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Es bleibt zu hoffen, dass die vermeintlichen Durchhalteparolen in Rom bald verklingen.

Foto: REUTERS/Max Ross

Italien ist nicht Griechenland. Das ist allen Beteiligten klar. Den Regierungschefs und Finanzministern in der EU, die sich wieder damit auseinandersetzen müssen, dass man mit einem Land um Budgetvorgaben streiten muss. Und der populistischen Regierung in Rom, die ganz genau weiß, dass ihr Drohpotenzial als systemrelevantes Land ungemein größer ist als es jenes in Athen war. Eine Eurozone ohne Griechenland, damit hätte man sich ja abgefunden. Aber eine Währungsunion ohne Italien, das hört sich angesichts der drittgrößten Volkswirtschaft der Eurozone und 2.300 Milliarden Euro an Staatsschulden doch wie ein großes Wagnis an. Zu sehr sind die Bankensysteme Frankreichs oder Deutschlands (und Österreichs) mit Italien verbunden. Dieses Drohszenario setzt die Regierung in einem Verhandlungspoker mit der EU ein, um für sich Ausnahmen aus den EU-Fiskalregeln zu erwirken.

Nur ein halbes Jahr nach Antritt der rechts- und linkspopulistischen Regierung aus Lega und Fünf-Sterne-Bewegung ist klar, dass diese Strategie für Italien selbst hochriskant ist. Denn die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen sind alles andere als erfreulich. Nicht nur, dass das Land auf einem Schuldenberg im Ausmaß von 130 Prozent der Wirtschaftsleistung sitzt. Die Wirtschaft wird mittlerweile seit Jahrzehnten abgehängt. Italien ist nicht nur ein Opfer der großen Finanzkrise, sondern gerade auch einer anhaltenden Produktivitätsschwäche. Die hat mittlerweile ein beeindruckendes Ausmaß angenommen. Das Land ist seit 1995 schwächer gewachsen als alle anderen Länder der Eurozone, selbst Griechenland wuchs schneller. Seit 1995 war die die wirtschaftliche Entwicklung also nicht von einer Stagnation zu unterscheiden, und das obwohl die Bevölkerung Italiens heute um zwei Millionen Menschen größer ist. Die Arbeitsproduktivität stagniert seit Jahrzehnten, was dazu beigetragen hat, dass Ökonomen längst von der "italienischen Krankheit" sprechen, wenn sie die chronische Wachstumsschwäche analysieren.

"Zombifizierung" des Unternehmenssektors

Die Ursachen dafür liegen tief. Sie beginnen bei der zunehmenden "Zombifizierung" des Unternehmenssektors, wenn eigentlich insolvente Firmen durch Banken künstlich am Leben gehalten werden und so Fachkräfte und Kapital an sich und ihre wenig produktive Tätigkeiten binden. Sie reichen über die unzureichenden Investitionen in die Digitalisierung und Automatisierung, die an der Wettbewerbsfähigkeit genagt haben und Italiens Wirtschaft ins Online-Hintertreffen geraten ließ. Und sie endet bei einem Staat, der weder gut beim Geld ein- noch ausgeben ist und der im internationalen Vergleich mit anderen Industrieländern zu den ineffizienten, wenig vertrauenswürdigen und auch korruptesten zählt.

Die italienische Krankheit hat also eine Reihe von Ursachen, und ein paar Zehntelprozentpunkte mehr oder weniger Neuverschuldung sind jedenfalls keine wirksame Medizin dafür. Im Gegenteil: Was die links- und rechtspopulistische Regierung gerade ausprobiert, hat das Potenzial, den Gesundheitszustand des italienischen Patienten noch erheblich zu schwächen. Denn anstatt die Ursachen zu bekämpfen, soll das frische Geld vor allem dafür ausgegeben werden, um Symptome zu lindern. Maßnahmen wie der frühere Pensionsantritt, eine Art bedingungsloses Grundeinkommen und eine Flat Tax für kleine Unternehmen sind mit rund 35 Milliarden Euro an neuen Schulden nicht nur teuer, sie ändern zudem nichts an der chronischen Wachstumsschwäche. Und dafür wird viel Porzellan zerschlagen, die EU-Kommission und -Partner beschimpft und die Unsicherheit an den Finanzmärkten geschürt.

Eine Wachstumsdelle

Und die Regierung setzt sogar das bisschen Wachstum aufs Spiel, das die Volkswirtschaft zuletzt noch auf den Boden gebracht hat. Nach den politisch turbulenten Monaten im Gezerre um den Budgetplan zeichnet sich eine Wachstumsdelle ab, die in Italien noch tiefer ausfallen dürfte als in anderen europäischen Ländern. Denn die höheren Zinsen für Staatsanleihen verteuern langsam aber sicher auch Unternehmenskredite und tragen so zur Investitionszurückhaltung bei. Was Italien ökonomisch gerade erlebt ist eine "selbstzerstörerische Großzügigkeit", wie sie etwa der ehemalige IWF-Chefökonom Olivier Blanchard skizzierte. Denn Italiens höheres Budgetdefizit – gedacht zur wirtschaftlichen Stimulierung – führte an den Finanzmärkten zu höheren Zinsen. Weil die Schulden in Italien so hoch sind, belasten die höheren Zinsen die Wirtschaft merklich. Die Effekte höherer Zinsen in Italien wiegen angesichts der Schuldenlast so schwer, dass das Öffnen der Staatskasse schon wirklich sehr effektiven Investitionsprogrammen zugute kommen müsste, um einen positiven Wachstumseffekt zu haben. Unterm Strich ist es daher wahrscheinlich, dass das italienische Reformprogramm mehr Schaden als Nutzen stiftet und am Schluss einen noch höheren Schuldenberg hinterlässt.

Für Österreich sind das alles keine sonderlich positiven Aussichten. Italien ist immerhin der drittgrößte Handelspartner nach Deutschland und den USA und eine anhaltende Wachstumsschwäche würde sich schnell in den österreichischen Exporten niederschlagen. "Wir fürchten uns nicht. Italiens Wirtschaft ist solide", sagte der Vizepremier Matteo Salvini noch im September. Der zweite Satz stimmt angesichts der sich eintrübenden Wirtschaftslage längst nicht mehr und es bleibt zu hoffen, dass die vermeintlichen Durchhalteparolen in Rom bald verklingen. Wenn es der Regierung nämlich nicht um die Sache geht, Italiens Volkswirtschaft langfristig wieder zu stärken und auf einen neuen Wachstumspfad zu führen, sondern nur um die Konfrontation der Konfrontation wegen, dann könnte aus Italien wirklich ein zweites Griechenland werden. (Lukas Sustala, 11.12.2018)