Algen und der hohe Salzgehalt verleihen dem südaustralischen Eyresee eine intensive Pinkfärbung.

Foto: South Australian Tourism Commission

Quadratisch, praktisch, grün: Die Innenstadt von Adelaide mit ihrem ovalen Wahrzeichen, dem Cricket-Stadion.

Foto: Joshua Primiero

Ein Känguru in den Adelaide Hills.

Foto: Jake Wundersitz, Adelaide SATC

Daniels Langeberg in einer seiner elektrischen Rikschas.

Foto: Jake Wundersitz, Adelaide SATC

Die Rundle Street im Zentrum.

Foto: Jake Wundersitz, Adelaide SATC

Daniels Langeberg stellt das mexikanische Bier ab. "Komm doch einfach mit", sagt der Jungunternehmer, dessen Kleidung überhaupt nicht nach einem Firmenchef aussieht, sondern dem Look der Kreativ-Internationale entspricht: dunkles T-Shirt, dunkle Jeans, Turnschuhe und ein Fahrradhelm unter dem Arm.

Langeberg will zeigen, warum man inzwischen sagt, Adelaide sei die Stadt Australiens, die sich am meisten verändert. Und plötzlich ist man nicht mehr Zuschauer, sondern Teilnehmer, man ist nah dabei, wenn die Einheimischen ihre Stadt neu vermessen und die Sicht auf sie verändern.

Neues Freiheitsgefühl

Mittendrin in der dienstäglichen Fahrradfahrt von 18 Radbegeisterten, die Langeberg mitorganisiert, weil er findet, das Rad gehöre zu einer modernen Stadt dazu. 13 Kilometer durch die Vororte von Adelaide, ein revolutionärer Akt in einer ansonsten autogläubigen Gegend.

Fahrradfahren war für die Einwohner Südaustraliens lange eine Strafe dafür, dass man sich keinen Wagen leisten konnte. Jetzt ist es wie in Brooklyn, Berlin und Barcelona der Ausdruck eines neuen Freiheitsgefühls. Langeberg grübelte, wie er daraus eine Geschäftsidee basteln könnte – und gründete Eco Caddy, einen Fahrradtaxiservice mit E-Bikes.

Abschaum Englands

Zwei Jahre später stehen in seiner Garage acht dreirädrige Bambusrikschas, die wie Designeier aus der Zukunft aussehen. Es fällt natürlich auch bei ihm die Frage, die jeder Adelaider gern stellt: "Wusstest du, dass wir nicht als Strafkolonie gegründet wurden?" Darauf sind sie in Südaustralien stolz. Sydney und Melbourne wurden einst für den "scum of England", den Abschaum Englands, errichtet, Adelaide für die weltoffenen Träumer.

Eine religionstolerante Kolonie sollte die Stadt sein, ins Leben gerufen 1836. Mit viel Schwung, der schnell ins Stocken geriet. Zwar gab es viele Gotteshäuser, für jede Religionsgemeinschaft, doch wenig mehr. Die anderen Städte rächten sich, nannten Adelaide die "Stadt der Kirchen" oder noch schlimmer: ein zu groß gewordenes Dorf.

Quadratisches Nest

Wenn man heute in den Ort mit 1,3 Millionen Einwohnern kommt, sieht er zuerst so aus: wie ein über Quadratkilometer breitgelatschtes Nest. Eigenheim an Eigenheim, in der Mitte ein rechteckig angelegtes Zentrum mit Bürokästen, Square Mile genannt, weil es eben eine Quadratmeile groß ist, rund 2,6 Quadratkilometer. Mit Lineal und Maßband entworfen – nicht mit Kreativität und Wagemut.

Daniels Langeberg sah es früher genauso, er ist ein gutes Beispiel für die jüngere Geschichte dieser Stadt. 32 Jahre alt, Vater Schwede, Mutter Tansanierin. Nach dem Schulabschluss wollte er nur weg, studierte Urban Design, arbeitete zwei Jahre in Melbourne und noch einmal zweieinhalb Jahre in Schanghai.

Kakadus am Golfplatz

Jedes Jahr zu Weihnachten kehrte der großgewachsene Mann mit den wilden Locken in seine Stadt zurück, eine Momentaufnahme im Jahrestakt. Jedes Mal bemerkte er, wie sich insbesondere der CBD – der Central Business District mit den Hochhäusern – wandelte. Versteckte Bars hinter Parkhäusern wurden eröffnet, Biorestaurants in verlassenen Kolonialgebäuden, Designläden in ehemaligen Kinos. Adelaide träumte wieder – was für die Stadtplanung genauso galt wie für die Menschen. Daniels Langeberg wollte Teil dieser Bewegung sein. Also zog er zurück.

Über eine App können Kunden sich die Eco-Caddys bestellen, Touristen mieten sich den Service für jeweils 20 oder 60 Minuten als Stadtrundfahrt. Für Langeberg eine wichtige Einnahmequelle, denn die Zahl der Reisenden nimmt zu. Am nächsten Morgen geht es los in einem Eco-Caddy. Vorbei am Wahrzeichen von Adelaide, dem Oval, einem Cricket- und Rugby-Stadion am nördlichen Zentrumsrand. Es ist eingebettet in Eukalyptushaine und für Golf getrimmte Wiesen. Jeden Morgen pflügen Kakadus den Boden, um Nahrung zu finden, und jeden Morgen versuchen Golfspieler, sie mit ihren Schlägern zu vertreiben.

Die besten Weinanbaugebiete

Vor dem Oval erstreckt sich eine üppige Parklandschaft, wie ein Gürtel umschließt sie das Zentrum. Im März findet dort das Fringe-Festival statt, das größte Kleinkunstevent der Südhalbkugel mit mehr als hundert Veranstaltungen in 30 Tagen. Akrobatikaufführungen, Stand-up-Comedy-Abende und Transvestitenshows beleben die Parks. "Mad March" nennen die Einwohner diese Zeit, wenn die ganze Welt zu Besuch kommt.

Daniels Langeberg zeigt den Victoria Square, wo die Stadt vor 180 Jahren gegründet wurde, die Gerichtsgebäude, die mit pseudorömischen Säulen eine jahrhundertealte Vergangenheit vorgaukeln. Wenn die Besucher nach Westen abbiegen, steigt salzige Ozeanluft in die Nase. Der Strand von Glenelg ist nur zehn Kilometer vom Zentrum entfernt. Geht die Fahrt nach Osten, sehen die Touristen die Adelaide Hills, sanfte Hügel, wo die besten Weinanbaugebiete Australiens beginnen.

Sauvignon blanc, Chardonnay und Pinot noir werden in der Mehrzahl in den rund 60 Weingütern der Hills angebaut. Tagesausflügler schätzen die Hahndorf Hill Winery, in der Grüner Veltliner mit hauseigener Schokolade verkostet wird – und morgens noch Kängurus über das Anwesen hüpfen. Eines der besten Hotels im gesamten Bundesstaat liegt am Beginn der Hügel: das Mount Lofty House. Von den Zimmern blicken Gäste auf den eigenen Weinberg, nur einen kurzen Spaziergang entfernt befindet sich die Aussichtsplattform des Berges mit einer Rundumsicht über Adelaide.

Traubenmission

Rund zwei Stunden Autofahrt nördlich von Adelaide liegt das Clare Valley, in dem vor allem Chardonnay-, Riesling- und Sémillontrauben gedeihen. Beliebt ist das 1851 von österreichischen Jesuiten gegründete Weingut Sevenhills, das älteste in der Region. Es enthält im Namen eine Anspielung auf die sieben Hügel von Rom – vielleicht weil man sich wegen der missionarischen Grundlagenarbeit für mindestens genauso wichtig hielt. Noch heute zeugt die Natursteinkirche von dem spirituellen Erbe des Tals. Der Bau war ein "work in progress", der Turm ist bis heute nicht fertig geworden.

Daniels Langeberg biegt derweil in die Leigh Street ein, eine dunkle Verbindungsgasse zwischen zwei Hauptstraßen. Früher rannten die Büroangestellten so schnell wie möglich durch die Straße, um vom Bahnhof an ihren Schreibtisch zu kommen. Heute wollen sie nach der Arbeit gar nicht mehr weg. Eine schicke Bar neben der anderen zieht ihnen das Geld aus der Tasche.

Robuste Balken

Eingezwängt zwischen zwei Bürogebäuden, wo vor drei Jahren noch Müll im Zugwind herumwirbelte, steht ein helles Spitzdachhaus wie aus einem Katalog für skandinavische Feriendomizile. Im 3,50 Meter breiten Holzhaus empfängt der Pink Moon Saloon seine Gäste.

Der Saloon ist die am besten gestaltete Cocktailbar Australiens, wenn es nach den Preisrichtern diverser Fachmagazine geht. Eine Ehre, die bisher nur Bars in Sydney oder Melbourne vorbehalten schien. Drinnen fühlt man sich unter den robusten Balken wie in einer Jagdhütte. Nur mit dem Unterschied, dass hier livrierte Barkeeper Drinks zusammenmixen.

Vor zehn Jahren hätten solche Orte gar nicht existieren dürfen. Die Stadt vergab nur Schanklizenzen an Lokale mit mehr als 120 Sitz- oder Stehplätzen. Viele Bars, die London oder New York so verrucht machten, wären in Adelaide verboten gewesen. Im November 2012 wurde das Gesetz geändert, seitdem werden im Monatstakt kleine Lokale eröffnet.

Aufbruchsstimmung

Von rund 20 Beiseln im CBD stieg die Zahl auf etwa 80 an. Nun herrscht eine Stimmung wie im Berlin der 1990er-Jahre, als Menschen voller Ideen Orte ohne Zukunft besetzten. Nur dass diese Umwandlung in Adelaide von oben gesteuert ist.

Tim Boundy wartet vor einem geschlossenen Warenhaus in der Rundle Street. In der gesamten Straße stehen dreigeschossige Häuser aus der Kolonialzeit, manche mit einem Vordach wie dem eines Western-Saloons, andere mit großformatigen Street-Art-Gemälden. Boundy ist Geschäftsführer von Renew Adelaide.

Die Non-Profit-Organisation vermittelt im Auftrag der Stadt zwischen Vermietern und Kreativen. Ihre Mission: leerstehende Geschäfte oder Lokale zu finden. Seit 2010 hat die Agentur mehr als 120 Gründern zu einem Geschäftslokal verholfen – und zwar mietfrei für die ersten Monate. Tim Boundy lässt Zahlen sprechen. Lebten vor 20 Jahren nur 9.000 Menschen in der Innenstadt, sind es heute 20.000 – vor allem junge Leute wie Daniels Langeberg. Bis 2030 soll die Zahl auf 50.000 steigen. Dann wäre man wieder auf dem Stand von 1920.

Leder statt Fummeln

Nicht nur jungen Kreativen hilft Renew Adelaide. Tim Boundy geht hinüber zur Regent Arcade, einer überdachten Einkaufszeile aus dem frühen 20. Jahrhundert und eine der Sehenswürdigkeiten von Adelaide. 1928 wurde in dem Komplex das Regent Theatre eröffnet, damals das luxuriöseste Kino Australiens, bis Innenstadtverfall und DVD-Boom dem Zeitalter der Leinwandhelden und Fummeldates ein Ende setzten.

Drumherum gingen die Geschäfte pleite. Um die Lücke zu füllen, schrieb Renew Adelaide einige Geschäftslokale zur Zwischennutzung aus. Und eine der sympathischsten Erfolgsstorys in der historischen Mall begann: Leatherworks zog ein, das Lederfachgeschäft von Rob McRae, einem 59-jährigen Handwerker.

Erfolgsnervös

McRae steht in Shop 4, hinter einem selbstgezimmerten Holztresen rückt er seine Brille zurecht. Er ist frisch rasiert, trägt einen Seitenscheitel, ein sauber gebügeltes, kariertes Hemd, darüber eine Lederschürze und braune Schnürschuhe aus Leder. Seine ganze Erscheinung strahlt Grandezza, Ruhe und Lebenserfahrung aus. Er könnte nicht weiter weg sein vom Image eines erfolgsnervösen Start-up-Gründers mit Bart, Oversize-T-Shirt und Designerturnschuhen.

Der gebürtige Adelaider erzählt, wie er vor beinahe 30 Jahren in der Jam Factory, einem Künstlerzentrum in einer umgebauten Marmeladenfabrik, begann, das Gerberhandwerk zu erlernen, wie er später den Beruf wechselte, für eine Textilfirma Fabriken in China, Indonesien und Malaysia aufbaute und nach 20 Jahren den Job aufgab.

Revolutionäre auf der Nebenspur

In der eigenen Garage fing er wieder an, Leder zu verarbeiten. Seine Tochter half ihm, über soziale Medien Taschen und Portemonnaies zu verkaufen. Bei Renew Adelaide bewarb er sich um das Geschäft – und war selbst erstaunt, dass er als relativ alter Unternehmer genommen wurde.

Rob McRae schwärmt von seinen neuen Nachbarn, den Buben im Plattenladen, die Vinyl verkaufen, "tolles Zeug", sagt er. "Die Leute suchen wieder Produkte mit Geschichte." Deshalb seien sie neugierig auf Vinyl genauso wie auf seine Weekender und Handtaschen. Unikate aus Adelaide. Trotz der happigen Preise gibt es inzwischen eine Warteliste.

Abends treffen sich wieder die Radfahrer bei Daniels Langeberg. Noch sind sie Revolutionäre auf der Nebenspur. In der Gruppe zischen sie durch ruhige Vorstadtstraßen, halten am Flughafenzaun und winken landenden Maschinen zu.

Jeder hat ein Kompliment für das Fahrrad des anderen. "Wenn deine Bremse laut quietscht, weiß ich, dass ich aufpassen soll, danke." Aus Südaustralien wegzugehen, daran denkt in der Gruppe niemand. Jetzt, wo es richtig losgeht mit Adelaide. (Ulf Lippitz, RONDO, 14.12.2018)