Der mazedonische Premier Zoran Zaev hat sich bereiterklärt, eine Amnestie zu gestatten.

Foto: Tomislav Miletic/PIXSELL

Der Kuhhandel hat einen äußerst miesen Beigeschmack: Der mazedonische Premier Zoran Zaev hat sich bereiterklärt, eine Amnestie für jene zu gestatten, die in den Sturm auf das mazedonischen Parlament am 27. April 2017 involviert waren – damals attackierten Anhänger der VMRO-DPMNE Abgeordnete der anderen Parteien, die gerade eine Abstimmung durchführten. 100 Personen, auch Zaev selbst, wurden damals verletzt. Die VMRO-DPMNE wollte damit verhindern, dass die Sozialdemokraten an die Macht kommen. Zaev betonte, dass die Amnestie nur jenen erteilt werden sollte, die damals nicht direkt Gewalt angewendet haben.

Die Idee wurde trotzdem von Menschenrechts- und Justizexperten heftig kritisiert – denn die Sozialdemokraten (SDMS) hatten versprochen, die Unabhängigkeit der Justiz zu stärken und Rechtsstaatlichkeit einzuführen. Zurzeit stehen wegen der Attacke 30 Personen vor Gericht. Ein Zeuge hatte vor Gericht ausgesagt, dass der damalige Polizeichef und zwei Minister sowie der Generalsekretär der VMRO die Attacke auf das Parlament koordiniert hatten.

"Politischer Märtyrer"

Der ehemalige Premier und damalige VMRO-Chef Nikola Gruevski, der sich kürzlich nach Ungarn absetze, hatte sich zum Zeitpunkt des Parlamentssturms bei ÖVP-Granden in Wien befunden – offensichtlich um darzustellen, dass er nichts damit zu tun hat. Kritiker vermuten, dass die mazedonische Regierung und die Behörden die Ausreise von Gruevski Mitte November wissentlich geduldet haben – weil sie damit verhindern wollten, dass er als "politischer Märtyrer" aus dem Gefängnis heraus agieren hätte können.

Fraglich ist jedenfalls, weshalb Gruevski, dem der Pass abgenommen worden war, quer über den Balkan mit einem ungarischen Diplomatenfahrzeug fahren konnte, ohne dass die Grenzbeamten die mazedonischen Behörden informierten. Und fraglich ist auch, weshalb die mazedonische Polizei nicht versucht hatte, seiner zuvor habhaft zu werden. Schließlich hätte Gruevski seine Haft antreten müssen.

Straffreiheit für Zustimmung

In der Zwischenzeit wurde auch eine parlamentarische Kommission zur Versöhnung eingesetzt, die von acht Oppositionspolitikern initiiert wurde – sieben von ihnen waren zuvor aus der VMRO ausgeschlossen worden, weil sie in einer ersten Abstimmung am 19. Oktober für die Namensvereinbarung mit Griechenland gestimmt hatten. Von den ausgeschlossenen VMRO-Parlamentariern stehen drei wegen der Parlamentsattacke vor Gericht. Dies bedeutet offensichtlich, dass sie sich Straffreiheit dafür erhoffen, dass sie für die Namensvereinbarung stimmen.

Kritiker monieren deshalb, dass Zaev Rechtsstaatlichkeit für die Zustimmung zur Namensvereinbarung aufgebe. Die zuständige Staatsanwältin Vilma Ruskovska meinte, die "selektive Amnestie" sei zudem verfassungswidrig. Die Regierung aus Albanerparteien und der SMDS braucht für eine Zweidrittelmehrheit für die Verfassungsänderungen im Rahmen der Namensvereinbarung einige Oppositionsabgeordnete. Die letzte Abstimmung in der Causa soll in Mazedonien am 15. Jänner über die Bühne gehen. Dann soll Mazedonien den Namen Nord-Mazedonien bekommen.

Verteidigungsminister Kammenos will Regierung verlassen

Allerdings ist es dann noch notwendig, die Vereinbarung in Griechenland im Parlament zu verabschieden. Zwischen den Nachbarstaaten gibt es indes wieder Spannungen. Der griechische Präsident Prokopis Pavlopoulos sagte kürzlich, dass man keinesfalls irredentistische Interpretationen der Vereinbarung akzeptieren werde. Zaev hatte zuvor von der Möglichkeit gesprochen, dass die mazedonische Sprache auch in griechischen Schulen gelehrt werden könnte. Das hatte die Nationalisten im Nachbarland auf die Barrikaden gebracht. Die mazedonische Regierung drückte daraufhin ihr Bedauern aus und betonte, dass der Sprachunterricht eine interne Angelegenheit von Griechenland sei. Der griechische Verteidigungsminister Panos Kammenos meinte aber sogar, dass das Abkommen mit dem Nachbarstaat nun zu Ende sei.

Er kündigte an, dass die Abgeordneten seiner Partei Anel aus dem Parlament austreten werden, wenn der Namensvertrag zur Ratifizierung vorgelegt werde – und dass seine Partei die Koalition verlassen werde. "Wir werden den Begriff 'Mazedonien' nicht akzeptieren", so Kammenos. "Wir haben nie mit denen zusammengearbeitet, die unsere Geschichte stehlen wollen." In Nord- und Zentralgriechenland protestieren seit geraumer Zeit auch Schüler und Studenten gegen das Abkommen mit Mazedonien – genannt Prespa-Vereinbarung. Aber auch in Mazedonien protestiert die Opposition mit Massendemonstrationen.

Kritik aus Bulgarien

Heftige Kritik kam auch vom bulgarischen Verteidigungsminister Krassimir Karakatschanow, der meinte, dass es gar keine eigene mazedonische Sprache gebe und dass Mazedonien "Tricks spielt, die Geschichte fälscht und eine mazedonische Identität und Sprache forciert, auch auf bulgarischem Gebiet".

Die mazedonische Opposition versucht dies wiederum zu nutzen und forderte die Nachbarn auf, ihre Unterstützung für den Nato-Beitritt Mazedoniens zurückzunehmen. Der Hintergrund: Die VMRO-DPMNE steht stark unter russischem Einfluss. Und Russland ist gegen die Nato-Erweiterung, die durch die Namensvereinbarung mit Griechenland möglich werden soll.

Lawrow sagt, der Westen würde bestechen

Der russische Außenminister Sergej Lawrow sagte deshalb auch vor wenigen Tagen, dass sich der Westen in die inneren Angelegenheiten von Mazedonien einmischen und Parlamentarier bestechen und erpressen würde, dem Abkommen mit Griechenland zuzustimmen. Er beschuldigte die EU und die USA, "beispiellosen Druck" auf die Regierung und die Wähler auszuüben. "Jetzt gibt es verzweifelte Versuche, den Prozess in der Endphase bis Anfang 2019 zu erreichen", so Lawrow. Washingtons Ziel sei der "erzwungene Beitritt Skopjes zur Nato". Gleichzeitig meinte er, dass ein baldiger EU-Beitritt nicht zu erwarten sei: "Die Verhandlungen in Brüssel können, wie wir alle wissen, mehrere Jahrzehnte dauern", so Lawrow. (awö, 11.12.2018)