretti sind im neuen Wiener Landkrimi auch Christoph Krutzler, Christopher Schärf, Andreas Lust und Wolf Bachofner dabei (von links nach rechts).

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Nach David Schalkos "Höhenstraße" inszeniert Wolfgang Murnberger mit "Achterbahn" (Drehbuch: Rupert Henning) den zweiten Wiener ORF-Landkrimi. Tobias Moretti soll im Rotlichtmilieu aufräumen, er selbst ist aber alles andere als aufgeräumt. "Saustall nichts dagegen" würde wahrscheinlich Wolf Haas dazu schreiben, dessen Brenner-Krimis brachte Murnberger auf die Leinwand. Zu sehen ist "Achterbahn" am Mittwoch um 20.15 Uhr in ORF 1.

STANDARD: Warum spielt ausgerechnet der Tiroler Tobias Moretti einen Wiener Kommissar?

Murnberger: Das hat sich so ergeben. Die Urgeschichte zu diesem Drehbuch hat Thomas Maurer geschrieben. Das war einmal als Kinoprojekt geplant, das sehr episch angelegt war, aber nie finanziert wurde. Der Stoff ist herumgelegen, und man hat gesagt: Versuchen wir daraus einen Krimi zu machen, dann sind wir in diesen Wien-Landkrimi reingerutscht. Beim Steirer-Krimi habe ich immer die gleichen Ermittler, in Wien ist das nicht der Fall. Es hat mir sehr viel Spaß gemacht, wieder mit dem Tobias zu drehen. Das war der dritte gemeinsame Film. Er bringt so wahnsinnig viel Energie mit und gibt immer hundert Prozent. Er ist ein Perfektionist und ein Arbeitstier. Wären alle Schauspieler in der Mannschaft so, wäre das anstrengend, aber es ist immer eine Freude, mit ihm zu arbeiten.

Tobias Moretti als Josef "Seff" Vilser.
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STANDARD: Hat er einen Sprachkurs gemacht, um den Wiener Kommissar glaubwürdig spielen zu können?

Murnberger: Er versucht immer, sich anzupassen. Er hat gefragt: Wie lange bin ich jetzt schon in Wien? Ich habe gesagt, 15 Jahre. Das heißt, man kann das Tirolerische schon merken, ich tue mir aber schwer, die erfundenen Dialekte zu glauben. Für mich ist es schwierig, wenn ein Schauspieler, der so durch seinen Dialekt geprägt ist, ein Wiener etwa, in einem Krimi plötzlich Vorarlbergerisch reden soll. Ich brauche etwas, um so etwas zu akzeptieren. Die Miriam Stein lässt sich zum Beispiel alle Dialoge aus dem Steirer-Krimi von einer steirischen Freundin einlesen. Sie färbt ein bisschen ein, wir müssen aber aufpassen, dass sie nicht übertreibt und nicht steirischer als die Steirer redet.

STANDARD: War Moretti Ihre Wunschbesetzung?

Murnberger: Er war schon in der Idee da, bevor es klar war, dass es ein Landkrimi wird. Wir bemühen uns sonst schon, die Krimis mit Schauspielern aus dem jeweiligen Land zu besetzen. Na gut, in der Steiermark ermitteln mit Miriam Stein und Harry Prinz Wiener. Wir haben gesagt, das ist ein Wiener, der nach Graz versetzt wurde (lacht). Weil die Degeto (ARD-Produktionsfirma, Anm.) dabei ist, versuchen wir immer auch einen zugkräftigen Deutschen dabei zu haben, was nicht immer so einfach ist.

Miriam Stein und Harry Prinz ermitteln in der Steiermark.
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STANDARD: Und beim Dialekt müssen Sie dann auch Rücksicht darauf nehmen, dass er auch in Deutschland verstanden wird?

Murnberger: Für die Deutschen machen wir eine leicht synchronisierte Fassung.

STANDARD: Der Dialekt wird entschärft?

Murnberger: Ja, aber mein Wunsch wäre, dass man es untertitelt. Man lässt sie Steirisch reden und untertitelt die paar Sätze, die sie nicht verstehen. So wie alle Türken, die im Film Türkisch reden, einen deutschen Untertitel bekommen. Das heißt ja nicht, dass der gesamte Film untertitelt werden muss. Man weiß ja bereits beim Drehbuch, was sie nicht verstehen.

STANDARD: Zum Beispiel?

Murnberger: Beim Brenner-Krimi "Ewiges Leben": "Er hat in die Abwasch g'spieben" versteht in Deutschland niemand. Die Deutschen wissen nicht, was speiben ist, und sie wissen auch nicht, was eine Abwasch ist. Ich möchte aber den Josef Hader oder den Roland Düringer nicht sagen lassen: Er hat in die Spüle gereihert. So vergräme ich mir das österreichische Publikum. Ich finde es schön, wenn er im Film sagen kann: Er hat in die Abwasch g'spieben. Als Untertitel schreibe ich dann: Er hat in die Spüle gereihert. Dann verstehen sie es auch in Hamburg, und ich bleibe authentisch in Österreich und in Bayern. Probleme haben ja nur die Norddeutschen. Das wäre schön, ist aber wahnsinnig schwer, es im Fernsehen durchzubringen.

STANDARD: Nur weil es nicht üblich ist? An den Kosten würde das ja nicht scheitern.

Murnberger: Nein, es ist überhaupt nicht teuer. Ich habe jetzt einen Film in Bayern gemacht, mit Georg Friedrich in der Hauptrolle. Er heißt "Nichts zu verlieren". Der ORF zeigt ihn am 27. Dezember. Drei österreichische Gauner räumen in München einen Safe aus und sind dann auf der Flucht. Die reden deswegen in Bayern ja nicht Deutsch, sondern Österreichisch untereinander. Ich habe auf Knien gebeten, dass die Untertitel bekommen, es war aber nicht möglich. Er ist dann in Bayern gesendet worden, alles war super, aber dann erhalte ich Meldungen aus Hamburg: Danke, der Film war schön, nur schade, dass ich nicht alles verstanden habe. Ich denke mir: Warum muss das so blöd sein?

STANDARD: Beim Wiener "Tatort" werden Sie das Problem ja auch haben?

Murnberger: Ja, es wäre eine echte Errungenschaft, dass es so weit kommt, dass man das einfach einschalten kann. Technisch muss das gehen: Wenn man will, aktiviert man die Untertitel. Warum schauen meine Kinder so gerne Netflix? Weil sie lieber Original schauen. Es rennen halt die deutschen Untertitel mit. Ich sehe mir auch lieber Originalfassungen mit Untertiteln an als die synchronisierte Fassung. Dass deutsche Schauspieler amerikanische Schauspieler nachsprechen, ist eigentlich völlig sinnlos (lacht).

STANDARD: Im Wiener Landkrimi herrschen ein rauer Ton und ein rassistischer Slang. Entschärfen Sie das auch noch?

Murnberger: Das Fernsehen wird immer mutiger. Für 20.15 Uhr finde ich unseren Film verhältnismäßig schmutzig. Der koksende Polizist, während in Deutschland ausgegeben wurde, dass Ermittler nicht mehr rauchen dürfen.

STANDARD: Bei uns ist das kein Thema?

Murnberger: Noch nicht (lacht).

STANDARD: Koksen erlaubt, rauchen nicht.

Murnberger: Im Moment konzentrieren sich alle auf das Rauchen. In Deutschland gibt es das wirklich.

STANDARD: Das gefällt Ihnen nicht?

Murnberger: Ich finde es komisch, wenn das so rigoros ist. Heißt das, dass nie wieder ein Ermittler rauchen darf? Ich verstehe schon den Ansatz, dass man nicht Werbung dafür machen soll, wenn sich ein cooler Typ eine anraucht, aber mein Gott. Ich glaube, man muss lernen, damit umzugehen.

STANDARD: Braucht es in dem Film eine rassistische Sprache wie "Schoko-Brüste", um das Rotlichtmilieu glaubwürdig zeigen zu können?

Murnberger: Ich finde super, dass man authentisch sein darf, auch wenn es politisch nicht korrekt ist. Sonst müsste man alles nivellieren. Schwierig wird es, wenn der Ermittler dauernd rassistisch ist, aber wenn der Strizzi dauernd rassistisch ist, ist das authentisch. Die reden ja so. Ich kann die Gauner nicht politisch korrekt machen. Dann wären sie vielleicht gar keine Gauner mehr (lacht). Ich muss einen Mörder einen Mord begehen lassen, auch wenn das verboten ist. Genauso muss ich einem Gauner seine Sprache lassen.

STANDARD: Auffällig ist auch die Titelgeilheit im Film, dauernd ist von Magister oder Ingenieur die Rede. Ist das typisch österreichisch?

Murnberger: Das ist die Sprache in dem Milieu. Alle haben irgendwelche Spitznamen. Die Geschichte basiert auf einer wahren Begebenheit aus den 90er-Jahren. Es gab einen Polizeipräsidenten, der Verbindungen zum Rotlichtmilieu hatte. Vor einer Razzia hat er im Puff angerufen, um zu warnen. Da haben auch alle so geheißen: der Lange, der Kurze, der Ingenieur.

STANDARD: Wenn der Name zum Programm wird: Eine Location ist das Café Defizit im 17. Bezirk. Wie haben Sie das entdeckt?

Murnberger: Es hat mir wahnsinnig gut gefallen – auch semantisch. Allein schon vom Namen her. Der drückt etwas aus. Meine Hauptfigur hat ja auch einige Defizite, und dann ist das noch dazu sein Stammlokal.

STANDARD: Wie sind die Erwartungen in puncto Quote?

Murnberger: Der ORF definiert, was er auf diesem Sendeplatz gerne hätte. Je nachdem, ob ORF 1 oder ORF 2, Hauptabend oder nicht, liegt das wahrscheinlich irgendwo zwischen 500.000 und 900.000 Zusehern. Es liegt aber nicht unbedingt am Film, sondern am Sendeplatz. Wenn du Pech hast, startet in Deutschland an dem Termin eine neue U-Boot-Serie, und du verlierst in Österreich 200.000 Zuseher.

STANDARD: Man weiß es nie.

Murnberger: Wenn ich an meinen Luis-Trenker-Film denke: Den haben die Bayern versenkt. Es war gerade die Flüchtlingskrise, und sie haben eine Diskussionssendung um eine halbe Stunde verlängert. Die Leute haben den Fernseher eingeschaltet, der Film war nicht, und sie waren wieder weg. Manchmal hast Glück, manchmal hast Pech.

Murnberger führte bei "Luis Trenker – Der schmale Grat der Wahrheit" Regie – im Bild: Tobias Moretti (Luis Trenker) und Brigitte Hobmeier (Leni Riefenstahl).
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Mein Steirer-Krimi "Steirerkind" ist der bist jetzt meistgesehene dieser Reihe (rund 900.000 Zuseher, Anm.). Sie haben es geschafft, ihn eine Woche vor dem Rennen in Schladming zu senden. Im Krimi selbst ist das Rennen eine Hauptattraktion, das ist dann wieder super Werbung für den Film.

STANDARD: Das Wiener Rotlichtmilieu wird wahrscheinlich keinen aktuellen Anlass liefern, um Werbung für den Film zu machen.

Murnberger: Polizeikorruption ist gerade ein gutes Thema. Vielleicht bin ich gerade up to Date mit dem Film wegen der ganzen Troubles, die sie mit dem Innenminister haben. Obwohl: Der rechtsradikale Sicherheitsmann im BVT-Untersuchungsausschuss, das ist eigentlich Stoff für eine Komödie. Keiner hat es gewusst.

STANDARD: Der ORF ist ja einer ihrer Hauptauftraggeber. Die türkis-blaue Regierung arbeitet gerade an einem neuen ORF-Gesetz, weniger Geld steht im Raum. Fürchten Sie um Aufträge?

Murnberger: Bis jetzt hatte es keine Auswirkungen. Ich schaue immer, wie viele 90-Minüter pro Jahr produziert werden, das merken wir in der Filmbranche. Solange die Fiction-Abteilung erfolgreich ist, und das ist sie mit den Landkrimis und den Stadtkomödien, dann bin ich natürlich froh. Wir haben das Pech, dass es in Österreich praktisch keinen anderen Auftraggeber als den ORF gibt. Mateschitz und Servus TV haben diese Pferdeserie gemacht, jetzt eine mit Fritz Karl als Ermittler, aber das ist eine pro Jahr. Davon kann keine Filmbranche leben. Ich habe aber auch einige Filme etwa für den WDR und den Bayerischen Rundfunk gemacht. Deutschland ist sehr interessant, weil es so ein harter Konkurrenzkampf ist. Sogar zwischen ARD und ZDF – und den Privaten sowieso.

STANDARD: Macht es für Sie einen großen Unterschied, ob Sie für Kino oder Fernsehen produzieren?

Murnberger: Der Unterschied ist groß. Für das Kino habe ich für jede Minute Film fast die doppelte Zeit und fast das doppelte Geld zur Verfügung. Gestalterisch bieten sich einem ganz andere Möglichkeiten. Für einen Steirer-Krimi habe ich 21 Drehtage, für einen Brenner-Film wie den "Knochenmann" hatte ich 42. Das merkt man etwa bei der Opulenz. Andererseits muss Beschränkung kein Nachteil sein, weil man sich etwas Besonderes einfallen lassen muss, um es interessant zu machen. (Oliver Mark, 9.12.2018)