Wien – "Sie haben die Strafe ihres Lebens schon bekommen", fasst der Verteidiger von Doris T. am Ende des Verfahrens gegen seine Mandantin und ihren Ex-Partner Marcus B. zusammen. Die Strafe besteht darin, dass am 26. April in Wien-Donaustadt der vierjährige leibliche Sohn des Mannes aus dem geöffneten Kinderzimmerfenster im siebenten Stock fiel und starb. Das Schöffengericht unter Vorsitz von Nicole Baczak muss am zweiten Prozesstag entscheiden, welche gesetzliche Strafe dem Paar gebührt.

Zunächst erzählen noch zwei Sozialarbeiter des Jugendamts von ihren Erfahrungen mit der Familie. "Ein Mitarbeiter von UPC Telekabel hat gemeldet, dass in der Wohnung sehr viele Tiere sind", erinnert sich der erste Zeuge an den Auslöser für die Betreuung. Damals wohnte die Familie noch in einem anderen Bezirk, erst 2017 zog man nach Donaustadt. Aber bereits im alten Domizil gab es Zwischenfälle: Eine Katze stürzte aus dem Fenster und brach sich ein Bein, eine Nachbarin alarmierte das Jugendamt, dass Spielsachen aus dem Fenster geworfen werden.

Sozialarbeiter warnten vor Gefahren

Man habe die Familie eindringlich auf die Gefahren eines offenen Fensters für Kleinkinder hingewiesen, beteuern die Sozialarbeiter. Erst recht, da das verunglückte Kind an einer Entwicklungsstörung gelitten habe. "Ihm ist die Grenzeinhaltung schwergefallen, das war ein Thema bei den Besprechungen", schildert die Zeugin, die die Familie zuletzt betreut hatte. Das relativiert die frühere Aussage von Marcus B., der sich nicht schuldig bekennt: Er habe dem Kind immer gesagt, es dürfe nicht an das Fenster gehen, hatte der Angeklagte gesagt.

Belastend für B. ist auch die Aussage des ersten Kriminalbeamten, der nach dem Unglück mit ihm gesprochen hat. "Der Herr hat gesagt, das Fenster sei seit der Früh offen gestanden. Und dass er das öfter gemacht habe und nie etwas passiert sei", rekapituliert der Polizist. B.s Verteidigungslinie: Er habe das Fenster zwar geöffnet, aber nicht gewusst, dass die Zweitangeklagte den Sohn in sein Zimmer schicke, während er die gemeinsame Tochter wickelte. Das Kind nahm in seinem Zimmer einen Schreibtischsessel, rollte ihn zum offenen Fenster, schmiss zunächst Spielzeug hinaus und stürzte schließlich ab.

Strafandrohung bis zu zehn Jahre Haft

Für die Staatsanwältin ist das Verhalten der klassische Fall einer Vernachlässigung eines Unmündigen mit einem Strafrahmen von ein bis zehn Jahren, wie sie in ihrem Schlussplädoyer ausführt. "Es entsteht der Eindruck, dass sich die Angeklagten nicht wirklich darum gekümmert haben, ob das Fenster offen steht oder nicht", verweist sie auf die früheren Vorfälle. Dass ein Moment der Unaufmerksamkeit bei kleinen Kindern Folgen haben kann, gesteht sie den Angeklagten zu. Aber: "Es geht hier nicht um einen Kratzer oder einen Griff auf die heiße Herdplatte, sondern um den Tod eines kleinen Kindes."

B.s Verteidigerin sieht das ganz anders: "Mein Mandant ist nicht schuldig. Und er fühlt sich auch nicht schuldig. Er hat sich auf das zweite Kind konzentriert und wusste gar nicht, dass sein Sohn in das Zimmer geschickt wird", argumentiert sie. Darüber hinaus sei es einfach eine Verkettung unglücklicher Umstände gewesen.

Der Anwalt der Zweitangeklagten, die sich schuldig bekannt hat und auch bereit ist, der leiblichen Mutter des Buben 5.000 Euro Schmerzensgeld zu zahlen, bittet um eine milde Strafe.

Staatsanwältin legt Rechtsmittel ein

Das Duo wird schließlich wegen grob fahrlässiger Tötung zu 18 Monaten (B.) beziehungsweise zwölf Monaten (T.) bedingter Haft verurteilt. Sie nehmen das Urteil an, die Staatsanwältin meldet Nichtigkeit und Berufung an, die Entscheidung ist nicht rechtskräftig. Der Fall sei eine Herausforderung gewesen, begründet die Vorsitzende. Und stellt am Ende fest: "Wie soll man das bestrafen? Es wird wahrscheinlich kein gerechtes Urteil möglich sein, wenn Eltern ein Kind verlieren." (Michael Möseneder, 12.12.2018)