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Neos-Chefin Beate Meinl-Reisinger hörte am Mittwoch "hohle Phrasen". SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner attestierte eine türkise Taten- und eine freiheitliche Mutlosigkeit. Das übliche Geschäft im Parlament. Bundeskanzler Sebastian Kurz hielt soeben eine kleine Europarede, zog Bilanz des österreichischen Ratsvorsitzes, spannte einen Bogen vom Brexit über den Westbalkan hin zu den Lebensbedingungen in den afrikanischen Staaten. Die Abgeordneten der Koalitionsparteien bemühten sich, begeistert zu sein, jene der Opposition übten die Empörung.

Pamela Rendi-Wagner, Heinz-Christian Strache und Sebastian Kurz im Parlament.
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Es sind die letzten geschäftigen Stunden des heurigen Jahres, 32 Plenartage waren es heuer, am Donnerstag findet der letzte öffentliche Parlamentstag statt, dann sind Weihnachtsferien. Zuvor werden Ziffernnoten für Volksschüler und die umstrittene neue Umweltverträglichkeitsprüfung für Großprojekte beschlossen. Letzte Unfreundlichkeiten werden ausgetauscht.

Kein Interesse an Volksbegehren

Vom Dienstag blieb nachhaltig in Erinnerung, wie wenig sich die Regierungsparteien für die Behandlung der Volksbegehren im Parlament interessieren, nämlich gar nicht. Die Regierungsbank war komplett leer, auch viele Abgeordnete der Koalitionsparteien waren nicht im Saal.

Am Mittwoch wurde eine Nulllohnrunde für Politiker mit hohen Gehältern beschlossen, für normale Abgeordnete und Bundes räte wird es hingegen ein Plus von zwei Prozent geben.

Im heurigen Jahr erhält ein Abgeordneter 8755,80 Euro brutto, 14-mal im Jahr. Klingt nach einem feinen Gehalt für zwei bis drei Plenartage im Monat. Ganz so einfach ist es freilich nicht: Die meisten Abgeordneten sitzen in Ausschüssen, in denen sie sich mit den Kollegen über anfallende Plenarthemen austauschen. Es gibt etwa einen Familienausschuss, einen Verfassungsausschuss, einen Gesundheitsausschuss. Zum Rollenverständnis eines Parlamentariers gehört es aber auch, Kontakt zur Bevölkerung zu halten – insbesondere im eigenen Wahlkreis: Dorffeste besuchen, Kulturveranstaltungen eröffnen, manchmal vielleicht auch im Wirtshaus sitzen und seine Anliegen erklären.

"Die Bevölkerung abbilden"

Ein langjähriger Abgeordneter formuliert es so: Ein Drittel seiner Kollegen sei fleißig und engagiert – sie halten Reden, sitzen in Ausschüssen, geben Pressekonferenzen, verhandeln. Das sei dann ein Job mit 50 bis 70 Stunden pro Woche. Ein Drittel der Kollegen würde sich mit mittlerer Leidenschaft einbringen: Sie setzen sich in den eigenen Ausschüssen ein und seien oft Fachexperten, die womöglich noch einen Zweitjob haben – was erlaubt ist. Das letzte Drittel bestehe aus eher lustlosen Hinterbänklern, bei denen man sich schon manchmal frage, ob sie ihr Geld wert seien. "Aber der Nationalrat soll ja auch die Bevölkerung abbilden", sagt der Parlamentarier. Oder anders gesagt: "Abgeordneter ist, was man daraus macht."

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Christoph Stark ist überzeugt, es lasse sich alles unter einen Hut bringen.
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Christoph Stark (51), ÖVP
Bürgermeister, Gemeindebundfunktionär und jetzt auch Parlamentarier

Was immer sie auch antreiben mag, Pflichtbewusstsein, Eitelkeit, Engagement für das Allgemeinwohl, sie bleiben für viele unbegreiflich, diese Politiker, die rund um die Uhr auf Achse sind, von einer Eröffnung zur nächsten eilen, in etlichen Gremien den Vorsitz führen und wann immer es geht, am Rednerpult stehen. Christoph Stark ist einer von ihnen.

Der umtriebige, engagierte Bürgermeister der oststeirischen 10.000-Einwohner-Stadt Gleisdorf übt unter anderem wichtige Funktionen im Gemeindebund aus, fungiert als Stadtparteichef und sitzt jetzt seit der Konstituierung des Nationalrates auch als Abgeordneter der ÖVP im Parlament – nachdem er sich einen harten Vorzugsstimmenwettkampf gegen den langjährigen ÖVP-Klubchef Reinhold Lopatka, um den es einigermaßen still geworden ist, geliefert hat.

Christoph Stark ist überzeugt, es lasse sich alles unter einen Hut bringen, "no problem": Nationalratsabgeordneter und Bürgermeister, samt aller Nebenfunktionen. "Alles nur eine Frage der Einteilung. Ich war bis jetzt immer bei allen Sitzungen und Ausschüssen im Parlament", schwört Stark. "Als ich ins Parlament kam, war ich direkt erschrocken, wie dünn es besetzt war. Ein gewisses Maß an Anwesenheit darf man wohl erwarten, der Job ist ja nicht schlecht bezahlt." Er sitze jedenfalls auch in mehreren Ausschüssen. Während der Plenartage habe natürlich nichts anderes mehr Platz. Da muss Gleisdorf warten oder von Wien aus gemanagt werden.

Um regelmäßig nach Wien zu kommen, chauffiert ihn ein Mitarbeiter in aller Früh. "Um vier Uhr ist Tagwache", sagt Stark, "um acht geht's in Wien los." Wenn das Programm in der Bundeshauptstadt dicht wird, stehen Dienstag Fachgruppensitzungen an, Mittwoch und Donnerstag die Plenartage. Montag und Freitag bleibt Stark in erster Linie Bürgermeister mit dem ganzen Programm: Besuch bei Geschäftsjubiläen, Budgetverhandlungen, Altenehrungen, Feier der Feuerwehrjugend, Adventsingen, Autohausfest – bis zu den Planungen für den Kanalausbau.

Daneben betreibt Stark seine Homepage, postet, schreibt Tagebucheintragungen. Und die Familie? "Na ja, es gibt halt Opfer, die man bringen muss. Für die bleibt leider wenig Zeit."

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Sein bisher anstrengendster Job als blauer Abgeordneter war jener des Klubordners, den Harald Stefan in seinen ersten Parlamentsjahren ableistete.
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Harald Stefan (53), FPÖ
Im Zivilberuf Notar, im Hohen Haus nicht nur blauer Justizsprecher

Als Justiz- und Verfassungsspezialist einer Regierungsfraktion fällt ad hoc noch mehr Arbeit an als in den langen Oppositionsjahren, versichert Harald Stefan, denn: "Plötzlich hat man viel mehr Freunde", scherzt der FPÖ-Abgeordnete. Eine Anspielung darauf, dass der studierte Jurist, der eine Notariatskanzlei in der Wiener Innenstadt betreibt, mittlerweile zu einem begehrten Ansprechpartner avanciert ist – etwa für Gesetzeslücken, die jetzt endlich geschlossen gehören, oder allzu ignorante Paragrafen, die Menschen zu Justizopfern machen.

Dazu kommt für den 53-Jährigen jetzt noch die penible Akkordierung zu den Reformwerken mit dem geschätzten Koalitionspartner ÖVP, die auch noch viel Zeit verschlingt. Bis zu sechs Tage im Monat – natürlich nicht am Stück – verbringe er allein mit Ausschussarbeit, also der Vorbereitung von Gesetzen, rechnet Stefan vor. Unterm Jahr bleiben ihm daher im Schnitt nurmehr etwa "40 Prozent" für die Kanzlei.

Denn der Freiheitliche ist seit einem Jahrzehnt auch noch Vorsitzender des Unvereinbarkeitsausschusses, also jenes Gremiums, das darüber wacht, dass Mandatare ihre Tätigkeiten melden, aber auch darüber, dass Minister und Staatssekretäre ihre Eigentums- bzw. Anteilsrechte ab einer bestimmten Beteiligungshöhe an Unternehmen offenlegen.

Sein bisher anstrengendster Job als blauer Abgeordneter war allerdings jener des Klubordners, den Stefan in seinen ersten Parlamentsjahren ableistete. Das sind jene Mandatare in den Fraktionen, die im Plenum stets weit vorn und nahe beim Klubchef sitzen. Sie sorgen dafür, dass die Rednerliste und die Themenkomplexe bei den Debatten einer gewissen Dramaturgie folgen, und natürlich kümmern sich die Klubordner auch darum, dass möglichst viele Abgeordnete der eigenen Partei bei den Abstimmungen anwesend sind und zum richtigen Zeitpunkt über Wohl und Wehe von Anträgen befinden. Letzteres erfolgt mit mehr oder weniger diskreten Handzeichen, erklärt Stefan: "Da ist man quasi der Spieß der Kompanie."

Denn bei jeder Abstimmungspanne, also einem Beschluss entgegen der Parteilinie, drohen höhnische Schlagzeilen. Und dann habe man als Obmann der FPÖ Simmering an den Stammtischen argen Erklärungsbedarf.

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Seit 14 Jahren ist Wolfgang Zinggl bereits Abgeordneter, 13 davon für die Grünen, derzeit für die Liste Jetzt.
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Wolfgang Zinggl (64), Liste Jetzt
Altgedient als Abgeordneter, frisch als Klubchef

Der langjährige Abgeordnete, einst Grüne, dann Liste Pilz, jetzt Liste Jetzt, hat sein Aufgabengebiet erweitert, er ist eingesprungen, auch Klubchef geworden, teilt sich diese Funktion mit seinem Kollegen Bruno Rossmann. Zinggl sagt, dass er als Abgeordneter gut beschäftigt sei, viel zu tun habe. Wie viel, das soll ein großer Stapel an Unterlagen belegen, den er vor sich aufgetürmt hat: parlamentarische Anfragen und Protokolle, Anträge, Reden, Presseaussendungen und Presseberichte. Was darin nur am Rande vorkommt, sind die Querelen innerhalb seiner Liste, die Zeit und Nerven gekostet haben: Die Abgeordnete Martha Bißmann verließ unter großem Mediengetöse den Klub. Der parlamentarische Mitarbeiter Sebastian Bohrn Mena tat es ihr gleich, es wird vor Gericht gestritten. Zinggl ist heftig darin involviert, als Klobobmann der Liste muss er sich auch der Verantwortung eines Personalchefs stellen.

Zinggl teilt sich auch einen Teil seines Gehalts mit Rossmann, so kommt er derzeit auf 14.000 "und irgendwas" Euro. "Parlamentarier verdienen ein gutes Geld, keine Frage", sagt er, "ich war nie unglücklich mit dem Gehalt." Seit 14 Jahren ist der Wiener bereits Abgeordneter, 13 davon für die Grünen, derzeit für die Liste Jetzt. "Es soll mir niemand sagen, ich hackel nichts, ich bin von früh bis spät angehängt", stellt er vorsorglich klar.

Die guten Abgeordneten seien ihr Geld durchaus wert, behauptet Zinggl, verweist aber auf eine Ungerechtigkeit im System. Während die Abgeordneten der kleinen Fraktionen überdurchschnittlich viel eingesetzt seien, gebe es in den großen Fraktionen viele Abgeordnete, die nicht sonderlich viel zu tun hätten. Die verwiesen dann immer auf die "Betreuung der Wahlkreise". Für Zinggl eine glatte Ausrede.

Die eigentliche parlamentarische Arbeit geschehe in den Ausschüssen, er selbst sitzt in sieben davon. Und wie die meisten Abgeordneten der kleinen Parteien sei er immer gut vorbereitet. Ihm ist es ein großes Anliegen, die Ausschussarbeit öffentlich zu machen und die Diskussionen und Abstimmungen in den Ausschüssen zu übertragen. Denn die seien allemal spannender als das, was im Plenum des Parlaments ablaufe, das sei ein reiner "Rhetorikwettbewerb, bei dem alles vorbereitet und vorentschieden" sei.

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Klassische parlamentarische Aufgaben machen etwa fünfzig Prozent von Nikolaus Scheraks Arbeit aus.
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Nikolaus Scherak (32), Neos
Neos-Vizechef, pinker Vizeklubchef, Jurist

Wie so viele Österreicher geht auch Nikolaus Scherak jeden Tag in der Früh erst einmal ins Büro. In der Löwelstraße, direkt hinter dem Parlamentsgebäude, haben die Neos ihren Klubsitz. Das Gebäude teilen sie sich, seit die Grünen ausziehen mussten, mit der Liste Pilz alias Jetzt. In dem Gründerzeitbau hat nun auch Scherak seinen Schreibtisch. Sechzig bis siebzig Stunden arbeite der Nationalratsabgeordnete pro Woche, erzählt er – allerdings nur einen Bruchteil der Zeit in den pinken Klubräumlichkeiten.

Scherak ist heute 32 Jahre alt. Er ist von der Uni quasi direkt ins Parlament gewechselt. 2013 promovierte er zum Doktor der Rechtswissenschaften, fast zeitgleich ergatterte der damalige Parteijugendchef ein Mandat fürs Hohe Haus. Einen anderen Job als Nationalratsabgeordneter hat Scherak in seinem Leben noch nicht gemacht.

An einem durchschnittlichen Tag beantworte er erst einmal E-Mails, lese den Pressespiegel, bereite sich vor: Als Vizechef der Neos verschwimme seine Tätigkeit für das Parlament natürlich immer wieder mit jener für die Partei, sagt er. Er behalte laufend im Auge, was die politische Konkurrenz macht und welche Themen gerade diskutiert werden. Und dann telefoniere er. Mit Journalisten. Mit Parteifreunden. Mit Interessenvertretern.

Klassische parlamentarische Aufgaben würden etwa fünfzig Prozent seiner Arbeit ausmachen: also Ausschusssitzungen, Plenartage, die Vorbereitung von Anfragen und Anträgen. Scherak ist Mitglied in vier Ausschüssen – im Immunitätsausschuss, dem Verfassungsausschuss, dem Geschäftsordnungsausschuss und dem Ausschuss für Menschenrechte. Dort diskutiert er mit Parlamentariern anderer Couleurs aktuelle Themen, die in den jeweiligen Bereich fallen – theoretisch. "Inhaltliche Debatten finden in den Ausschüssen leider kaum statt", sagt Scherak. Die Regierung entscheide, was der türkise und der blaue Klub zu beschließen haben, und das passiere dann auch.

Als Vizeklubchef und Sprecher für Verfassung, Menschenrechte, Datenschutz, Homosexuellenrechte und Volksgruppen sei er aber auch regelmäßig in ganz Österreich unterwegs – auf Podiumsdiskussionen und Veranstaltungen. Wie lange er an seinen Reden fürs Parlament feile? Etwa dreißig Minuten. "Und dann sage ich meistens etwas ganz anderes."

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Aktuell ist Cornelia Ecker Obmannstellvertreterin im Wirtschaftsausschuss und sitzt in zwei weiteren Ausschüssen.
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Cornelia Ecker (42), SPÖ
Wirtschaftsausschuss, Unternehmerin

Die Salzburger Abgeordnete Cornelia Ecker kommt gerade von einem Termin beim Salzburger Militärkommando. In ihrem Garten und in der Hauseinfahrt im Flachgauer Bürmoos türmen sich ein paar Zentimeter Schnee. "Ich bin zu selten zu Hause", sagt Ecker.

Muss man denn als Parlamentarierin Repräsentationstermine beim Militärkommando wahrnehmen? "Ja, es geht um Kontakte", sagt Ecker. Sie bräuchte in ihrem Wahlkreis immer wieder den Kontakt zu Bundesheer oder Blaulichtorganisationen. Ecker sitzt seit 2013 für den Wahlkreis fünf (Flachgau und Tennengau) im Hohen Haus. Begonnen hat die Hälfteeigentümerin einer Biometzgerei als klassische Hinterbänklerin. Inzwischen ist sie Bereichssprecherin der Fraktion für Klein- und Mittelbetriebe und in dem "hierarchischen System" (Ecker) der Sitzordnung ins Mittelfeld der SPÖ-Fraktion aufgerückt. Auch was die Ausschussarbeit angeht: Aktuell ist sie Obmannstellvertreterin im Wirtschaftsausschuss und sitzt in zwei weiteren Ausschüssen. Dazu kommen mehrere Ersatzmitgliedschaften.

In Zeit umgerechnet heißt das: einmal im Monat Parlamentswoche (Montag Klubsitzung, dann Dienstag bis Donnerstag Plenum). Wobei hier die Ländermandatare klar im Nachteil sind: "Die Donnerstagssitzung dauert oft bis weit in die Nacht", erzählt Ecker, sie komme also erst Freitagmittag nach Hause. Ähnliches gelte für die Ausschusssitzungen, immerhin kommen pro Termin sechs Stunden Zugfahrt dazu. Letztlich sei sie den halben Monat in Wien. Dazu kommen die Sitzungen zu Hause, Ecker ist stellvertretende SPÖ-Chefin von Salzburg und Gemeinderätin in Bürmoos. Und auch die "Hausmacht" muss betreut werden: Bei jeder der 50 Ortsorganisationen in ihrem Wahlkreis sei sie einmal im Jahr dabei.

Das Tempo ist jedenfalls hoch. Machbar sei das nur, weil sie sich ihre Arbeitszeit im heimatlichen Betrieb (acht Angestellte) halbwegs frei einteilen könne. Mit einem Nine-to-five-Job könnte sie ihre politische Funktion nicht wahrnehmen. (mika, mue, neu, völ, nw, 13.12.2018)

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